Das abenteuerliche Leben des Remus

Das abenteuerliche Leben des Remus

Folgender Text ist eine auszugsweise Zusammenfassung des 527 Seiten umfassenden Buches „Das abenteuerliche Lebendes Remus“ von Aleksander Majkowski, das die Tante meines Klassenkameraden und Freundes Dr. Christoph Brauer, Frau Eva Brenner, ins Deutsche übersetzt hat. Das Buch gilt als Nationalepos der Kaschuben. Mir ist der Text wichtig, weil ein Teil meiner mütterlichen Vorfahren aus Westpreußen, aus Kaschubien stammen und Kaschuben waren. Das ist ein autonomer slawischer Stamm, der auch bei Günter Grass eine Rolle spielt. Hier sind nur Auszüge, mehr durfte ich nicht bringen. Vielleicht bringe ich aber den Lesern die Kaschuben so näher.

Franz Peschke

Association internationale pour l´étude et la difffusion des cultures slaves (UNESCO)
Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien   Herausgegeben von Hans Rothe 10/I .

Aleksander Majkowski: Das abenteuerliche Leben des Remus  Ein kaschubischer Spiegel Teil  I  Deutsche Ausgabe         
Übersetzt von Eva Brenner Mit einer Einleitung von Gerd Wolandt herausgegeben von Hans Rothe 1988 Böhlau Verlag Köln. Wien

Mein Klassenkamerad und Freund der Arzt Dr. med. Christoph Brauer hat mir, als ich bei ihm zur 55-Jahrfeier unseres Abiturs zu Besuch war, dankenswerterweise ein Buch geliehen, das seine Tante väterlicherseits,  die Pastorin Eva Brenner geborene Brauer übersetzt hat. Es handelt sich um das Buch von Aleksander Majkowski: Żëcé i przigodë Remusa. Zvjercadło kaszubskji. Das Buch gilt als kaschubisches Nationalepos. Christophs Vater und Tante hatten lange in Karthaus in der kaschubischen Schweiz gelebt. Meine Vorfahren mütterlicherseits stammen teilweise von den Kaschuben ab. Ich bin Christoph dankbar, dass ich diesen Roman lesen durfte.  Ich wusste vorher von diesem Roman gar  nichts. Überhaupt wissen nur wenige Deutsche etwas von den Kaschuben.

Der Roman wurde 1938 zum ersten Mal ganz veröffentlicht, kurz vor dem Tod des Autors Aleksander Majkowski. Dieser wurde 1876 in Berent geboren. Er Studierte 1897 bis 1903 In Berlin, Greifswald und München Medizin. Nach der Promotion war er Arzt der Danzig und betätigte sich literarisch. Dann war er in seiner Geburtsstadt Berent und gab das Monatsblatt Gryf (Greif) heraus. 1911 rief er in Zoppot die jungkaschubische Bewegung ins Leben. Im Ersten Weltkrieg war er Militärarzt an der Front. Danach war er Kreisarzt in Karthaus. Majkowski starb 1938 in Gdingen.

Der Roman ist in drei Teile unterteilt und umfasst 45 Kapitel. Der erste Teil heißt „Auf dem Einödhof“, der zweite „Das abenteuerliche Leben des Remus, in Freiheit und Gefangenschaft“, der dritte Teil „Das abenteuerliche Leben des Remus. Der Smentk“. In der Übersetzung ins Deutsche hat Eva Brenner die Ortsbezeichnungen nicht in Kaschubisch oder Polnisch notiert, sondern die deutschen Namen verwendet.

 

Erster Teil

Auf dem Einödhof

 

1
Die Gewohnheiten des Remus und was die Leute von ihm dachten

Der Held des Romans heißt Remus. Der Roman wird eingeleitet von einem Referenten, der, wie er berichtet,  nach dem Tode des Remus vom Schulmeister in Lipno eine von Remus selbst in reinem Kaschubisch geschriebene Lebensgeschichte zu lesen bekommt, die der Referent nun dem Leser des Romans vorstellt. Remus hatte bei seinem Tod einen Teil seines gesparten Geldes für sein Begräbnis aufbewahrt, einen anderen Teil für kaschubische Kinder, damit sie eine höhere Schule besuchen konnten. Er hatte aber auch Blätter hinterlassen, in denen er seine Lebensgeschichte beschrieb. Diese liest der Referent.

Der namentlich nicht bekannte Referent hatte schon als Kind Angst vor Remus. Denn Remus, der groß wie ein Hüne war, einen Sprachfehler hatte und mit Lumpen und einer Fellmütze bekleidet einen Karren herumschob, aus dem er Bücher, Wolle, Garn und andere Kleinwaren verkaufte, galt als verrückt und gefährlich. Der Referent begegnete ihm wiederholt. Remus galt auch als verrückt, weil er jedem, dem er begegnete, zwei unverständliche Fragen stellte:  „Willst du das versunkene Schloss erlösen?“ oder „Willst du die verzauberte Prinzessin übers Wasser  tragen?“, auf die er immer ein Nein als Antwort bekam.

Der einzige, der diese merkwürdigen Fragen bejahte, war der Referent, der deshalb die Lebensgeschichte des Remus auch lesen durfte. Als der Erzähler mit „Ja“ antwortet, ruft Remus aus: „Ormuzd ist Sieger. Ormuzd ist Sieger“, „Ormuzd ist Sieger. Die Eulen des  Ariman brennen, die Eulen des Smentk brennen.“ Später schreibt Remus: „Nur eines weiß ich, …, daß Ormuzd siegen wird.“

Zuerst bleibt diese Reaktion des Remus unverständlich. Es geht aber, wie im Laufe der Erzählung der Lebensgeschichte von Remus aber immer deutlicher wird, um den Gegensatz des Weißen Geistes Ormuzd und des Schwarzen Geistes Ariman, der bei den Kaschuben Smentk genannt wird, also den Kampf zwischen Gut und Böse, hier speziell bezogen auf das Schicksal des Remus und seinen Kampf um die Befreiung der Kaschuben. Die Gott-Engel Ormuzd und Ariman haben die Kaschuben mit den Persern gemeinsam.

Weil der Referent als einziger von allen Befragten die mit gebrochener Sprache gestellten Fragen von Remus bejaht hatte, durfte er die Lebensgeschichte von  Remus lesen und konnte sie so der Nachwelt weitergeben.

2
Der Anfang des Schreibens des Remus. Wie er Vieh hütete und von dem Gespenst erfuhr, das auf dem Einödhof wohnte 

Der Referent stellt nun das von Remus selbst geschriebene abenteuerliche Leben vor. Im ersten Teil „Auf dem Einödhof“ wird die Mission des Remus gewissermaßen grundgelegt.

Remus lebte als Kind auf einem Einödhof des Bauern Sablotzki bei Lipno. Seine Eltern waren unbekannt. Er war Waise, diente als Knecht und hütete das Vieh. Auf dem Hof gab es auch die Magd Martiana, die Knechte Michal und Martin und das Mädchen Marta. Marta war Martins Tochter und etwa gleichaltrig wie Remus.

Einerseits  waren alle sehr katholisch, andererseits herrschte große  Gespensterfurcht. Michal hatte das Motto: „Es ist Gottes Wille! Was einem bestimmt ist, dem entgeht er nicht.“ Eine alte Wanduhr „schluckt ständig die Zeit“. Sie konnte den Tod sehen und die Unglücksstunde schlagen.

Remus schlief im Pferdestall und ah dort im Mondstrahl wunderbare Gestalten und Dinge, von denen man sich nach der Arbeit auf dem Einödhof erzählte, so einen schrecklichen Drachen, der auf einem hohen Turm saß, aus dem eine Königstochter weinend herausschaute. Remus entschied sich, die Königstochter zu befreien. Er erfuhr, dass es auch ein Hausgespenst gab und wollte es suchen.

3
Von den drei sonderbaren Kiefern, der gekrönten Eberesche, dem versunkenen Schloß, der verzauberten Königstochter und den drei Gespenstern 

Am Feld standen drei sonderbare Kiefern zusammen. die Stelle, wo sie standen, nannte man den Brunnen, obwohl es dort keinen Brunnen gab Die drei Kiefern hatten einem Bauern, der sich verirrt hatte, den Weg nach Hause gezeigt. Aus der ehemaligen Quelle hatten sich die Leute vom Schloss ihr Wasser geholt, aber vor vielen hundert Jahren war dieses Schloss verschwunden und drei Stockwerke tief in den Boden gesunken. Die Leute fürchteten sich, nach dorthin zu gehen. Remus hütete die Kühe. Eines Tages fiel ihm eine Eberesche jenseits des Grenzgrabens auf, auch sie war von seltsamer Gestalt, es sah bei Sonnenschein so aus, als wenn die Eberesche eine Krone um den Hals trüge. Sie war beim Pflügen im Wege, und Micha sagte: „Wenn man diese Eberesche abhackte, würde Blut fließen.“ Von nun an hielt sich Remus viel unter der gekrönten Eberesche auf. Er dachte, sie könne eine Königin sein.

Remus, der ja noch ein Kind war, hatte Mut. Jenseits des Flusses gab es einen Schlossberg, Und auf ihm ein herrschaftliches weißes Schloss.

Von ihm fühlte sich Remus stark angezogen. Er sah zwei große Schwäne, das Schloss und auch die Spiegelung des Schlosses im Wasser. Dann hört er eine liebliche Stimme: „Nimm mich doch auf die Arme und trag mich durch den Fluss zu meinem Schloss.“ Es war die Königstochter, die der Drache bewachte. Remus sah im Spiegelbild winzig aus gegen die Königin. Sie sagte, nur alle Menschenalter steige das Schloss aus der Tiefe der Erde und warte auf einen Erlöser. Wer die Königstochter über das Wasser zum Schloss ihrer Väter trage, den begrüße man dort als König. Es solle sie hinübertragen. Morgen werde es zu spät sein. Wenn er sie hinübertrage, würde sich ein in der Welt unbekanntes Volk erheben, über das die Geschichte aufgehört habe zu schreiben. Die Welt würde sich wundern, dass es wieder lebendig sei. Gemeint ist das Volk der Kaschuben. Die Königstochter bat Remus, an seine Kraft zu glauben und nicht auf seine Witzigkeit und seine zerlumpten Kleider zu schauen. Als er die Königin hinübertragen wollte. stiegen  drei entsetzliche Gespenster aus dem Wasser, das eine Gespenst hieß ‚Mühsal‘, das andere ‚Angst‘ und das dritte und schlimmste ‚Zwecklos‘. Remus nahm allen Mut zusammen, hob die Königstochter in die Höhe, um sie über das Wasser zu tragen. Es kamen ihm aber Zweifel, und er setzte die Königstochter wieder hin. Er hielt sich für zu arm und zu klein für eine so große Sache. Daraufhin versank das Schloss unter großem Getöse in die Erde, und die Königstochter verschwand mit einem Schrei der Verzweiflung.

Remus hatte versagt. Das Erlebnis mit der Königstochter wird ihnen aber sein ganzes Leben lang begleiten. Es wurde sein Lebensmotto.

Remus aber hatte seine Pflichten verletzt – er sollte das Vieh hüten – und Remus wurde deshalb von Michal an den Haaren gerissen und geschlagen.

4
Wie Martianna den kleinen Remus ausschalt und wie er ihrem Befehl nicht gehorchte
 

Auch Martianna schalt ihn aus. Er solle bloß kein Faulpelz werden. Er sei vom Herren als Hirte angestellt worden für ein Handgeld und einen Taler zu Weihnachten, ein Hemd, ein Wams und ein paar Schuhe am Namenstag  der Heiligen Katharina. Er sei ein Onusel, ein unsauberer, unordentlicher Mensch, und habe den Lederriemen verdient.

Remus erzählte dann Martianna  von der  Königstochter und dass er versucht habe, sie über den Fluss zu tragen. Als Antwort bekam er ihren Schöpflöffel zu spüren. Sie schrie: „Hebe dich hinweg, verfluchter Versucher.“  Erst Jahre später sollte Remus die Ursache ihres Zornes erfahren.

Im Hof hatte man vor der Schlossruine Angst, denn es sollte dort angeblich spuken. Um zur Schlossruine zu kommen, musste man im Wald zu der Eberesche gehen, die eine Krone um den Hals trug, dann zu einem Fluss, neben dem eine halb liegende und halb stehende Kiefer zu sehen war. Sodann musste man über  eine Furt zu einem  Berg hinübersetzen, dort stand die Schlossruine. Michal fürchtete sich; „Sogar, wenn mir ein goldener Aal ins Netzt ginge, würde wie mich niemand nachts zur Schlossruine bringen.“ Und er warnte Remus: „Wenn du willst, dass dir die Haare zu Berge stehen, dann geh nur hin!“ Es zog Remus aber zur Schlossruine.

Martianna erzählte, bei der Eberesche sei ein Mensch überfallen worden, der gut und ehrenhaft war. Sie hätten ihn so verrückt gemacht, dass er zu Hause keinen Frieden mehr gefunden habe und noch heute in der Fremde herumirre. Remus fantasierte, auch er wolle wandern, wenn er groß sei. Denn dort hinter dem Wald und dem See öffne sich die Welt. Vorläufig wollte er aber nur die Schlossruine untersuchen. Als er sicher war, dass ihn niemand mehr beobachtet konnte, trieb er das Vieh zu Eberesche, ließ den Hund Gnota beim Vieh und befahl ihm, er soll aufpassen, bis Remus wiederkomme. Dann sprang Remus über die Graben. Das Gebüsch hört auf wie geschlagen und dahinter lag eine Wiese voller Farnkraut, Wer den Mut hatte, kam in der Johannisnacht her, um die Farnblüte und das Ende seiner Wurzel zu suchen. Wer die fand, suchte kein Glück mehr, sondern das Glück suchte ihn. Das Ganze war allerdings trügerisch, denn Leuten war auf der Suche nach der Blume und der Wurzel ein Gespenst erschienen. Ein Gimpel hatte Angst und schrie. Blätter einer Zitterpappel bebten ständig vor Schreck. Remus verlor den Weg. Remus musste einen Umweg machen. Er war nahe am Fluss. Dann sah er die seltsame Kiefer, von der Micha ihm erzählt hatte. Er sah die Schwäne der Königstochter vom verzauberten Schloss, sie wendeten aber ihre Augen von ihm ab und schwammen stromaufwärts davon. Gnota war Remus gefolgt. Sein Bellen hatte die Schwäne verscheucht. Dann fiel Remus das Vieh ein, und er rannte so schnell wie möglich dorthin zurück. Remus ermahnte den Gnota, wenn er noch einmal vom Vieh davonlaufe, werde er was erleben.  Aber Gnota war Remus nur gefolgt, weil er auch ihn nur für eine verlorene Kuh hielt, die er suchen musste.

5
Wie Remus auf der Schloßruine einen schwarzen Topf und ein goldenes Schwert fand und wie er damit mit seiner Haut bezahlte

Am nächsten Morgen lachte die Welt voller Glück. Die Tiere machten hohe Sprünge und wie eine fröhliche Hofgesellschaft stürzten alle zur gekrönten Eberesche. Remus wollte zur Schlossruine. Er dachte an das Märchen von der Königstochter und den Schwänen, die ihre Brüder waren.  Er suchte die Furt. Diese reichte ihm aber bis an die Brust. Trotzdem ging er hindurch. Er lief auf allen Vieren nach oben und stieß plötzlich auf eine Eberesche, die um ihren Hals eine Krone hatte. Sie sah aus wie eine Schwester der Eberesche am Waldrand. Etwas Warmes tropfte ihm ins Auge. Es war Blut.  Remus sah in der Ferne den Glockenturm von Lipno. Remus traf auf einen tiefen Graben der mit Haselnuss- und Weißbuchengebüsch bewachsen war. Bei der Furcht lief ebenfalls ein Graben zum Berg. Es war der alte Weg,  der früher durch die Furt führte und den die Leute nicht mehr nahmen, weil sie sich fürchteten. Dann fand er einen halb vergrabenen Topf, in dem sich weißer Sand, Knochenstücke und Asche befanden, und er fand auch  ein goldenes Schwert. In der Meinung, dass diese Gegenstände der Königstochter gehörten, vergrub er  beide unter der Eberesche.

Gnota war ihm wieder gefolgt. Der Herr musste das Vieh selber zusammensuchen. Zur Strafe verprügelte der Hausherr den Hund und Remus mit einem faustdicken Haselnussstecken. Remus wurde so geschlagen, dass es ihm nicht einmal mehr gelang aufzustehen.

Marta, die den Remus als einzigen verstand und aufgrund seines Sprachfehlers Jemus – er sprach das R wie ein J aus – nannte, brachte ihm, der vor Schmerz zusammengebrochen war, Essen und einen Stock, so dass er hinkend nach Hause kam. Auf dem Hof stand  der Bauer vor der Tür. Sein Gesicht fiel Remus auf . Es war das Gesicht des Gespenstes, das er im Fluss vor dem weißen Schloss gesehen hatte. Es hatte Mühsal geheißen.

6
Wie Remus das Gespenst auf dem Einödhof suchte und begann, mit Marta zum Religionsunterricht zu gehen

Remus schoss schnell in die Höhe. Er wurde lang wie Riedgras und dünn wie eine Pastinake. Es war Winter. Die alte Uhr schluckte die Zeit wie immer. Remus vermutete, dass das Hausgespenst  in einer Stube unter dem Strohdach wohnte, stieg dafür auf einen  Pflaumenbaum, fiel aber runter und blieb besinnungslos liegen. Marta fand ihn und half ihm auf. Martianna aber bestrafte ihn mit einem Kochlöffel der zerbarst. Remus war es völlig unklar, warum Martianna ihn schlug. Marta gestand ihm, es war ihretwegen, denn sie hatte dem Herrn Nadeln ins Bett gestreut.

Aufgrund der wiederholten merkwürdigen Taten des Remus hielt man ihn für verrückt. Martiana meint zu Michal: „Da spuken in ihm Schlösser, Königstöchter und andere Wunder herum. Er sucht ein Gespenst im Haus, und wenn es ihn erschlagen würde, er ließe nicht davon ab… So hat es jener auch gemacht. Und was aus ihm geworden ist, siehst du ja…“ Um Remus von seien merkwürdigen Spinnereien abzubringen, schickte sie ihn zusammen mit Marta zum Pfarrer, damit er Lesen und Schreiben lernte und  in katholischer Religion unterrichtet wurde. Michal meinte, der Pfarrer solle Remus die christliche Wahrheit beibringen. Später werde ihm eine treue Frau die Grillen schon austreiben. „Es ist Gottes Wille! Was einem bestimmt ist, dem entgeht keiner!“

Fast siebzig Kinder nahmen am Unterricht teil. Keiner verstand, was Remus sagte. Deshalb bekam er vom Pfarrer Privatunterricht.

Remus lernte rasch und gern. Besonders interessierten ihn die Geschichten aus dem alten Testament. Von allen Vätern des alten Testaments war ihm David der liebste. Er identifizierte sich mit ihm, und auch er wollte Goliath  erschlagen. Die Einöde, in der Remus lebte, hielt er für das gelobte Land und die Mitstreiter auf dem Einödhof hielt er für Figuren aus dem Alten Testament, Martin für Absalom, den Hausherrn für Abraham, dessen Frau für Sarah, Maria für Rebekka, Martas Vater  für den Propheten Jeremias und sich selber für David, der Goliath besiege. Remus erzählte Marta von seinen Fantasien und bekam dafür  von Martianna eine Tracht Prügel mit dem Kartoffelstampfer, auch weil das von ihr gebackene Brot aus dem „Ofen des Nebukadnezar“ ungebacken herauskam  und Martin sie deshalb scherzhaft Potipharsche nannte. Der Stil des Kartoffelstampfers zerbrach beim Prügeln.

Eines Tages überredete Remus Marta, über den Fluss mit zur Schlossruine zu gehen. Remus gab ihr das Versprechen, an der Schlossruine nicht wegzulaufen und sie nicht alleinzulassen. Der Gimpel im Wald schrie noch immer vor Angst vor dem Holzbock, Nur die Schäne kamen nicht, Beim Gehen erzählte Remus alles, wie er das Schloss bei der gekrönten Eberesche und die Königstochter gesehen hatte, dass er damals aber noch zu klein gewesen sei, um sie durch das tiefe Wasser zu tragen. Auch von den drei Gespenstern mit dem Namen ‚Mühsal‘, ‚Angst‘ und ‚Zwecklos‘ sprach er, auch davon, dass der arme Hirte, der sie besiegte,  bei der Königstochter der König werden werde.  Marta aber fürchtete sich, und Remus musste sie durch die Furt tragen. Oben wie ein Fels erhob sich die Schlossruine. Vom Topf und dem goldenen Schwert erzählte Remus ihr aber nichts. Davon sollte kein Sterblicher je etwas erfahren.

Ein anderes Mal erzählte Remus Marta von seinen Fantasien. Der Fluss bei der Einöde seit der Jordan, und der See sei der See Genezareth. Die Stelle bei der gekrönten Eberesche sei Bethel, der Brunnen mit den drei Kiefern sei der Ort, wo die Brüder den Josef verkauften, der Backofen im Obstgarten sei der Ofen, in den der König Nebukadnezar die drei Jünglinge zum Verbrennen werfen ließ usw. Der Herr des Hauses sei Abraham und seine Frau Sarah. Sie werde, wenn sie achtzig Jahre alt sei, einen Sohn bekommen.

7
Wie das Gespenst auf den Hof herausgelassen wurde und wie Remus mit Goliath kämpfte und ihn besiegte

Remus wollte unbedingt Goliath sein und ließ sich deshalb zeigen, wie man mit einer Schleuder umgeht. Er fertigte eine Goliathschleuder und übte das Zielen mit einem Stein, um im Kampfe mit Goliath bestehen zu können.

Dazu hatte er bald Gelegenheit. In einer Ecke sah er das Gespenst mit den grünen Augen. Dann wurde es plötzlich in der Stube finster. Etwas  Großes, das aussah wie ein Mensch, sich aber weder mit Weihwasser bekreuzigte noch Gott lobte, kam herein, angezogen mit hohen Stiefeln, Knöpfen an seinem Wams, einer Mütze auf dem Kopf sowie Gürtel um den Bauch und einen großen Schwert. „Nun begriff ich und sagte zu mit: Das ist der Goliath, wie er in den Bibelschriften beschrieben ist. Der Herrgott hat ihn dir geschickt, damit du mit ihm kämpfst!“

Ein anderer Fremder trat ein. Er war jung, bleckte die weißen Zähne und funkelte mit den Augen, die schwarz waren wie Pech. Er sagte: „Los, Diener des Königs, klopf an die Hütte des Gespenstes, ob es nicht da ist!“ Dann kam aus der Stube, in dem sich das Gespenst aufhalten sollte, das Gespenst, eine Fledermaus. Es war das Gespenst, das Remus durch das Fenster in der Ecke der Stube gesehen hatte. Die Frauen schrien. Die Uhr schluckte die Zeit nicht mehr und Martianna flüsterte: „Stoß das Pendel der Uhr an, denn der Tod wandert auf dem Einödhof umher.“ Das Gespenst war nun überall. Dem Remus war klar, es war Goliath, der das Gespenst rausgelassen hatte. Er musste den Goliath unschädlich machen, um seine Heimat, den Einödhof zu schützen. Dann sah Remus den Goliath  mit einem Pferd fortreiten, Remus stellte sich ihm aber in seinen Weg. Er  hielt mit der Steinschleuder auf den Kopf des Goliath und schrie ihm zu;

„Goliath du bist in das Haus von ehrlichen Leuten eingedrungen. Du hast Gott den Herrn nicht gelobt, du hast dich nicht mit Weihwasser bekreuzigt. Unsere Gnädige hat sich deinetwegen die Tränen mit dem Tüchlein weggewischt. Martiana hat die Hände gerungen, und Marta ist vor dir mehr erschrocken als vor Luzifer aus der Hölle. Du hast das Hausgespenst aus seinem Unterschlupf auf die Leute losgelassen und die ganze Ansiedlung mit Schrecken und Gram erfüllt, Wegen dieser abscheulichen Taten werde ich im Namen Gottes mit dir kämpfen, um dich zu bestrafen! Steig vom Pferd und zieh dein Schwert, und Gott soll zwischen uns richten!“

Goliath schrie: „Du Uonusel, barfüßiges! Wirst du mir wohl sofort aus dem Weg gehen?“ Und gab seinem Pferd die Sporen. Remus aber schwang seine Schleuder. Goliath fluchte: „Der Deiwel soll dich holen, du Miststück. Wenn ich nicht zu faul wäre, wegen solch einer elenden Kröte vom Pferd zu steigen, würde ich dir eine Tracht Prügel verabreichen! Gehe mir lieber aus dem Weg, du Schnodder, und warte nicht, daß mich die Wut noch mehr packt!“

Remus schwang aber weiter seine Schleuder und Goliath drohte: „Du Griebe, du Erbsenschote, wenn du nicht so blöd wärst, würde ich dich hinter diesieben Berge jagen. Gegen wen hebst du eigentlich die Hand? Schau auf die Adler, den ich auf dem Helm trage! Ich bin die rechte Hand seiner Majestät des Königs!“

Remus entgegnete: „Und ich bin David, ein Ritter Gottes! Du bist nur ein Sack voller Fett und ein Werkzeug des Unrechts, Komm nur her! Denn obwohl du auf einem Pferd und mit einem Schwert zu mir kommst, werde ich dich auf dem Boden ausstrecken wie einen vollgefressenen Eber!“

Goliath drohte weiter, wenn Remus nicht aus dem Weg gehe, werde er ihn abknallen wie einen tollen Hund. Remus klemmte einen Stein so groß wie ein Hühnerei in seine Schleuder. Der Goliath feuerte zweimal auf Remus. Der Wald rief: „Die Schlacht des Remus mit Goliath hat begonnen! Die Schlacht, die Schlacht!“ „Gib’s ihm, Remuschen, gib’s ihm!“

Als Goliath geschossen, hatte zerrte etwas Remus am Kopf. Auf Goliaths Helm funkelte die Gestalt eines Adlers. Remus zielte seinen Stein gerade auf ihn. Goliath wurde totenblass, seine Augen verdrehten sich, seine Lippen liefen blau an und bewegten sich tonlos. Goliath fiel vom Pferd. Remus trat auf den auf der Erde liegende Goliath und zog dessen Schwert aus der Scheide. Er stützte sich darauf er setzte seinen Fuß auf den Kopf des Goliath zum Zeichen des Sieges. Martin, Michal und Martianna kamen dazu. Martin erblasste und sagte: „Unglückseliger, du hast einen Menschen erschlagen!“ Remus aber entgegnete, er habe nichts Schlechtes gemacht, sondern nur den Hof beschützt. Martianna jammerte, aber Michal ließ Remus in einem Keller am Berg verstecken. Martianna stieß Remus dort hinein und ordnete an, er solle still sitzen bis sie wiederkomme oder Marta schickte. Wenn er herauskäme, wäre das sein sicherer Tod.

Der Goliath war nicht tot, sondern nur betäubt. Remus saß im Keller wie Daniel in der Löwengrube und hatte Hunger wie ein Wolf. Martianna brachte ihm aber mit einer Schnur Essen und sagte dabei: „Dein Goliath wurde wieder lebendig, und zusammen mit anderen Goliathen sucht er sich überall auf dem Hof. Und wenn sie dich kriegen, werden sie dich nicht mehr lebendig aus ihren Händen lassen.“ Nach drei Tagen holte Marta ihn wieder aus dem Keller raus, denn  die Goliathe  waren nicht mehr da.  Um Remus zu schützen, machten sie aus Marta einen Jungen.

8
Wie der Jude Gaba vor dem Ertrinken gerettet wird, Remus sich das erste Buch kauft und für Marta eine rote Schleife

Als Remus aus dem Keller zurück im Einödhof war, sah sich Michal

die Wunde an Remus Kopf an, säuberte und verband sie und meinte dann: „Gottes Wille geschehe! Was einem bestimmt ist, daran kommt keiner vorbei. Ich habe ja gewußt, wenn dieser Czernik auftaucht, dann geht es nicht ohne Unglück ab.“ Remus hätte besser daran getan, den Stein gegen den Kopf des Angebers mit dem schwarzen Bart und weißen Zähnen zu schleudern. Denn dem liefen Zorn, Streit, Prozesse und Tränen hinterher wie Hunde hinter einem Bettler.“

Hier taucht zum ersten Mal der Name Czernik auf. Czernik wird Remus von jetzt an begleiten. Remus dachte unentwegt an den Czernik und fragte sich: „Sollte er schlimmer als der Goliath sein?“ Damit Remus nicht wieder mit einem Goliath kämpfen konnte, wurde  die Schleuder vor ihm in der Gespensterstube verwahrt.

Remus aber ging davon aus, dass die Auseinandersetzung mit Goliath berechtigt war, denn Remus habe ja schließlich für das Vaterland, den Einödhof, gekämpft. Der Pfarrer mahnte, man solle nicht töten. Man dürfe nur für den Glauben und für die Freiheit des Vaterlandes zu den Waffen greifen und kämpfen. Dann werde man keine Sünde begehen, und ein ritterliches Gebot befehle, auch dann zu kämpfen, wenn ein schlechter Mensch nach der Ehre  einer Frau, nach dem Leben des Nächsten oder nach dem eigenen Leben trachte.  Auch in diesem Falle würde man keine Sünde begehen.

Der Pfarrer riet, Remus weiter zu unterrichten. Michal entgegnete: „Wenn er Unterricht bekäme und tun könnte, was er will, würde er in der Welt noch mehr Unheil anrichten, wie ein von der Kette losgelassener Stier. Aber was eine Knochen angeht, da ist alles in Ordnung. Da kenne ich mich au. Soll er mit seinen Knochen der Erde dienen, die uns ernährt. Und wir lassen ihn nicht von der Kette.“

Darauf meinte der Pfarrer: „Möge der Herrgott dich leiten! Gäbe man die Licht und Schwert, wer weiß, vielleicht tätest du tatsächlich, was dieser anständige Michael sagt.“

Remus erinnerte sich plötzlich an das goldene Schwert unter der Eberesche. „Was sollte aber das für ein Licht sein? Und woher sollte er es nehmen?

Auf dem Hof ereignete sich vorerst nichts Besonderes. Das Gespenst saß eingeschlossen in seiner Stube und im Gesindehaus schluckte die Uhr die Zeit.

Es war vor Weihnachten und der See war zugefroren. Michal brachte Remus und Marta Lieder bei. Er blies das Hornlied auf dem Horn, dessen erste Strophe lautet:

„Was sing das Horn?
Wanderer, aus weiter Ferne, gib acht!
Der Tod kauert auf dem Wegweiser
Um ihn verwischt der Wirbelsturm die Pfade,
Damit du dich verirrst und um weißen Gestöber
Unter seine Sense fällst.“

Eines Tages blies Michal sein Horn für einen Verirrten. Michal und Remus gingen zum See. Ein riesiges Schneetreiben erhob sich. Michal blies sein Horn. Da hörten sie auf dem See ein Rufen. Es kam von einer Stelle, wo der Fluss in den See mündete. Dann sahen sie auf dem vereisten See einen Menschen, der offensichtlich auf eine Wuhne, ein gefährliches Eisloch,  zuging und damit zu sterben drohte. Martin blies das Horn, aber gelang es ihm nicht, ihn so zum Umkehren zu bringen. Remus aber ging zu ihm und konnte ihn retten. Es war der Jude Gaba, der auf dem Jahrmarkt Knöpfe, Nähgarn und Schleifen verkaufte. Remus kaufte von dem Juden ein Buch und eine rote Haarschleife für Marta. Das Buch handelte von der heiligen Genoveva. Genoveva war, wie Gaba erklärte, der Vorname einer frommen und schönen Prinzessin, die, von den Menschen zu Unrecht verleumdet, von ihrem Gemahl unschuldig aus dem Palast vertrieben worden war. Laut Gaba las es der König jeden Abend seiner königlichen Gemahlin vor, wenn er Zepter und Krone in die Kommode gelegt hatte. Das Buch über Genoveva war das erste Buch, das Remus ganz durchlas.

9
Wie sich für Remus die Welt veränderte, wie er das goldene Schwert der hohen Frau übergab, deren Liebstöckl ihn verzauberte

Als es Pfingsten wurde, flüsterte etwas dauernd ins Ohr von Remus: „Lauf zur Schlossruine!“ Die alte Uhr bestätigte: „Lauf, es ist Zeit, s´ist Zeit!“ Viele Jahre waren vergangen, seitdem Remus den Topf vergraben hatte.  Remus lief also zum Schloss.  Remus erinnerte sich an die drei Gespenster  ‚Mühsal‘, ‚Angst‘ und ‚Zwecklos‘. Auf dem Schlossberg traf er vor der gekrönten Eberesche auf die Königstochter. Remus war verzaubert und warf sich der Königstochter vor die Füße: „Fordere mein Leben! Fordere den letzte Tropfen meines Blutes! Alles werde ich dir geben. Befiehl mir, die Sonne und die Sterne am Himmel auszulöschen. Befiel mir, dir das Peitschen der Blitze aus dem Wolken herunterzuholen, um sie dir als Spielzeug und als Scherz in deiner weißen Hände zu legen! Alles würde ich für dich wagen ,mein Blut und mein Leben werde ich dir geben und das Heil meiner Seele!“

Aber die Königin verstand seine verdorbene Sprache überhaupt nicht. In Remus Augen war sie einmal die Königin von der gekrönten Eberesche, dann die tugendhafte Genoveva.

Remus grub den Topf und das Schwert, das er unter der Eberesche vergraben hatte, aus und sprach: „Über alle Schönheiten herrliche Königstochter, Herrin der weißen Schwäne und dieses Schlossberges, nimm von deinem Diener, was dir gehört!“

Sie nahm aber nur das Schwert. Den Topf sollte Remus wieder eingraben, denn es sei ein Sarg mit dem Staub der Vorfahren der Prinzessin. Dann verschwand die Prinzessin. Remus fiel der Länge nach auf die Erde und begann den Rasen zu küssen, über den ihre kleinen Füße geschritten waren.

Anderntags zog das ganze Leben auf dem Einödhof an Remus vorbei.

Trrauer packte sein Herz, er geriet in eine Art von Melancholie. Immer wieder dachte er, wann werde er nur seine Königstochter wiedersehen.

Als er am Sonntag mit Marta in der Kirche in Lipno war, sah er die Königstochter aus der Kirche kommen, schön wie ein Engel Gottes. Neben ihr ging ein stattlicher junger Mensch, mit dem sie sich unterhielt. Das versetzte Remus einen Stich ins Herz wie mit einem glühenden Eisen. Sie schaute noch nicht einmal zu Remus hin. Er sagte zu Marta: „Wenn das eine Versuchung war, dann werde ich durch sie meine Seele und mein Heil verlieren.“ Martha befahl ihm sich mit Weihwasser zu segnen,  damit die Versuchung an ihm vorübergehen möge, aber da half nicht einmal mehr Weihwasser.

Remus lief zur Furt im Wald. Über den Bäumen spielte unaufhörlich der Sturm sein Lied: „Sie ist nicht da, nicht da!“

Remus wurde so schwer ums Herz, dass er ans Sterben dachte. Er steckte sich das Federbett in den Mund, um nicht laut loszuschreien, und ein Schüttelfrost erfasste ihn. Er war so krank, dass Michael ihn mit Aderlassen behandeln ließ. Nachts erschien Remus die Königstochter erneut und Remus suchte sie andertags am Schloss.  Aber vergeblich. Remus quälte sich. Da spürte er eine weiche Hand, die ihn am Haar streichelte. Es war Martas Hand. Sie meinte, sie wisse, was ihn schmerze. Die Frau in der Kirche sei nicht die Königstochter vom verwunschenen Schloss, sondern die hohe Gnädige, die die armen Leute nicht einmal anschaue. Sie habe Remus Liebstöckl gegeben. Wenn sie Remus goldenes Schwert genommen habe, sei es desto schlimmer. Sie habe ihm nämlich die Seele genommen und ihn vergessen. Am Donnerstag erde sie in der Kirche zu Lipno mit dem stattlichen Mann getraut, der mit ihr am Sonntag an der Kirche war.

Martha half ihm beim Aufstehen wie damals vor Jahren als ihn der Bauer so schrecklich verprügelt hatte. Dann trug  Remus Marta durch die Furt. 

10
Wie die Königstochter des Remus getraut wurde und wie die Welt für ihn jeden Wert verlor

Martin verriet Remus, er wolle Marta gern heiraten  Und wollte wissen, ob Remus und Martha ist im Wald getrieben hätten oder nicht. Remus antwortete ihm, Marta sei seit Kindheit so wie eine Schwester für ihn. Wenn Martin sie wolle und die Absicht habe, sie nach katholischer Sitte zur Frau zu nehmen, so sei Gott mit ihnen. Er sehe kein Hindernis

Donnerstag danach wurde die Gnädige in der Kirche in Lipno mit dem jungen Mann getraut. Remus fuhr eilig mit dem Pferdegespann hin. Und ihm fiel ein Liedchen ein, das Marta manchmal sang:

„Und du Vöglein, kleine Lerche
fliegst zu hoch und frei.
Bringe doch von dort mir die Kunde,
wo du fliegst vorbei!“

Die Lerche antwortete:

„Ach; ich muss dir leider künden, böse Neuigkeit,
daß ist schon zur Trauung führen,
deine liebe Maid.“

In der Kirche angekommen, verbarg sich Remus in eine Ecke auf der hintersten Bank oder dem Chor und wartete. Er sah in das Gesicht der Allerseligsten Mutter, wie ein Hund in die Augen seines Herren schaut, ob ihm von daher kein Trost käme. Doch er las nur in ihnen: „Leide, armer Remus, leide! Bedenke, was ist dein Leiden gegen das meine!“ Auch Jesus am Kreuz sprach so. Remus Seele schrie auf. Was sollte er, der  arme Mensch solche Schmerzen aushalten?

Dann kam sie mit ihm, wie ein Engel, ganz in Weiß. Sie schaute nicht ein einziges Mal zu Remus hin. Als sie zum Altar ging, begriff Remus, wie klein und zerlumpt er gegen sie war und wie lächerlich es von ihm war, dass er sich in seinem Winkel bei dieser Feier versteckte. Dann wurden die beiden getraut. Remus fasste den Entschluss, noch bevor sie aus der Kirche gingen, sollte ihn der Tod holen. Als die Hochzeitsgesellschaft sich auf den Ausgang zu bewegte, trat Remus, ohne zu überlegen, aus der  Kirchenbank heraus und warf sich der Länge nach vor der Königin auf der vor die Füße mit dem Gedanken: Jetzt stirbst du.“ Sie aber kniete vor ihm nieder, ergriff mit ihren weißen Händen ihren Kopf und zog ihn hoch. Und Remus fühlte, dass sie sich an den jungen Mann erinnerte, der ihr kniend auf dem Schlossberg seinen höchsten Schatz, das goldene Schwert überreicht hatte.

11
Wie das Böse Remus in Versuchung bringt

Remus erschien das Leben nun sinnlos, und er wusste nicht, was er auf der Welt noch anfangen sollte. Nacht für Nacht schlich etwas um ihn herum. Er wusste aber nicht, was es war. Vielleicht eine Art Teufel? Es kroch wie eine Katze auf die Zudecke und flüsterte ihm ins Ohr: „Remus, hör zu! Ich wünsche dir Gutes. Höre, was ich dir sage: Du wirst auf der Welt keinen Frieden finden, denn deine Königstochter hat dich mit ihren Augen verzaubert. Deine Seele hat sie dir genommen, und dir ein Hundeseele gegeben, die ihrem Herrn folgen muß, obwohl er sie schlägt und ihr Fußtritte gibt. Jetzt wird sich deine Seele unaufhörlich nach ihr sehnen,  und du wirst dir nicht zu helfen wissen.“ „Ich bin die abgewandte Seite des Mondes und das Gewicht an der Weltuhr. Ich bin der Damm am großen Wagen, der nachts am Himmel erscheint. Ich bin das Feuer der lodernden Sterne. Ich bin das Aber und das Nein. Ich sitze an der Triebfeder der Ordnung der Welt und sorge für den ewigen Wechsel von Tag und Nacht, Leben und Tod.“

Er riet Remus: „Hebe deine Hand über das grüne Fensterchen und taste, was du dort findest!“ Remus fand dort einen festen Nagel, der im Balken eingeschlagen war.  „Laß jetzt die nahe los und faß mit der Hand an den Bettfuß.“ Dort lag der lederne Gürtel von Remus. Er ergriff ihn. „Und jetzt nimm den Gürtel, mach aus ihm eine Schlinge. Das eine Ende binde an den Nagel, den ich dir gezeigt habe. Leg die Schlinge und deinen Hals und laß dich dann in der Hocke über dein Bett fallen“ Dann wirst du einschlafen und aller Qual ledig sein! Denn du bist ein Nichts, und etwas anderes wird nicht aus dir werden!“

Jetzt wurde Remus plötzlich klar. das war der Satan aus der Hölle selbst, der ihn in Versuchung führte! „Hebe dich hinweg, du verfluchter Geist! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“

Und Remus schlug den gefährlichen Nagel  mit einem Axtrücken tief in das Brett des Bettes, bis der Kopf des Nahes im markigen Holz verschwand.

Am nächsten Tag riet Michal dem Remus, zur Beichte zu gehen, denn das Böse habe Zutritt zu ihm und seine Seele seufze unter einer Todsünde.

12
Mit welcher starken Medizin der alten Michal Remus heilte

Der böse Geist hatte Remus verlassen. Er dachte aber zuweilen, wann werde ihm die Stunde schlagen? Er wurde ganz kraftlos. Es war Johannis. In dieser Nacht hatte das Farnkraut funkelnde Kohlen an den Wurzeln und oben eine schöne Blüte.  Wer diese Blume finde und die Kohle ausgrabe, habe den Schüssel zum größten Glück der Welt. Michal fragte Remus. ob er wohl heute Kohle und Blume des Farnkrauts suchen wolle. Er aber antwortete, wozu, wenn ich doch sterben müsse. Michal aber meinte: „Sprich nicht so! Alles steht im Gottes Macht! Was einem bestimmt ist, dem entgeht man nicht.“

Remus war zwar schon erschrocken gewesen, hatte aber noch nie einen richtigen Schrecken gehabt. Er war der Meinung, für seine Krankheit gäbe es keine Arznei. Michal machte Remus mit Angstgeschichten von der Schlossruine neugierig. Er sammelte Heilkräuter für ihn. Michal tat so, als wolle er Remus zum Fischfang mitnehmen dahin, wo die Straße nach Lipno über die Stege führt. Remus sollte sich über das Wasser beugen und  sehen, wie gelb er im Gesicht war. Plötzlich fühlte Remus einen Schlag im Rücken. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten und fiel wie ein Stein ins Wasser. Er erschrak furchtbar und sah eine Weile gar nichts Die Kälte durchbohrte ihn wie mit Stecknadeln, und als er wieder auf die Füße kam, zitterte er vor Schrecken und Kälte. Michal reichte ihm die Hand und sagte: „Jetzt komm!“  „Hast du dich nun erschrocken?“ und Remus antwortete, wie solle er sich nicht erschrecken, wenn Michal ihn wie einen Hund vom Stegen gestoßen habe? Und Michal meinte: „Wenn du dich nur erschrocken hast ist es gut!“ Wahrscheinlich hatten Martianna und Michal das verabredet.

Erneut traten die Königstochter, die zwei Schwäne und die Gespenster mit dem Namen „Mühsal“, „Angst“ und „Zwecklos“ auf. Remus bemerkte voller Schrecken, dass er das goldene Schwert an die Königstochter verschenkt hatte.  Er kämpfte mit den Gespenstern und besiegte sie. Das Gespenst „Zwecklos“ aber schüttelte den Kopf, und hundert Glöckchen erklangen. Es bewegt sich die rechte Hand hin und her , warf Scherben ins Wasser, und jedes Mal, wenn es eine Scherbe hineinwarf, schüttelte es mit dem Kopf läutete mit den Glöckchen, lachte und schrie: „Zwecklos !“ Es

lächelte breit und schrie: „Was willst du denn? Ich bin doch deine Frau!“

Darüber erschrak er dermaßen, dass er zu sich kam. Er bemerkte er Marta, die ihre Hand wie eine mütterliche Hand auf seinen Kopf legte. Und Remus erholte sich langsam. Der heilsame Schreck, den Michal ihm zugefügt hatte, diese herbe Medizin, wirkte. Die Krankheit kehrte nicht mehr zurück.

13
Michal erzählte von der alten Geschichte, und das Gespenst läuft vom Hof fort

Michal erzählte am Martinstag von der alten Geschichte der Kaschuben. Er sprach von den Russen, den Schweden und Franzosen, die die Kaschuben überfallen hatten. Er berichtete auch von der Zeit, als er noch ein Kleinkind war. Auf einem Dachboden befänden sich noch schwere Säbel und Gewehre aus einer Zeit, als seine Vorfahren gegen die Heiden Krieg führten, die den heiligen katholischen Glauben ausrotten wollten. Mit diesen Gewehren habe der Vater des Hofherren seine Bauern bewaffnet, um den Hof zu verteidigen. Das seien Schweden oder auch Franzosen gewesen. Sie hätten Pferde gestohlen, ansonsten aber den Hof in Ruhe gelassen.

Michal ging auch auf die Gegenwart ein: „Uns regieren die preußischen Gendarmen. Und wer von uns hat den Mut, ihnen die Macht streitig zu machen? Ich sage immer, daß unsere Menschen mit jeder Generation geringer und schwächer werden. Ja, unser Vorfahren, das waren andere Leute:  ihr Geist war kühn und ihre Faust kräftig! Wie viele Kriege gab es nicht im kaschubischen Land, von welchem die alten Leute zu erzählen wissen! Die Unsrigen führten Kriege mit Kreuzrittern und Schweden; und die Kunde sagt, daß sie sich auf dem Marktplatz von Danzig mit eisernen Kriegsbeilen zerhackten, so daß die Radaune von Blut rot anlief. Aber die Heutigen haben diese großen Taten vergessen.“ Die Männer würden immer schwächer und fauler. Früher habe es hünenhafte Vorfahren gegeben, das sei aber vorbei.

Der Hof kam aber nicht zur Ruhe. Martin war schon zweimal als Soldat registriert worden, und er war überzeugt, dass sie ihn abholen würden. Remus aber war überzeugt, dass ihn wegen seines Sprachfehlers nicht einziehen würden. Ann Maria Lichtmess ging Remus zu den drei Kiefern, zu jener Stelle die er seit seiner Kindheit den Josephsbrunnen nannte.  Remus fragte sich: „Wozu hat dich der Herrgott eigentlich erschaffen, Remus? Was wirst du bis zu deinem Tod anfangen? Wirst du hierbleiben und treu deinem Herrn dienen, bis sie dich auf dem Friedhof nach Lipno fahren? Oder willst du in die Fremde gehen, jenseits der Seen und Wälder, unter fremden Menschen??, wie er es sich als Knabe versprochen hatte. Dann ging er zum Einödhof, vorbei am Keller, in dem er sich nach dem Sieg über Goliath versteckt hatte. Er kam am Pflaumenbaum vorbei zum Fenster, in dem das Gespenst eingeschlossen war. Dort brannte Licht! Und auf dem Hof stand eine fremde Kutsche, auf ihr ein Goliath mit funkelnder Mütze auf dem Kopf. Er stieß eine wilde, unverständliche Sprache  hervor.  Er war das Hausgespenst, das bisher oben eingeschlossen gewesen war! Der Herr sprach mit dem Goliath. Dann fuhr die Kutsche davon wie ein schlimmes Trugbild.  In der Gemeindestube stand jeder Zahl auf dem Gesicht der Uhr wie eine verwunderte Frage.  Auf die Bemerkung von Remus, oben sei Licht und das Gespenst sei vom Hof weggefahren, sagte Michal: „Großer Gott! Wo man Licht macht, flieht das Gespenst.“ Martianna begann laut zu weinen.

14
Wie der Tod hinter der Scheune die Sense dengelte und wie Remus etwas über Ormuzd und Smentkt und deren Taten aus der Geschichte der Kaschuben erfährt

Und dann kam der Tod. Er dengelte hinter dem Tod die Sense. Martianna schickte Remus auf den Dachboden, auf dem so lange das Gespenst eingeschlossen war. Hier traf er einen Menschen auf dem Bettzeug liegend an, weiß wie die Wand und mager wie ein Hobelspan. Auf seinen Wangen blühten Rosen. Dieser Mann wusste, dass Remus den Goliath besiegt hatte,  auch von den drei Gespenstern ‚Angst‘, ‚Mühsal‘ und ‚Zwecklos‘ und von der Königstochter. Dann erzählt er, auch er habe mit einem solchen Goliath gekämpft. Dieser sei danach aber tot gewesen. Dann spuckte der Mann Blut. Der Tod war also für ihn bestimmt. Er selbst sei  Ritter und von Adel und habe für die Freiheit des Volkes gekämpft, als das Volk zu den Waffeln gegriffen habe, um sich  gegen die, welche herrschten, zu befreien. Er selbst habe gegen den Goliath gesiegt, aber dessen Leute hätten doch die Oberhand behalten. An seiner, Josephs Hand, klebe Menschenblut. Er selbst habe dann fliehen müssen, und an seiner Stelle sei das Gespenst hier eingekehrt, bis er zurückgekommen sei und es vertrieben habe.

Josef zeigte Remus ein Porträt eines Unbekannten in einem Soldatenmantel. unter idem ein langer, gekrümmter Säbel und eine Flinte hingen.

Der Porträtierte sei sein Vorgesetzte im Krieg gewesen. Den Säbel hätten die Vorfahren von Joseph am Hals der Türken und Heiden stumpf gemacht, und er habe ihn sein ganzes Leben lang nicht nur zur Parade getragen. So zieme es sich für Ritter und Adlige. Mit dieser Flinte habe er kaum die Knabenalter erwachsen, seinen Goliath getötet. Das Volk wollte Freiheit, aber die Herrschenden wollte ihm diese Freiheit nicht geben. Da griff das Volk zu den Waffen und Josef auch. Doch ein schlechter Mensch habe ihn verraten und einen Goliath auf ihn gehetzt. Es gab keine andere Wahl, einer von beiden musste als Leiche zurückbleiben.

Er sei in der Schlacht mit dem preußischen Diener nicht ungeschoren davongekommen. Denn auch er sei von einer Flinte getroffen worden, und eine Kugel habe seine Rippen durchstoßen. Jetzt sei er in sein Vaterland zurückgekehrt, um hier zu sterben. Auch er selbst habe die Königstochter gesehen, die Remus erwählt habe. Das werde Remus später verstehen. Ein Volk wachse nach oben und erbaue sich ein Schloss zu seinem Ruhm. Doch Wellen und Meereswind überspülten und stürzten es in die Tiefe, aus der es hervorgegangen sei. Das Schloss versinke, und es bedürfe der Arbeit vieler Generationen, um es wieder nach oben zu heben. Er selbst werde ins Grab sinken, aber Remus werde unter die Menschen gehen und an der Wiederaufwachrichtung des versunkenen Schlosses arbeiten.

Remus aber zweifelte. Er sei nur ein armer Hirte und Knecht. Der Mann sagte aber, auf Remus Stirn stehe es geschrieben, und aus seinem Auge spreche der Geist. Auch die Königstochter habe ja gesagt, er solle nicht darauf achten, dass er gering und zerrupft sei. Wenn sie ihren goldenen Schuh auf die Stufensätze des Schlosses setzte, würden die Wälder ringsherum verschwinden und Hütten mit glücklichen Menschen würden emporwachsen, die auf ihre Erlösung warteten wie ihre Königin. Dann werde sich in der Welt ein unbekanntes Volk erheben, von dem die Geschichte längst nicht mehr schreibe. Remus solle nur Mut fassen.

Da sagte sich Remus, lange würden seine Füße wohl nicht mehr auf dem Einödhof herumgehen.

Michal erklärte Remus, der Vater des Mannes im Gespensterzimmer sei der ältere der Sablotzkibrüder gewesen. Sein Vater, der alte Sablotzki, habe ihn auf die Schule geschickt. Der Mann sei in den Jahren der Unruhe aber zurückgekehrt und habe immer davon gesprochen, dass die Kaschuben früher noch  noch die Freiheit und große Fürsten und Herren gehabt  hätten. Und ihr Land sei groß gewesen in der Länge und Breite zwischen den Flüssen und dem Meer. Dann habe sich das Volk aber das Joch auflegen lassen wie dem stummen Vieh. Was einem bestimmt sei, an dem komme er nicht vorbei. Der sterbende Mann sei Herr Joseph. Er sei der Bruder des Hausherrn und ursprünglich der Hoferbe. Er habe die jungen Leute aufgewiegelt, und sie hätten die Flinten und Schwerter vom Dachboden geholt und seien mit ihm auf die Wiese und in die Wälder gegangen, wie es Ihnen der Krieg gelehrt habe. Das sei den preußischen Gendarmen des Königs zu Ohren gekommen und diese Gendarmen hätten begonnen, nach ihnen zu fahnden. Bei dieser Gelegenheit seien Herr Joseph und ein Gendarm aneinander geraten und sie hätten auf Leben und Tod miteinander gekämpft. Joseph habe zwar gesiegt, aber die Gendarmen hätten die Überhand bekommen, und Joseph habe fliehen müssen. Es sei ihnen wohl nicht bestimmt gewesen, dass die Kaschuben ihre Freiheit und Herrschaft wieder erlangen sollten. Jetzt habe der Tod für Joseph die Sense gedengelt.

Remus hatte noch nie davon gehört, das Fremde den Kaschuben die Herrschaft, Freiheit und das Land genommen hätten. Er hatte immer geglaubt, die jetzige Ordnung sei von Weltbeginn an so von Gott bestimmt worden. Michal erwähnte, dass auch Joseph als Kind die Königstochter und das Kind gesehen habe. Deshalb hätten Martianna und Michal Angst um Remus gehabt, als auch er davon begann zu erzählen. Und das sei der Grund gewesen, dass Remus die Prügel von Martianna bekam. Michal riet daher dem Remus, sein Ohr vor dem, was Joseph erzähle, zu verschließen. Sonst werde Remus auch in der Welt herumstreifen. Auch Martianna rief Remus vom Umgang mit Joseph ab.

Remus ging aber doch zu Joseph. Dieser erzählte, er habe beschlossen, die Geschichte des kaschubischen Volkes aufzuschreiben, sei aber vor lauter Unruhe und Wanderleben nicht dazu gekommen. Dann wandte er sich an Remus: „Wenn du doch Licht und Schwert hättest!“ Daraufhin erzählte Remus dem Joseph alle seine Erlebnisse und auch, dass er das goldene Schwert an die Königstochter verschenkt hatte.

Joseph verstand ihn. Und er zeigte Remus eine Karte, in  der die Kaschubei in der Größe, wie sie einst  war vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, von der Weichsel im Osten bis nahezu Berlin im Westen. Es war das alte Land Cassubia. Ein reiches, freies Land mit eigenen Schiffen und eigenen Fürsten bis vor 600 Jahren. Dann sei der Feind vom Sonnenuntergang gekommen und habe aus dem Land Stück um Stück weggerissen und die Kaschuben bis zur Weichsel verdrängt. Warum das Volk sich nicht habe verteidigen können, dafür gäbe es mehrere Gründe. Remus solle unbedingt in das  Zisterzienserkloster nach Oliva gehen. In der dortigen Krypta lägen seit 600 Jahren  kaschubische Fürsten, denen man Dank schulden müsse, weil sie geholfen hätte, dass der Feind die Kaschuben noch nicht ausgerottet habe. Der größte dieser Fürsten sei Swentopolk gewesen. Dieser hatte die Ansicht, nur wenn das Volk zusammenhalte, werde es nicht vernichtet.

Jetzt sei die kaschubische Sprache schon bis zur Oder ausgestorben und die kaschubischen Brüder ordneten sich dem Gesetz und Recht des Feindes unter. Die Kaschuben an der Weichsel seien schon in der Knechtschaft groß geworden und wüssten nun nicht mehr, was früher war und was zu ihnen gehörte.

Joseph hätte Remus am liebsten eine Geschichte der Kaschuben hinterlassen, könne ihm aber nur ein Märchen  erzählen.

Der weiße Gott Ormuzd und der schwarze Geist Ariman  – er heiße bei den Kaschuben Smentk –  seien im kaschubischen Land auf dem Berg Revekol,  der auf das Meer hinausschaue und der die Brüder,  die zur Oder zögen, von denen trenne, die bei Danzig blieben, zusammengekommen.

Ormuzd habe seine Augen,  die so hell wären wie die Sonne, zum Himmel und über Land und Meer gewandt und gesprochen:

„Dieses Land ist Wiege und Sarg. Dieses Volk starb und lebt doch. Auf dem weißen Arkona sind Riesensteine, auf denen der Sohn der alten Veleter mit eiskalter Seele wandert und zu Gott betet in der Sprache seiner Feinde, selbst als Feind seines eigenen Blutes, und taub gegen die Klagen, die aus den Gräbern kommen. An der Weichselmündung verneigen sich die Fischer und Pflüger bis zur Erde und verehren die Bilder der Zuwanderer und Gäste, aber ihre eigenen werfen sie auf den Misthaufen. Ich aber werde aus den steinernen Gräbern Ritter und Führer erwecken und Flammen von der weißen Hela bis zum Felsen Stubenkammer entfachen, damit sie wieder aufleben zu Kraft und Ruhm!“

Und Smentk habe gesagt :

„Ihr Tod und Untergang ist mein Sieg! Unter dem Zeichen des Greifers segelten sie aufs Meer. Blitze waren ihre Schwerter, und Flügel ihres Segel. Mit einem Kranz von Burgen sicherten sie den Frieden ihrer Dörfer und Tempel. Die Anlegestellen am Meer waren Goldgruben. Purpur und Gold sicherten in ihren Ruhm von den Giebeln ihrer Tempel und von den weißen Armen ihrer Mädchen und Frauen. Aber ich schwemmte hungernde Feinde aus dem felsigen Norden auf die elenden Schuten zu ihnen.

In die Grenzen ihres Landes schlug ich sie wie einen Keil und unterstützte sie mit Macht. Ich schritt vor ihrer Truppe einher wie eine Hagelwolke. Eifersucht und Hader gingen als Spione mit. Die mächtigen Reihen ihrer Geschlechter band ich auseinander wie Garben. Und die Garben stellte ich gegeneinander auf, damit der Eroberer aus dem Norden über sie mit eisernen Schuhen nach Süden gehen konnte. Mit den Händen der dänischen Soldaten verbrannte ich das Heilige Banner der  Rugier. Das riesige Standbild des Swentovit stieß ich zu Boden und aus seinen geschnitzten Gliedern machte ich Brennholz fürs Feuer unter die Essenstöpfe der Soldaten. Und nun gibt es sie nicht mehr, die stolzen Veleter! Denn reihenweise liegen sie in den steinernen Gräbern von Mutter Rheda bis zu den Sandstränden von Hela. Nur eine große, graue Schar ungebildeter Bauern und armer Fischer bereitet sich hier auf den Tod vor. Vier Steine mit Moos bewachsen und hohes Schilf, das im Winde über dem öden Brachland röchelt, das sind die Gräber ihre Herren!“

Ormuzd sagte kein Wort. Er streckte die Hand aus und holte unter den Grabsteinen eine Handvoll Staub von den Helden hervor und säte sie wie ein Sämann Korn sät. nach Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, und gegen Norden und Süden. Der Staub fiel auf die Erde wie ein Sternenschwarm und wie brennende Funken. Und wo ein Funke niederfiel, da brach Feuer aus der heiligen Erde hervor und verband sich mit dem Feuer zu einer Flamme.

Smentk verzog sein Gesicht und funkelte mit einem bösen Auge und griff in das Loch der modrigen Ulme hinein. Dort saß ein alter Geier. Er nahm ihn auf die Hand, faltete seine Flügel auseinander, riss ihm Feder um Feder aus und ließ sie mit bösem Wind nach den Funken fliegen. Und die Federn des Geiers fielen auf die Erde, und jede brütete Uhus und Geier aus. Und mit ihren grauen Flügeln fielen sie über die Feuer  her und löschten die Flammen.

Doch der weiße Geist Ormuzd hörte nicht auf, heilige Asche auf die kaschubische Erde zu säen. Und die Funken fielen trotz der Uhus und Geier wie ein Sternenschwarm nieder.

Da verstand Remus: Er würde der Funke des Ormuzd sein.

Joseph sprach: „Du wirst gehen und die äußersten Grenzen besuchen, wo man auch unsere Sprache spricht und wirst sie fragen: ‚Willst du das versunkene Schloss erlösen, die Königstochter durch das tiefe Wasser tragen?‘ Und wer dir antwortet:  ‚Ich will‘, wird ein weiterer Funke des Ormuzd sein. Und es wird eine Zeit kommen, da ihrer so viel sein werden, daß sie über den Gräbern unserer Helden zu einer weiten Flamme zusammenschlagen und die Uhus und Geier verbrennen. Dann wird das versunkene Schloss in Ruhm hervorkommen, in ihm wird sich die verzauberte Königstochter auf den Thron setzen, und in unserem Land werden Freiheit und Wohlstand und Glück herrschen.“

So sprach Joseph. Abends schlug die Uhr plötzlich die zwölfte Stunde und Joseph war tot.  Als sie die Gebete für den Verstorbenen gesprochen hatten und alle hinausgegangen waren, wandte sich Remus zu dem Toten hin, ergriff seine abgezehrte Hand, küsste sie und schwor: „Ich werde deine Wünsche erfüllen und ein Funke des Ormuzd zu sein.“  Und das Perpendikel der Uhr in der Stube stand still.

15
Wie sie den Leib des Herrn Joseph auf dem vergessenen Weg zum Friedhof fuhren und wie Remus vom Einödhof Abschied nahm

Auf eigenen Wunsch wurde der Leichnam von Joseph über die alte verwunschene Straße, vor der alle sich fürchteten, nur Remus nicht, zur Schlossruine nach Lipno in die Kirche gefahren und dort auf dem Friedhof beerdigt. Der Weg der verwunschen Straße wurde extra dafür freigelegt.

An der Furt scheuten die Pferde. Remus entdeckte die zwei Schwäne, denen er einst unterhalb der Schlossruine begegnet war.

Und er sah auf der Spitze des Schlossberges eine Gestalt, über die er sich wunderte. Da lief Remus zur Schlossruine, um nachzuschauen. Er traf dort einen hochgewachsenen Herrn mit einem langen Bart, einer Adlernase und funkelnden Augen, der fragte, ob der Verstorbene der Herr Joseph sei. Er habe nicht erwartet, dass noch je ein Kaschube den alten Weg zum Schloss wiederfinden würde und sei es auch nach seinem Tode. Remus erwiderte ihm, die Lebenden hätten den Weg wieder freigehauen.

Auf die Frage von Remus, was der Mann hier tue, antwortete dieser, er wolle das versunkene Schloss erlösen und die verzauberte Königstochter wieder auf den goldenen Ton setzen.

Daraufhin begann der ganze Wald in Remus Kopf zu rauschen, Funkeln durchliefen ihn von Kopf bis Fuß, die Angst packte ihn beim Schopf und er fiel vor die Füße dieser seltsamen Gestalt. Diese hob ihn aber auf und sah ihm lange in die Augen. Dann sagte der Mann: „Lauf, denn sieh, der Schein eurer Fackeln versinkt immer tiefer im Wald und das fromme Lied ertönt immer schwächer. Erweise dem Ehre, den sie dort geleiten. Denn er ist von dem Geiste, der Throne und Schlösser wieder zum Leben erweckt. Ich kenne ihn.“

Remus fragte ihn darauf den Mann, wo er ihn wiederfinden könne. Dieser antwortete, Remus werde ihn überall dort finden, wo die Funken des Ormuzd brennen würden und wo  der Geist der  Kaschuben den Sargdeckel anhebe.

Sobald nach Philippi Kartoffeln gesetzt waren, ging Remus in die Fremde. Der Herr gab ihm ein ein neues Wams, Hosen, Schuhe und 20 Taler für die Reise. Michal sagte: „Geh mit Gott!  Was einem bestimmt ist,  dem entgeht er nicht“. Auch Marta verabschiedete sich.

Als Remus beim Fortgang den Fluss erreicht hatte, stand dort am Ufer Marta. Sie hatte in der Hand ein Skapulier, ein Schultertuch. Traurig legte sie es ihm um den Hals. Danach drückte sie sich fest an Remus und weinte zitternd wie Espenlaub. Sie bat Remus, zum Hof zurückzukommen. Er sei doch ein armes Waisenkind und fremde Leute würde in seine Sprache nicht verstehen, während der Hof ihn sehr gut verstünde.

Marta hatte in ihrem Haarzopf das rote Halsband, das Remus ihr vor vielen Jahren vom Juden Gaba gekauft hatte. Da konnte Remus sich nicht länger halten, und er weinte mit Marta zusammen.

Dann erklärte sie ihm ihre Liebe. Wenn er wolle, würde sie seine Frau in guten und bösen Tagen werden. Es bestand schon immer ein starkes Band zwischen den  beiden, Marta hatte sich sehr um ihn gekümmert. Remus wurde schwach und seine Seele schmolz beim Martas Worten dahin, wie das Eis unter dem warmen Auge der Sonne zu Maria Verkündigung. Dann aber tauchten wieder Schwäne auf, schneeweiß, erhaben, königlich und sahen die beiden mit ihren wunderbaren Augen an. Sofort fiel alle Schwäche von Remus ab und seine Brust wurde hart wie Stahl. Er widerstand Martas Worten und sagte: „Bei euch bleiben kann ich nicht. Eine unbekannte Kraft zieht mich und ein Wille, der stärker ist als der meine. Der Herrgott weiß, warum das so ist.“ Er ließ Marta stehen und ging mit kräftigen Schritten weiter.

 

Zweiter Teil

Das  abenteuerliche Leben des Remus. In Freiheit und Gefangenschaft.

 

16
Wie Remus Händler wurde

Beim Wandern traf Remus den Juden Gaba. Dieser erkannte ihn an seiner gestörten Sprache. Gaba ging mit Remus zum Schulmeister nach Lipno, wo Remus schlafen konnte. Er riet Remus, sich eine Karre mit einem Rad zu kaufen und Händler für Kirchenbücher, Rosenkränze und alles, was das kaschubische Volk so alles brauche, zu werden und verkaufte ihm seinen Wagen. Remus glaubte, als angehender Händler würde er am besten das Wort halten können, das er dem seligen Joseph auf dem Sterbebett gegeben hatte. Dann lehrte Gaba dem Remus sein neues Handwerk. Er gab ihm einen Kalender, in dem alle Jahrmärkte und Kirchweihen aufgezeichnet waren, wohin er seine Waren bringen konnte.

17
Remus geht mit dem Musikanten Tromba in die Welt

Am nächsten Tag traf Remus den Spielmann Tromba aus Lipno mit seiner Trompete und Geige. Tromba wollte Remus bei seinen Wanderungen begleiten, dieser wehrte aber mit Bezug auf seine gestörte Sprache ab. Tromba entgegnete, alles was seine Geige singe und seine Trompete blase, verstehe er, er verstehe auch, was der Wald spiele und der Fluss singe. Wie sollte er da eine menschliche Sprache nicht verstehen, auch wenn sie fehlerhaft sei wie die von Remus?

Sie sprachen über das Heiraten und Remus meinte, er werde niemals heiraten. Tromba hatte in der Hand eine Flasche Schnaps und erwiderte, das habe er auch einmal gedacht. „Trotzdem, wenn sie dir eine Falle stellen, erwischen sie auch dich! Merk dir das: Obwohl eine Frau scheinbar das schwache Geschlecht ist, hat sie doch so viel Erfindungsgabe im kleinen Finger, wie der Mann im ganzen Kopf. Diese Flasche soll auf der Stelle leer sein, wenn ich wüßte, wie ich in den heiligen Ehestand geraten bin! Freiwillig war es jedenfalls nicht.“

Und Remus und Tromba wanderten zusammen durch die Welt. Abends suchten sich die beiden ein Nachtlager, und Tromba schlug vor, in einer alten Mühle bei Zwada zu übernachten. Allerdings spuke es dort. Er fragte Remus, ob er Angst habe, was Remus verneinte. Tromba selbst setzte seine Mütze auf einen Stock und sagte: „Zwei sind zwei, und zu zweit fürchte ich mich nicht!“ Sie wanderten also zur Mühle und ein alter Mann begleitete sie.  Er erzählte, dass die Mühle schon lange nicht mehr arbeitete, weil die Gnädige ihr Geklapper nicht hören wollte. Seit die Mühle stillgelegt wurde, habe das Land aufgehört furchtbar zu sein. Jeden Abend seien am Hof aber Gäste und Musik. Sie sprachen eine fremde Sprache, welche die einfache kaschubischen Leute nicht verstanden. Diese Gäste wunderten sich, dass es noch eine Sprache wie die kaschubische auf der Welt gab, und auch der Herr selbst tat so, als ob er sie nicht mehr verstünde.  Der Herr wolle anderen Tags die Mühle, die Gewässer, den Wald und das ganze Land an Zugewanderte aus Deutschland verkaufen. Um das zu verhindern, sei der alte Mann mit anderen zusammen zum Herrn gegangen, sie seien aber von ihm weggejagt worden. Gerade sei ein schöner Herr aus der Stadt bei ihm mit schwarzen Augen und einem schwarzen Bart. Dieser erinnere ihn an Luzifer, in eine herrschaftliches Wand gekleidet. Er bleckte nur die Zähne und sagte zu dem Alten und seinen Begleitern in seiner Sprache: „Leutchen, macht unseren Herrn nicht meschugge im Kopf. Er weiß, was er tut. Ihr müßt bedenken,  Land ist Ware wie zum Beispiel dein Kalb. Wenn du willst, kannst du es vom Kopf bis zum Schwanz verkaufen. Hauptsache, der Preis ist gut.“

Der Alte fragte den Bärtigen, nicht weit von diesem Gut liege ein Friedhof am Waldrand, wo die Vorfahren des Herrn ruhten. Seien auch das Waren?  Natürlich, antwortete der Schwarzbärtige, wenn Land mit einem Zaun umgeben sei, habe es einen Wert. Da könne man nämlich Kartoffeln setzen. Aber die Leichen in der Erde hätten keinen Wert. Kein Mensch würde für sie auch nur einen Pfennig geben.

Dabei grinste der Teufelskerl mit allen Zähnen.  U nd der Herr jagte den Alten mit seinen Begleitern fort und beleidigte sie: „Macht, daß ihr fortkommt,  ihr Schorfketen! Sonst verprüle ich euch wie Hunde, ihr Mammutte“. Niemals habe der Herr so etwas Scheußliches wie ‚Mammut‘ gesagt. Der Lehrer habe erklärt, was das heiße. Es seien Tiere zehnmal größer als ein Elefant, die in Urzeiten auf dieser Erde gelebt hätten. Mit solch einem Ungetüm habe der Selige sie verglichen, das habe ihnen alle Lebenslust genommen.

Dann zeigte der Alten den beiden Freunden den Weg zur Mühle.

18
Wie Remus in der Mühle über das Gespenst siegte

Sie wollten im Sägewerk des Gutes Zwada schlafen. Tromba verließ sich gegen seine Ängste auf seine Trompete und Geige, gewissermaßen als Kanone. Die Mühle sollte angeblich nicht in Betrieb sein. Tromba fiel aber auf, dass an ihr Reparaturen vorgenommen wurden.

Tromba meinte, vielleicht trieben irgendwelche Geister ja ihr Unwesen und legten den Lebenden Trugbilder auf die Augen. Alte Leute erzählten, dass zur gegebener Stunde aus dem Wasser und aus der Erde Schlösser und Königstöchter als Tageslicht träten, die arme Leute um Erlösung anflehten. Das sei allerdings nichts als Täuschung und Gestalten ohne Körper, die den Menschen da vor die Augen kämen. Remus sagte eindrücklich zu Tromba, das stimme nicht. Denn er habe selbst die verzauberte Königstochter und das versunkene Schloss gesehen. Das sei in keinem Falle eine Einbildung und kein Märchen. Er sei damals nur zu klein und zu schwach gewesen, um die Königstochter durch das Wasser zu tragen und um die schrecklichen Gespenster ‚Mühsal‘, ‚Angst‘ und ‚Zwecklos‘ zu besiegen. Nun werde er bis zum Ende seines Lebens auf der Welt umherwandeln und Leute suchen, die den Mut dazu aufbrächten. Dann stellte Remus Tromba als erstem seine Fragen: „Würdest du das versunkene Schloss erlösen? Willst du die Königstochter durch das tiefe Wasser tragen?“ Aber Tromba antwortete: „Du bist wohl nicht ganz bei Trost!“

Beide wollten schlafen.  Da bewegte sich plötzlich eine Säge von allein. Tromba fürchtete sich sehr. Hinter der Wand plätscherte und toste das Wasser. Es spukte. Die Angst machte Tromba mutig, und er schaute nach, schrie dann aber vor lauter Angst. Remus erkannte am Gatter das Gespenst ‚Angst‘, das die Königstochter Remus gezeigt hatte. Es hatte ein Maul wie ein Eber, Augen, aus denen grüne Strahlen schlugen und eine Haut, die in den Regenbogenfarmen schillerte. Remus packte den schlüpfrigen Körper, brachte ihn zu Fall  und drückte den Kopf unter das Wasser. Das Gespenst fiel aber über Remus her. Dann  warf Remus das Gespenst über das Gatter, welches das Wasser staute, und er siegte. Tromba spielte mit seiner Trompete ein frommes Lied. Die Sonne kam und vertrieb den nächtlichen Spuk. Dann hatte Tromba vor dem Verdammten dieser Nacht keine Angst mehr. Er glaubte jetzt, das Gespenst sei ein Meister gewesen, der die Mühle reparierte. Denn Remus hatte Fleisch und Knochen gefühlt, das Gespenst ließ einen Furz, es gab aber keinen Gestank wie von Teer, vom Ziegenbock, Wildschwein oder vom Teufelsgestank. Was Remus und Tromba sahen, hielt Remus damals für das Gespenst der Angst.

19
Wie Remus beim Höllengelage sang

Tromba und Remus wurden gebeten, wieder nach Zwada zu kommen, damit die Leute von Remus Sachen  kaufen konnten. Das tat Remus aber nur ungern, weil der Herr von Zwada sein Gut an Deutsche verkaufte und damit der Smentk dem Volk der Kaschuben wieder ein Stück Land aus dem Westen wegriss. Remus blieb also. Mit einer Kutsche kam dann der Spottvogel, der auf dem Einödhof war, als das Gespenst herumlief und Remus mit dem Goliath kämpfte. Er hatte weiße Zähne und einen schwarzen Bart und er sollte einen Vertrag aufsetzen. Remus erkannte in ihm den Geist des Ariman, den Smentk, der gekommen war, die Kaschubei zu verderben. Tromba aber wusste, dass es der Czernik war, ein breit bekannter Anwalt, der die Leute vor Gericht verteidigte und Verträge aufzeichnete.  Der Herr des Hofes hatte mit seiner Hilfe sein Gut verkauft und einen erfolgreichen Handel abgeschlossen. Czernik erkundigte sich bei Tromba nach Remus, und Tromba stellte ihn dem Czernik vor. Dieser forderte, dass Tromba seine Musik spielte und Remus dazu sang. Remus aber sagte zu sich: „Du bist der kaschubische Smentk! Ich kenne dich. Du bist unser böser Geist!“ Czernik hatte vielleicht in Remus Augen den Funken des Ormuzd erkannt und führte ihn  auf die herrschaftliche Veranda.

Der hiesige Hausherr war ein größerer Herr als Sablonski auf dem Einödhof in Lipno. Der Flur hatte dementsprechend eine große, breite Treppe. Und an der Treppe saß der Tod, so wie er auf dem Einödhof gedengelt hatte. Czernik fletschte seine weißen Zähne und rief: „Was steht ihr da, als hättet ihr den Tod gesehen? Los, weiter!“ Wie von einer höheren Macht geleitet, folgten die beiden Freunde dem Czernik in ein großes Zimmer, in dem zwei Männer – der jüngere hatte einen blonden Bart – Deutsch sprachen, was Remus aber nicht verstand. Mehr als eine Stunde kauderwelschten die Männer mit dem Czernik, und er schrieb irgendwelche Teufelsrezepte auf ein großes Papier. Dem Remus fiel dabei ein Säbel an der Wand auf, dessen Griff mit Gold und Edelsteinen besetzt war. Und Remus sagt sich: „Das ist sicherlich der Säbel, mit dem die Vorfahren des jetzigen Herrn ihr Land gegen den Feind verteidigten, den ihnen der Smentk herbrachte, und ihr Nachfahre verkauft es heute um einen Sack Gold. Schande über ihn!“

Beide Herren unterschrieben den Vertrag und der Czernik rief: „Der Kontrakt ist unterschrieben! Jetzt spiel, Musikant!“ Beide folgten Czernik.

Da tauchte der Tod wieder auf. Der Czernik sah ihn auch. Dann kam es zu einem Dialog  zwischen dem Hausherrn und dem Czernik. Der Hausherr sei wie Remus und Tromba auch gebürtiger Kaschube und noch dazu aus einem alten kaschubischen Geschlecht. An der Wand hing ein Wappenschild. Der Herr verwies darauf, der Greif auf dem Wappenschild sei sein einziges kaschubisches Andenken. Kaschubische Herren gäbe es nicht mehr, und mit den einfachen Bauern und Fischern habe er nichts zu tun. Darauf sagte Czernik lächelnd: Wenn der Mann mit dem blonden Bart, Herr Müller, nach Berlin fahre, werde er bald die letzten Kaschuben vertreiben oder nach seinem Modell umarbeiten. Und der Hausherr gab zur Antwort: „Er wird gut daran tun. Denn denken wir nur – das ist ein Volk, das nicht leben und nicht sterben will. Wie ein Bettler im Spital. Wie haben sie mich damit belästigt, daß ich das kaschubische Land nicht in fremde Hände verkaufte! Doch das, was Zwada gehört, ist mein Eigentum und ich kann damit machen, was mir gefällt.“

„Richtig“, sagte Herr Czernik. „Deshalb hat ihr Sohn recht, daß er zum Vertragsabschluß gar nicht erst hergekommen ist. Wie hat er doch geschrieben? Geliebter Vater! Was soll ich auf unserem Einödhof voller Fliegen und vorsintflutlicher Kaschuben mit ihrer komischen Sprache? Meine Schwestern sind heute zu einem Ball eingeladen, und ich begleite sie. Ihr werdet selber zugeben, daß dies wichtiger ist, als ein Stückchen kaschubischen Landes loszuschlagen, für das man Euch gut bezahlen wird.“

Der Herr winkte ab. „Er hat recht. Und dennoch saß mein Geschlecht über lange sechshundert Jahre hier, und die Kinder könnten irgendein Andenken mitnehmen.“ „Dann sollen sie diese Dekoration mitnehmen“, sagte der Czernik und wies auf Schild und Säbel an der Wand.

Da rief Czernik, Tromba solle spielen und dabei Remus singen. Tromba begann die Geige zu spielen, und Remus dachte bei sich:

„Es ist unsere Geschichte, wie sie mir Herr Joseph auf dem Einödhof erklärt hat. Das alte Geschlecht dieses Herrn vermoderte tief von innen heraus, und jetzt stürzt ihn der Blonde um zusammen mit dem Smentk, der in Gestalt des Czernik den Vertrag aufgesetzt hat.“

Nach einer Weile rief  der Czernik: „Jetzt nimm dich zusammen, Tromba, denn ich werde jetzt etwas singen, was deine Geige noch nie gespielt hat. Paß auf, daß sie dir nicht auseinanderspringt“. Und der Czernik begann zu singen:

„Schwarze Nacht, goldene Nacht,
wie groß ist deine Macht!
Mit deinem glitzernden Sternenmantel
verdeckst du das Elend der Häuser.
Und was der helle Tag zusammengelogen hat,
verräterisch Licht und Schatten teilend,
das versinkt in deinem tiefen Grund
wie ein schwerer Traum.
Du stößt den Tagelstern herunter
und ruft die nächtlichen Geistes zusammen,
damit sie hinter dem Schutz deiner Tore
große Träume einleiten lassen,
deren Kraft sie treiben wird
bis jenseits der Grenze von gut und böse.

Tief in der Erde schlummert die Rache.
Tief in der Erde schläft der Hühne.
Als er morgens erwachte,
setzte er seinen Schritt in zwei  Ströme,
unser schwarzes, funkelndes Heer,
geführt von der Angst,
von Verrat, Zorn und Aufruhr,
stieß den Riesen zu Boden.
Der Donner unserer Pferdehufe
erdrückte seine Brust,
bis der vergessene Wille des Blutes
aus ihr hervorbrach wie eine blutige Flamme.

Leeres Feuer, leere Mühe!
Kein Fluch, kein Wunder, keine Macht
bringst die Befreiung,
wenn oben schon die Macht kommt.
Wem die Morgendämmerung eine Reise
und den Glauben an das Kreisen der Sterne gibt,
der stirbt in der Abenddämmerung,
ein armes Geschöpf der Sonne und des Tages!
Dieses Recht und diese Ordnung,
ist so vorherbestimmt.

Aber wen die Nacht gebiert,
dem fließt Kraft aus der Hölle zu.
Gleich schätzt er Tugend und Sünde,
und es ertönt das Lachen des Smentk,
der über Gräber donnert.
Bis die Sonne zur Asche verbrennt,
und die Majestät der ewigen Nacht
die Welt unter ihr Zepter nimmt.“

Remus wusste jetzt ganz genau, dass der singende Czernik der Smentk war. Er beantwortete einen Höllengesang mit einem anderen Gesang:

„Schwarzer Geist, leere Angst!
Du drohst mit einem Heer in Pechfunken,
aber Gottes Wächter werden die Sonne
wieder zu ihrem ewigen Kreislauf herausführen
Und den Riesen zwischen den zwei Strömen,
der erdrückt im Grab liegt,
wird die morgendliche Rosenblüte
wieder zum Leben erwecken.
Aus den Grabhügeln erstanden,
wird er die Heer in Fetzen schlagen.
Dann wird der schreckliche Gebieter ‚Angst‘
zu Funken aus Pech zerstieben.
Vergeblich ist des Teufels Zorn und Geifer.
Wart nur! Der Hahn wird noch krähen.“

Etwas hatte Remus verhext. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Er warf das Glas auf den Boden und erhob die Hand gegen den kaschubischen Herrn, der unter der Vormundschaft des Bösen sein väterliches Erbe verkaufte. Dann sang er mit reiner, klarer Stimme:

„Der Smentk hat dich gefesselt, der Böse hat dich besessen!
Du hattest Land, jetzt hast du keins.
Du hattest weite Seen;
Gottes Auge über den Feldern
segnete den gepflügten Acker;
gab dir des Brotes Frucht.
Du hattest Mühlen an Wassermündungen.
Und am Wald ruht im Schatten
der alte Stamm deiner Vorfahren,
von Geschlecht zu Geschlecht,
in langen Gräberreihen
wie eine Front Schlafender.
Nahmst du bei Tage den Stab in die Hand
und gungst bis zum Kruzifix an der Grenze,
vielleicht täte es dir sein leid?

Statt den Vätersitz zu schützen,
ziehst du es vor, Verräter,
bei Nacht zu fliehen.
Smentk hat dich gefesselt, der Böse hat dich besessen.
Du hattest Land, jetzt hast jetzt keins.
du wirst warst geehrt und geachtet
Schande wird wirst du jetzt essen,
denn der Geldsack war dir lieber.
So wird der Fluch auf den Haupt fallen.
Der Henker steht vor der Tür,
der Bruder des Teufels entreißt dir die Seele!
das Land wird deinen Leib ausspeien,
bevor noch das Kreuz auf deinem Grabe stehen wird!
Des Goldes trüber Quell wird versiegen.
Dein Nachkomme wird zum Bettler werden,
seinen Nacken in einem fremdes Joch stecken
und deinen Namen verfluchen!
Das Leben deiner schönen Töchter
wird ein leichter Span sein;
Und ihre Ehre
werfen sie vor die Hunde.“

Dem Abtrünnigen stieg das Blut zu Kopf, und er lief schwarz an. Remus  riss den Säbel von der Wand, zerbrach ihn über dem Knie  und schleuderte die Stücke dem Gutsherrn Savadeski von Zwada vor die Füße, der darauf rot wie Blut und danach schwarz wurde. Er schrie kurz, stand dann auf und fiel schwer in den Sessel zurück. Sein Kopf hing bis auf die Brust wie bei einem Verstorbenen.

Und Czernik sagte: „Er lebt nicht mehr, aber der Vertrag ist unterschrieben.“ Der Mann mit dem blonden Bart entpuppte sich als das Nachtgespenst aus der Mühle. Er schrie: „Der Herr ist totgeschlagen! Kommt her, Leute, und packt den Mörder!“ Czernik aber rief:  „Euer Herr lebt“ und sagte seltsam lächelnd zu Remus: „Remus, Ritter der Sonne! Wir werden uns noch wiedersehen!“ Dann flohen Remus und Tromba. Und Remus sah eine weiße Gestalt mit einer Sense.

20
Remus und Tromba auf dem Glonek und der tanzende Heuschober

Als die beiden weiter waren, sprach Tromba zu Remus: „Du hast das Gespenst in der Mühle verprügelt. Du hast den Säbel des Herrn zerbrochen, so daß ihn der Schlag  traf. Wenn nicht dieser Czernik gewesen wäre, hätten die Leute über uns sofort ein Standgericht abgehalten. Und Gott weiß, wie wir aus ihren Händen herausgekommen wären! Du wirst sehen, daß sie uns noch die Gendarmen nachschicken und uns ins Gefängnis sperren!“

Remus versicherte Tromba, dieser habe keine Schuld, und er, Remus selbst habe nur gerecht gehandelt.

Tromba schlug vor, nach Berent zu wandern, weil dort an den kommenden  ‚Kreuztagen‘ die Menschen  aus der ganzen Kaschubei einen Zug nach Neustadt unternehmen würden und  die Gendarmen sie dann in dem zu erwartenden  Gewühle nicht finden würden. Männer vom Wdzidzen-See und die Gochoer – Nachkommen früherer Adliger – seien auch solche Hünen wie Remus, und seinen Karren könne er auch unterstellen. Kein Gendarm würde dann den Remus als Remus erkennen.

Und Tromba schlug Remus vor, sich auf einer Insel des Wdzidzen-Sees, die Glonek heißt, zu verstecken. Dort hätten sich schon andere Kaschuben vor den preußischen Gendarmen verborgen. Am See angekommen, fuhren sie mit einem Boot hinüber. Im Nebel war die Wdidzen-Insel zu sehen. Als sie weitergingen, sah Tromba voller Schreck, wie sich ein Heuschober bewegte. Tromba nahm seine Trompete und begann gegen das Böse zu blasen. Da dröhnte vom Schober eine Stimme und verlangte einen Tanz. Vor Schreck fiel Tromba in das Moor. Aus dem Schober kam ein großer Mann mit langem, weißem Bart, hohen Stiefeln, einer Schaffellmütze und einem Gewehr hervor. Tromba musste aus dem Moor gezogen werden. Der Mann war Herr Vaspon Mucha Saborski, der König des Sees. Er und Tromba kannten sich. Vaspon stand mit dem preußischen König im Krieg. Mucha sagte, er sei aus seinem Saborennest vertrieben worden. Dort seien nur seine Frau und Tochter. Saborski hatte von den Geschehnissen in der Mühle gehört. Man erzähle sich aber, Czernik habe Tromba mit Luzifer selbst in Gestalt eines Mannes so hoch wie ein Turm eingeladen. und als der Herr den Vertrag unterschrieben habe, sei der böse Geist vorgesprungen, habe ihm den Hals umgedreht, die noch warme Seele aus ihm herausgezogen und sei mit ihr durch den Schornstein zur Hölle gejagt.  Savadeski habe von Kindheit an die Seinen, die Kaschuben, verachtet. Seine Vorfahren, die Saborski hätten aber immer das Erbe der Väter geachtet. Auch sie stammten von Riesen ab. Sie wichen vor Gewalt nicht zurück. Saborski erzählt dann eine alte Geschichte. Am saborischen Ufer habe ein Mädchen einstens Wäsche gewaschen. Ein Riese sei gekommen, dessen Herz vor Liebe entbrannt sei. Er habe sie sich zur Frau genommen, und von diesem Riesen stammten die großen Saboren ab. Man nenne sie Mucha, also Fliege. Die Mucha hätten ihre Rechte gegen die Olivaer Mönche, gegen die Kreuzritter und gegen die Preußen verteidigen müssen. Nur in polnischen Zeiten habe man die Zügel locker gelassen, weil die Muchas Adlige und Ritter waren. Vaspon versprach, mit dem Wallfahrtszug nach Neustadt mitzumarschieren. Dann lud er Remus und Tromba als seine Gäste ein.

21
Remus und Tromba gehen mit dem Seekönig nach Neustadt. Die Berenter  Musikantin und Bildträger

Der Seekönig kam am Samstag in Verkleidung eines Bettlers mit einem Knüppel, und sie fuhren gemeinsam mit einem Boot durch den See. In Angesicht des Kirchturms von Berent trennten sie sich. Alle „aus unserer Kaschubei“ kamen dort zusammen bis hin zu denen, die im deutschen Pommern unter Andersgläubigen verstreut lebten. Auch die vom Mirchauer Forst und von den Ufern der Radaune bei Danzig. Alle, die in Neustadt zusammenkamen, waren richtige Kaschuben. Sie gingen dort unter dem Bild der Mutter Gottes den weiten Weg zu den Kalvarienbergen.

Remus versteckte sich nach dem Gottesdienst außerhalb der Stadt Berent, war aber abends auf dem Marktplatz. Da stand plötzlich der Czernik aus Zwada vor ihm. Dieser droht ihm, Remus werde für das, was er in dem Mühle und auf dem Hof gemacht habe, ins Gefängnis kommen. Auf Zwada sitze jetzt ein Deutscher. Die Deutschen hätten jetzt die Oberhand. Man werde Remus einlochen, weil er keinen festen Wohnsitz habe. Auch zum Schulmeister in Lipno werde ein Einladungstermin zur Gerichtsverhandlung geschickt. Czernik werde Remus aber schützen. Auch der Seekönig müsse ins Gefängnis. Er habe nämlich einen Förster erschossen. Czernik habe fünf Jahre Haft für ihn ausgehandelt. Remus solle dem Seekönig sagen, er solle seine Adlernase besser verstecken und nicht so mit den Augen funkeln, das stehe einem Bettler nämlich nicht.

Dann verschwand der Czernik, und ein herabfallendes Paket traf Remus fast tödlich am Kopf. Tromba kam mit anderen Musikanten heran. Sie hießen Frontzk, Magus, Stach, „Leo mit dem Tropfen an der Nase“,-  er war Stachs Bruder – , der „Kleriker“, – denn er redete oft auf Latein und Kamerad Weber.

Tromba, der beobachtet hatte, wie das Paket Remus fast getroffen hatte, kehrte mit den Musikanten und Remus bei Neumann, der berühmtesten Gastwirtschaft im Berenter Land, ein, und Remus entdeckte dort den verkleideten Seekönig mit seiner Krücke. Remus erzählte ihm, dass er auf dem Marktplatz den Czernik getroffen hatte und auch, was Remus dem Seekönig sagen sollte. Der Seekönig fragte Remus, was für ein Unglück Remus danach getroffen habe. Remus fiel auf diese Frage sofort das herabfallende Paket ein. Der Seekönig entgegnete darauf: „Du siehst, was der Czernik für ein merkwürdiger Mensch ist. Ich denke manchmal, daß irgendein Böses ist ihm sitzt. …  Wenn ich ihn sehe, dann ist es, als erschiene mir der böse Geist. Ich, der ich mich nur vor dem Herrgott im Himmel fürchte und vor niemandem sonst, bekomme es mit der Angst, wenn ich ihn sehe. Und jedesmal, wenn ich ihn sehe, lauert ein Unglück auf mich.“ Der Seekönig erzählte Remus mehrere Beispiele, bei denen ein Unglück im Beisein des Czernik passiert war.

22
Remus entkommt den Gendarmen, zieht mit der Gesellschaft durch den Mirchauer Forst und sieht das Gespensterheer

Der Wallfahrtszug ging weiter. Das Bild der Muttergottes wurde von zwei starken Männern vorangetragen.

Da trat in Miechutschin eine Frau, die alte Julka, an Remus heran. Sie galt als Prophetin und sagte von sich, sie sehe, was gewesen sei und was kommen werde. Sie warnte Remus vor  zwei Männern im Dorf mit blitzenden Helmen und Säbeln an der Seite, die ihn mitnehmen wollten und berichtete vom heutigen Wallfahrtszug. Hinter diesem heutigen Wallfahrtszug der Lebenden ginge aber noch ein anderer daher. „Das waren die früheren Kaschuben, die unter Swentopolk und Msciwoj vor vielen hundert Jahren von Schloß zu Schloß zogen und unsere Freiheit beschützten. Jetzt sind sie zu den Kalvarienbergen gezogen, wo sich der Rest ihrer Söhne versammelt.“ Julka wollte ihnen lebendige Kraft geben und rief laut: „Schatten der Vergangenheit, nehmt Blut an!“ Doch das Heer der Schatten eilte weiter. Julka konnte diese Kaschuben  aber auch nicht zum Leben erwecken, denn sie kannte das Wort nicht, das sie in Körper verwandeln würde.

Sie sagte, sie sehe Remus zum ersten mal. Und doch kenne sie ihn. Er sei Wituslaw. Remus werde Julka noch zweimal sehen. Bei Trombas Ankunft entfernte sich Julka in die Schlucht von Garretschnitz. Zuvor gab sie Remus noch ein auch für sie unlösbares Rätsel auf.

Auch Tromba berichtete, dass die Gendarmen auf Remus warteten, wie zum Erstaunen von Remus Julka vorausgesagt hatte. Die Gendarmen  würden ihn an seiner hünenartigen Größe und an seinem Karren erkennen. Tromba rettete Remus, indem er mit Hilfe seiner Spielkameraden unter Leitung des Kameraden Weber die Gendarmen täuschte, so dass die Karre zur Seite geschafft und Remus, als sei er einer der Spielleute, bei ihnen versteckt werden konnte. Weber spielte:

„Sei willkommen, Jan von Bolko!
solltest erscheinen vor Wenzel.
Denn der König so befehlet,
weil er dich gebraucht sehr!“

Denn, wie Tromba, zu Remus sprach: „Der preußische König braucht dich auch fürs Gefängnis.“ Remus bekam eine große Trompete in die Hand und reihte sich unter die Musiker ein.

Die Kaschuben begannen zu singen:

„Sei gegrüßt, o Herrin!
Deine Untertanen fallen dir
zu Füßen. Wir haben sonst
keine Gaben, die wir dir bringen können,
als die dir ganz ergebenen Herzen voller Reue.
So geruhe, schöne Herrin,
mit diesen Gaben zufrieden zu sein!“

Das war kein Lied mehr, es war ein Militärmarsch, ein provozierendes Lied, sollten sich die Kaschuben doch nicht  der Jungfrau Maria, sondern dem preußischen König unterwerfen. Aber durch dieses Lied konnte der Wallfahrtszug Remus an den wartenden Gendarmen vorbeiführen. Und Tromba sagte, ihm komme es vor, als wenn Ritter wie in früheren Zeiten, als es noch keine preußischen Gendarmen in der Kaschubei gab, auf hohem Rösser, mit glänzenden Rüstungen gegen Heiden und Türken Sitzung hängt gegen Heiden und Türken mitmarschierten. „Kein Soldat ist im Krieg mit einem Helm so beschirmt wie mit dem erlösenden, zweiarmigen Zeichen Marias.“

Dann ging der Zug weiter zum Mirchauer Forst. Remus schrieb in seiner Lebensgeschichte: „Ein großer Teil des kaschubischen Landes ist von Wald bedeckt. Aber keiner von ihnen sei so groß und geheimnisvoll wie der Mirschauer Forst. Von Moisch bis Kamelitza im Westen, bis Sittnagora und dem Teufelsbruch bei Miechutzin und dem Mädchenberg im Süden, bis zu dem großen Stein bei Neuhütte und Klentsch erstreckt er sich mit dem Heer seine riesigen Buchen, Eichen, Kiefern und Vogelbeeren. Du kannst tagelang in ihm umherirren, ohne einer lebenden Seele zu begegnen. Nur die großen Seen öffnen Schneisen für Wind und Sonne und geben den hohen Stämmen und Kronen der Bäume Gelegenheit, sich im Spiegelbild ihrer Wasser zu betrachten. In versteckten Senken findest du Moore und Wiesen, wo Hirsch und Reh grasen. Du kannst dich auf dem schrecklichen, schwankenden Moorboden verirren, durch das in der frühe und nach Sonnenuntergang sanft  ein Waldgeist wandert, der dich in den sicheren Tod führt, weil er darüber ertönt ist dass ein menschliches Auge sein Reich erblickt hat. Dann wird dich kein Schrei retten, weil die Bäume dein Rufen nicht bis zu menschlichen Ohren dringen lassen und du seufzst nur zu der Muttergottes: ‚Ich komme immer weiter und weiter in den Wald hinein, ich ergreife den Gürtel Allerheiligsten Jungfrau!‘ Dann schreien die Eulen in den morschen Baumlöchern der Eichen, die trügerischen Nebel weichen, und der Schutzengel zeigt die grüne Grasinsel, über die du dich springend auf festen Boden retten kannst. Wenn du dann weitergehst, kommst du an den Fuß eine steilen Berges. Oben wirst du sehen, daß er rund ist und um den Abhang Wehrwälle aus Erde aufgeschüttet sind;  an einer Seite siehst du einen Brunnen, der von Laub zugedeckt ist. Unter einem der Weißbuchensträucher, die dort stehen, liegt ein schwarzer Hund.

Er  liegt da wie tot, die Schnauze im Gras verborgen, Fliegen gehen auf ihm herum. Doch in der Geisterstunde der Nacht erwacht er, läuft um die Wälle herum und bellt wie ein Hofhund. Wer in einer solchen Nacht bei Bontsch nach Schoppa oder Boor unterwegs sein muß, der beschleunigt seinen Schritt, wenn er das Bellen des Hundes auf der Schloßruine hört und bekreuzigt sich. Und der Förster, der mit geladenem Gewehr auf den Rehbock lauert, schießt nicht auf den Hund, denn er weiß, daß für den für den keine Kugel gegossen ist. In den tiefen Tälern  entspringen Quellen aus der Erde, die fließen in dünnen Rinnsalen nach Norden. Das sind die Quellen der Leba, die nach Westen fließt und ium deutschen Pommern durch den Leba-See ins Meer mündet. Dort den Tälern siehst du  die Grabhügel der Riesen, die unter großen Steinblöcken ruhen. Inmitten der hohen Bäume findest du auf einer Anhöhe große Steine in Menschengestalt, die im Kreis aufgestellt sind wie zum Tanz. Alte Leute erzählen von ihnen, daß das  eine verzauberte Hochzeitsgesellschaft sei.

Hier entstehen alle Sagen und Märchen, die die alten Leute abends am Kamin erzählen. Die wilden Tiere und Waldvögel haben hier ihr Paradies, ihr Reich und ihre Freiheit. Tief in diesem Wald sind an den Quellen der Lebar einige Dörfchen gewachsen, Boor, Bontsch und Schoppa; und am Waldrand das große Sianovo, das in seiner Kirche das wundertätige Bild der Muttergottes von Schwanau bewahrt. Nicht weit von Sianowo  liegt Mirchau, das seit der Zeit der Kreuzritter das Zepter aus den Händen von Chmielno gerissen hat. eine Art Hauptstadt des Landes.“

Durch diesen Wald zog der Zug nach Strepsch. „Als die Vögel den Zug nahen hörten, saßen sie ganz still, denn sie wußten, daß nun bald ein Lied aufbrausen würde, wie es nur einmal im Jahr in den großen Wäldern erschallt.“ Dann hieß es: „Auf, meine Herren, zum Kalvarienberg.“ Danach begann auch der Wald seine Melodie zu spielen. Und der fromme Dachs hörte zu. Auch der schwarze Hund bellte, legte sich dann aber wieder hin, wie tot. „Die steinernen Gräber der Riesen erbebten, und die alten Weißbuchen durchfuhr ein Sturm: ´Unsere Nachfahren kommen.´“

In einer Wolke erkannte Remus Ritter auf hohen Pferden, bleiche Gestalten von Fürsten in königlichen Gewändern, Bischöfe, Mönche, Ritter in zerschlagenen Rüstungen und endlich in Scharen das Volk. So viele, dass die Lebenden nicht mehr einen Handvoll gegen dieses Heer erschien. Es war das ganze  kaschubische Volk, das frühere und gegenwärtige, das zum Kalvarienberg zog.

23
Was sich in Strepsch unter dem Bildstöckl ereignete

In Strepsch angekommen, lauerte wieder ein Gendarm auf Remus. Tromba führte Remus, um ihn zu schützen, an das andere Ende des Dorfes an eine Weggabelung. Dort unter dem Bildstöckl war es finster. Der Gendarm war trotzdem plötzlich da. Tromba täuschte ihn mit einer erfundenen Geschichte darüber, wer er selbst und Remus sei, brachte ihn damit zum Lachen und sagte, sobald er fort war: „Wir Kaschuben, ein Volk Gottes, das seit Vätern und Urvätern hier ansässig ist und Gott lobt, wir müssen uns vor so einem Antichristen entschuldigen!“ Da tauchte der Seekönig Saborski auf. Auch er wurde polizeilich gesucht. Als er fortging, schlug er  vor, sich beim Olivaer Tor wieder zu treffen. Und der Zug ging über Lusin weiter nach Neustadt.

24
Auf den Kalvarienbergen in Neustadt. Warum der Seekönig seine Krücke nicht als Kreuz hängte

Dann traf Remus den Mann wieder, dem er bei der Beerdigung von Joseph auf dem Schlossberg von Lipno getroffen hatte. Er sagte, das Volk, das sich hier versammelt hätte, seien die geborenen Erben des Landes. Doch seien sie hier nur Knechte. Ihre Sprache und ihre Gebräuche seien ein Gespött für die, welche sie regierten. Remus erinnerte sich plötzlich an das schlimmste aller Gespenster mit dem Namen ‚Sinnlos‘. Er antwortete also, es habe doch einen Sinn, Leben und Glück für die Erlösung des verzauberten Schlosses herzugeben. Dem stimmte der andere zu und sprach, er wusste, dass Remus das sagen würde. Denn er sei einer von denen, die aus sich selbst ein Opfer machten. Und Remus erinnerte sich an die Worte des anderen auf dem Schlossberg, Remus werde ihn überall finden, wo die Funken des Ormuzd glühten. Remus werde ihn finden, wo der Geist der Kaschuben den Deckel des Sarges lüfteten.

An den Kalvarienbergen traf Remus den Schlosskönig Mucha mit seiner Krücke, in der ein Gewehr verborgen war. Dieser fühlte sich von Gott und den Menschen verlassen. Mucha wollte eigentlich die Krücke und ihre Seele an das Kreuz hängen, brachte das aber nicht fertig. Er fragte Remus: „Wann darf ein Mensch einen anderen töten?“ Remus erinnerte sich an den Religionslehrer, der gesagt hatte, nur um des Glaubens und um der Freiheit des Vaterlandes willen dürfe man zur Waffe greifen, auch um die Ehre einer Frau willen und wenn ein Schuft einem nach dem Leben trachte. Der Seekönig erwiderte darauf, er habe einen Menschen erschossen, weder für den Glauben noch für das Vaterland, auch nicht für das ritterliche Gebot. Und zwar einen Förster, der das Versteck des Seekönigs auf dem Glonek entdeckt hätte. Es sei zu einem Prozess gegen den Seekönig gekommen, und er sei zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese milde Strafe habe der Czernik ausgehandelt. Der Seekönig könne diese Strafe aber nicht antreten, das sei nämlich sein Tod. Er wolle seinen Sohn noch erwachsen werden sehen. Deshalb könne er seine Krücke nicht ans Kreuz hängen. Und der Seekönig schlug vor, dass Remus ihn zum Glonek begleitete. Tromba billigte den Plan. Remus müsse schauen, dass er nach Hause komme. Sonst würden ihn die Zwadaer Deutschen jagen wie ein wildes Tier. Remus  solle aber vorerst seine Karre dalassen. Tromba würde sie ihm dann später nachbringen. Zuhause in Lipno solle Remus mit dem Lehrer sprechen. Dieser werde ihm ein Schreiben für den Czernik aufsetzen. Das wollte Remus aber nicht, weil er den Czernik für den Smentk oder dessen Diener hielt. Tromba bat, sobald Remus in Lipno sei, solle er auch Trombine, seiner Frau einen schönen Gruß ausstellen. Er solle aber nicht zu ihr gehen, denn sie sei imstande, ihn mit dem Besenstiel zu begrüßen, wenn er ihr sage, dass Tromba und Remus befreundet seien.

25
Wie Remus mit dem Seekönig durch die tiefen Wälder nach Hause wanderte

So zog Remus mit Saborski durch die tiefen Wälder nach Schönwalde bis zur pommerschen Grenze bei Miloschewo. Im Mirchauer Forst kamen sie wegen des Regens und der Dunkelheit nicht weiter. Sie trafen dann auf Hünengräber und lagerten dort im Trockenen unter einem selbst gebauten Dach in der Nähe  des Klontschiner Sees. Sie kamen überein, dass der Seekönig den Förster nur in Selbstverteidigung getötet hatte.

Und Remus dachte bei sich, wenn man doch nur diese schlafenden Hünen des kaschubischen Landes wecken, die Schlossberge entzaubern und das Heer, das dort der Luft im Mirchauer Forst  zu den Kalvanienbergen ging, Fleisch und Blut geben und die Königstochter über das Wasser bei Lipno fragen könne, würde man dann wohl die starrsinnigen, ungebetenen Unterdrücker bald loswerden? Da bellte der schwarze Hund. Und Remus und Vaspon  schliefen ein. Am nächsten Morgen ging es weiter, über die versteinerten Hochzeitsgärten bei Wensiorri zum Lippuscher Wand bei Tuschkau. Hier übernachteten sie in einer Höhle. Dann trennten sich Remus und der Seekönig.

In Lipno angekommen, sah Remus die schönen Augen und das Gesicht seiner Königstochter von der Schlossruine. Der Schulmeister setzte ein Schreiben auf, auf das einige Tage später die Antwort kam. Remus könne ruhig seinem Handel im Dörfern und Städten nachgehen, nur wenn eine Vorladung von Gericht käme, müsse er sich stellen. Da tauchte Tromba auf, der die Karre mitgebracht hatte. Er war von seiner Frau, der Trombine, massiv misshandelt worden und diese hatte ihm den Karren weggenommen und weggeschlossen. Remus bekam die Karre dann aber zurück und Tromba versöhnte sich mit seiner Frau.

26
Wie Remus nach der Schlacht mit den Gendarmen und mit Schabelka ins Gefängnis kam

Remus zog weiter auf Jahrmärkten und Kirchweihfesten durch die Dörfer, und die Leute kauften bei ihm. Remus dachte nicht mehr an seine Gerichtsverfahren. In Berent auf dem Marktplatz tauchte plötzlich der Czernik auf und erinnerte an das ausstehende Gerichtsverfahren. Er berichtete, dass den Herrn von Zwada, der durch Remus Fluch gestorben sei, die Erde wirklich ausgespien habe. Denn bei der Beerdigung sei eine Mauer des Grabgewölbes auf ihn gestürzt, und man habe ihn noch einmal aus der Erde holen müssen.

Czernik nahm ein Buch für die Andacht – es hieß Auslese – von der Karre und und warnte Remus, er solle sich mit diesen Büchern vorsehen. „Darin ist die Rede von der ‚Königin der Krone Polens‘.  Und jeder weiß, daß sich der preußische König ein Stück der polnischen Krone angeeignet hat. Es ist ihnen unangenehm, wenn ihn jemand an diese Krone erinnert,  denn sie fürchten, daß der Eigentümer sich melden könnte. Daß aber noch irgendeine Königin wegen ihr zur Hilfe gerufen wird, halten sie für eine Beleidigung.“ Diese Bücher gefielen den Gendarmen gar nicht.

Remus dachte, als der Czernik fort war,  nicht an diese dessen Warnung, als ein Gendarm und ein Stadtpolizist an die Karre traten und ein Andachtsbuch nach dem anderen öffneten und sie in einen Korb warfen. Remus glaubte, der Gendarm wolle  die Andachtsbücher kaufen, der Stadtpolizist verspottete Remus aber nur, und sie wollten, ohne zu bezahlen, fortgehen.

Remus aber wollte für diese Uungeheuer nicht umsonst arbeiten, packte den Gendarmen am Arm und schrie: „Holla! Zuerst bezahlen!“ Der Polizist aber drohte, Remus solle still sein.  „Sonst bringen wir dich mitsamt deinen Büchern ins Gefängnis! Das sind nämlich verbotene Bücher, die das Volk gegen die Regierung aufhetzen. Diese Bücher sind konfisziert. Weißt du, was das heißt?“ Remus riss den Korb aus der Hand des Standpolizistin und schrie ihn an. Da ergriff der Gendarm  – er war fast so groß wie Remus, wohlgenährt, dick und stark. Sein Gesicht wurde puterrot vor Zorn, seine Haare standen zu Berge und er brüllte mit vorquellenden Augen den – Remus. Remus erinnerte sich an seinen Kampf gegen Goliath, den er als kleiner Junge gekämpft hatte,  und an das Gespenst mit dem Namen ‚Plage‘. Remus ballte die Faust und schmetterte sie dem Gendarmen am linken Ohr an den Adler, dass es nur so knallte. Der Helm fiel zu Boden. Remus gab dem Stadtpolizisten, der dem Gendarmen zur Hilfe eilte, eine Ohrfeige. Er fiel hin, und Remus sammelte seine Bücher ein. Denn er war im guten Glauben, im Recht zu sein.  Da ergossen sich mehr als zehn Gendarmen und Polizisten  über ihn. Zwei von ihnen aber kamen von hinten, kreuzten ihm die Hände, konnten ihn so überwältigen, fesseln und ins Gefängnis werfen. Kaschuben riefen: „Was wollen diese Deutschen von unserem Remus? Sie bringen ihn wegen frommer Bücher ins Gefängnis! Laßt uns ihn wieder zurückholen!“ Doch dazu kam es nicht. Remus kam ins Rathaus in ein Gefängniszimmer. Dann wurde er vor den Bürgermeister geführt.

Im Raum war ein älterer Gendarm. Es war der Goliath, mit dem Remus als Kind allein am wilden Apfelbäumchen auf dem Weg von dem Einödhof nach Lipno gekämpft hatte. Der Gendarm starrte Remus lange an und fragte ihn: „Kennst du mich?“. Wahrheitsgemäß antwortete Remus: „Ich kenne dich, Goliath! Ich war doch ein kleiner Junge, als ich dir beim wilden Apfelbaum entgegentrat, mit dir Auge in Augen kämpfte und du hast Gott nicht gelobt, du hattest das Gespenst aus seinem Versteck gelassen und die Leute auf dem Hof gequält.“

Der Gendarm erklärte dem Bürgermeister etwas auf Deutsch.  Dieser hört aufmerksam zu. Dann sahen beide Remus an, als wollten sie ihn lebendig fressen. Schließlich fragte der Bürgermeister ob Remus derjenige sei, der dem seligen Herrn von Zwada den Säbel zerbrochen habe. Als Remus das   zugab, fragten sie ihn, ob er wüsste, dass er heute auf dem Marktplatz einen Gendarmen und einen städtischen Polizisten verdroschen habe, als diese eine vom Amtswegen angeordnete Arbeit gegen ihn ausgeführt hätten. Ja, antwortete Remus, „ich weiß es, aber der eine verdiente es wegen seiner Lästerung, der andere für seinen Raub.“  Der Bürgermeister erklärte, es sei kein Raub, sondern eine Konfiskation. Remus erwiderte, er wisse nicht, dass ein Raub aufhöre ein Raub zu sein, wenn man ihm einen deutschen Namen gebe. Nach den Worten des Bürgermeisters „Unkenntnis schützt nicht vor Strafe nicht“, wurde Remus ins Gerichtsgefängnis gebracht.

27
Wie das preußische Gericht Remus verurteilte 

Remus kam dann vor Gericht. Czernik bot sich an, ihn vor Gericht zu verteidigen. Doch Remus wollte das nicht. Er sitze ja unschuldig. Trotzdem verteidigte Czernik ihn. Dann müsse eben die menschliche oder richtiger preußische Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen, meinte Czernik. Ein preußischer Richter werde nie verzeihen, dass Remus die kaschubischen Bücher verteilt habe, in denen von der Königin der Krone Polens die Rede war, und auch, dass Remus die Hand gegen den ‚Adler‘ erhoben hatte. Hätte Remus doch nicht den Kampf gegen Goliath aus seiner Jugend zugegeben. Remus antwortete aber, er lüge nie und verabscheue die Lüge. Er habe nichts verbrochen. Die zwei Polizisten hätten seine Ware geraubt. Czernik erklärte aber, sie hätten die Bücher nicht geraubt, sondern konfisziert. Und Czernik erklärte, sie werden „den Funken des Ormuzd in den Mauern einschließen und ich, der Uhu des Ariman, werde um die Mauern dieses Gefängnisses heulen.“  Dann begann der Prozess vor dem Königlich-preußischen Gericht. Anwesend war der Goliath, als Zeugen waren auch Marta und Martianna vom Einödhof in Lipno im Gericht, dazu der Schulmeister aus Lipno, Leo mit dem Tropfen, Stach, der Kleriker und Tromba.

Remus wurde vorgeworfen, von Jugend an schlecht zu sein. So habe er den Goliath abgegriffen, als dieser dort den Rebellen Joseph Sablotzki gesucht habe, der in den unruhigen Jahren der Rebellion des kaschubischen Volkes gegen den preußischen König geputscht und einen Gendarmen erschossen hatte. Remus habe aber vermocht, sich zu verbergen. Als Sablonski noch lebte, habe er Remus unterrichtet und darin entfacht, die königlich-preußische Regierung aus dem kaschubischen Land zu vertreiben und die ehemalige adlig-polnische Republik Polen wieder zu errichten. Remus habe den Einödhof verlassen und in der Mühle von Zwada einen deutschen Herrn verprügelt. Dieser ausprobiert, ob die Mühle , die er kaufen wollten noch funktionerte. Auf dem Hof in Zwada habe Remus den Säbel zerbrochen, als der Herr sein Gut an einem Deutschen verkaufte. Den Hausherrn habe vor Kummer und Schreck der Schlag getroffen. Danach habe sich Remus mit einem anderen Verbrecher, der zum Gefängnis verurteilt worden war, Mucha Saborski, zusammengetan. Sie hätten an der Wallfahrt teilgenommen, um weitere verbrecherische Pläne zu besprechen. Der Haftbefehl gegen Remus sei aufgehoben worden, weil der Herr von Zwada laut einem ärztlichen Attest sowieso an einer Herzkrankheit gestorben wäre. Remus habe sein verbrecherisches Leben aber fortgesetzt, indem er Gebetbücher, die das unkundige kaschubische Volk in Aufruhr gegen die Regierung brachte, verteilte. Er habe sich gegen die Konfiszierung gewehrt und die Polizeibeamten tätlich angegriffen. Der Schaden am Ansehen der königlichen Behörde sei groß. Dadurch seien die kaschubischen Untertanen leicht bereit, die preußische Obrigkeit zu verhöhnen. Die Tatsache, dass Remus die Gestalt des Adlers auf dem Helm des Gendarmen zum Ziel seine aufrührerischen Faust wählte wie schon als Knabe auf der Straße nach Lipno, vergrößere noch seine Schuld. Remus habe auch einem der Polizisten namens Schabelka Zähne ausgeschlagen und den linken Unterkiefer aus der natürlichen Stellung gestoßen,  so dass Frau Schabelka in der Angst gelebt habe, ein Kind mit einem schiefen Mund zu gebären. Ein Arzt konnte der Kiefer zwar wieder richten. Zu prüfen seien aber neben dem Strafverfahren auch  Schadenersatzansprüche.

Dann wurde Remus zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Marta, Martianna, Michal und Tromba verabschiedeten sich und sprachen Remus Mut zu. Und Stach meinte, Remus hätten ihnen wenigstens gezeigt, wie kaschubische Fäuste schmecken.

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Remus im Gefängnis

So war Remus Gefangener in einem preußischen Gefängnis. Ihm wurden mit Gewalt die Haare geschoren, er wurde verhöhnt, misshandelt  und gequält. Die Wärter bearbeiteten Remus Haut mit Seife so groß wie Ziegelsteine, als wollten sie ihm die Haut herunterreißen.

Der Gefängnisaufseher spottete: „In diesem Bottich bleibt jetzt deine kaschubische Haut für alle Ewigkeit, in diesem Palast wird dir eine neue, preußische Knochenhülle wachsen. In der wirst du dich viel wohler fühlen als vordem. Und in zwei Jahren wir dir preußischen Verstand beigebracht.“

Beim Haareabschneiden wurde die tiefe Narbe am Kopf sichtbar, die die Flinte des Goliath in Lipno verursacht hatte. Remus fühlte sich verlassen und wie ein Verstorbener. Er war aber nicht vergessen. Zu Weihnachten  trompetete Tromba nämlich Weihnachtslieder und ein lustiges Tanzlied vor dem Gefängnis. Und Tromba schrieb Remus einen Brief, in dem er im mitteilte, dass Michal krank war und vom Bett nicht mehr aufstand und dass Martin Marta zu heiraten wünschte.

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Die letzte Tage des Seekönigs 

Eines Tages wurde Remus im Gefängnis zu einem Insassen geführt, der kurz vor seinem Tod stand und der den Remus noch unbedingt sprechen wollte. Es war der Seekönig, der sich selbst dem Feind ausgeliefert hatte. Denn sein Sohn, auf dem seine ganze Hoffnung seines Geschlechts gelegen hatte, lebte nicht mehr. Mucha meinte, in der Geschichte der Kaschuben störe der Smentk mit seinen verbrecherischen Fingern jede Arbeit, und deshalb gehe es den Kaschuben so schlecht. Die Deutschen hätten den Kaschuben ihr Land, ihre Freiheit und Macht genommen. Vielleicht verstünden es die Kaschuben nicht, ein Schwert zu schmieden, um die Machenschaften des Smentk einfach zu zerschlagen. Auch der Seekönig habe sich wie ein Räuber in den Wäldern und Seen versteckt, um schließlich seine Seele in einem deutschen Gefängnis auszuhauchen. Nun werde der Name Mucha Saborski auf den Saboren erlöschen. Remus habe seinen Nacken nicht vor den Deutschen gebückt, deshalb mache Mucha ihn zum neuen Herrn auf den Saboren. Remus antwortete, er sei arm und sein gesamter Besitz liege auf seiner Karre. Mit welchem Recht soll er dann  Muchas Erbe auf den Saboren werden? Mit dem Recht eines Sohnes, antwortete der Seekönig. Er habe noch ein Töchterchen. Remus und sie würden einen Rächer großziehen. Remus sagte dazu, für einen einfachen Knecht zieme es sich nicht, zu einer Herrentochter aufzuschauen. Die Königstochter aus dem verzauberten Schloss habe die Tür zu Remus Glück verriegelt. Mucha erwiderte, er könne nicht sterben, wenn Remus widerspreche. In Remus stecke ein alter kaschubischer Adliger, und er habe ein Ritterherz. Dann zog Mucha ein Medaillon unter dem Hemd vor, so groß wie zwei Hände. Auf goldenem Blech war das Bildnis der allerheiligsten Mutter mit dem Kind gemalt. Mucha legte es Remus in die Hände und sagte, dieses Zeichen hätten Muchas Vorfahren getragen, wenn sie in den Krieg zogen. Remus solle es küssen und sich um die  Brust hängen. Es ehre Remus mehr als der höchste Orden des preußischen Königs. Muchas Frau und Tochter wüssten von der Absprache, wenn sie das Medaillon sähen. Wie im Traum legte sich Remus das Medaillon um den Hals. Der Seekönig sagte, Muchas Sohn würde jetzt beerdigt. Aber Remus werde die Saborskis rächen.

Dann erzählt Mucha, wie die Häscher ihn gefangen genommen hatten. Er habe bei seiner Verurteilung zu fünf Jahren Gefängnis zu seiner Frau und Tochter gesagt, indem er ein Bündel Späne vom Herd unter einem Wacholdermutterbusch vergraben habe, wenn etwas zu Hause los sei, bei dem es um Leben und Tod ginge, dann sollte einer mit den Spänen den Wacholderbusch anzünden. Dann werde er zu ihnen kommen. Er verstecke sich in einer Höhle auf dem Glonek.

Dann erzählt der Seekönig Remus von dieser Höhle. Man fände einen großen Haufen Steine und darauf läge ein besonders großer Stein. Diesen könne man zur Seite schieben, und dann käme man in ein schwarzes Loch. Dahinter finde sich ein langer, dunkler Gang und danach eine große Höhle in der Form einer Glocke. Darin sei ein Fenster und ein Ofen. Damit habe Mucha gekocht und geheizt. Er konnte aus der Höhle den ganzen See überblicken. Nur einmal habe ein Förster das Versteck entdeckt, aber das wisse ja Remus schon. Nach drei Jahren sah er eines Morgens den Czernik, der mit Fischern im Boot ankam. Da brannte zum ersten mal der Mutterbusch. Mucha ging auf das brennende Zeichen seines Unglücks los. Seine Tochter Klementyna fiel  ihm weinend um den Hals und sprach: „Janek liegt im Sterben und will sich von Euch verabschieden.“ Janek war der Sohn des Seekönigs. Er hatte eine Tochter armer Eltern aus einer großen Wuhne gerettet, in die sie gefallen war, war aber selbst dabei auf dem Eis aufgeschlagen, hatte sich dabei erkältet, war durchnässt und hatte danach Blut gespuckt. Als Mucha an seinem Haus angekommen war, wurde er von Preußen erwartet, die ihn aber nicht zu seinem sterbenden Sohn ließen. Klementyna schrie, ihr Vater solle sich mit seinem Gewehr verteidigen. Sie entriss ihm das Gewehr und legte es auf die Häscher an. Erst jetzt erkannte der Seekönig, dass er seine ganze Hoffnung auf seinen Sohn gesetzt hatte und dass nun Klementyna den Sohn ersetzen könne. Mucha nahm ihr das Gewehr ab, legte es auf den Boden und ging weiter. Dann wurde er verhaftet. Er durfte sich nicht einmal von seinem sterbenden Sohn verabschieden! Klementyna und die Ehefrau brachten ein Federbett, auf dem, den Tod  in den Augen, Janek lag. Der Seekönig durfte ihn nicht einmal umarmen. Janek küsste aber seinem Vater die Hände. So kam der Seekönig ins Gefängnis.

Nach dieser Begegnung sah Remus den Seekönig nicht wieder, denn Mucha starb.

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Trombas treue Freundschaft

Dann trafen Remus und Tromba im Gefängnis aufeinander. Tromba hatte einen Klafter Brennholz geklaut, um zu Remus ins Gefängnis zu kommen. Er sagte zu Remus, die Preußen würden ihn bald rauslassen, weil es Krieg gegen die Franzosen gäbe. Warum nur habe Remus Marta laufen lassen? Jetzt sei Martin hinter ihr her. Remus antwortete, er habe etwas anderes im Kopf als eine Frau. Er wolle das versunkene Schloss erlösen und die verzauberte Königstochter auf den goldenen Thron setzen, wenn er lebend aus dem Gefängnis herauskomme.

Und dann kam der Czernik ins Gefängnis. Auch er sagte, es werde Krieg geben. Er brachte ein Papier mit, dass Remus unterzeichnen solle, in dem stand, dass Remus sich gegen die königliche Obrigkeit schlecht aufgeführt und dass das Gericht ihn gerecht verurteilt habe. Remus weigerte sich aber, so ein Papier zu unterschreiben. Denn er wollte keine Lüge unterschreiben. Und wollte seine Freiheit nicht einem Höllengeist verdanken. Dann erreichte Remus ein Brief von Marta. Sie berichtete, ihr Vater sei gestorben und sie werde jetzt Martin heiraten.Eines Tages wurde Remus, ohne ein Papier zu unterschreiben, aus dem Gefängnis entlassen. Denn ein blutiger Sturm zog über die Welt auf.

Dritter Teil

Das abenteuerliche Leben des Remus. Der Smentk

 

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Wie Remus mit Musik aus dem preußischen Gefängnis marschierte. Fräulein Klementyna auf dem Hochsaboren

Remus wurde also aus dem Gefängnis entlassen. Er bekam alle seine Sachen zurück, sogar seine Andachtsbücher. Aber in allen Büchern war die „Königin der polnischen Krone“ mit schwarzer Farbe übermalt. Remus wurden von Tromba und seinen Musikerkollegen empfangen. Sie begleiteten Remus in Begleitung seiner Karre mit Musik durch die Stadt bis zur Kirche.

Tromba wurde wegen einer alten Knieverletzung nicht eingezogen. Auch Remus wurde gemustert. Er wurde aufgrund seines Sprachfehlers und weil man an seinem Verstand zweifelte aber ebenfalls nicht eingezogen, anders als Martin vom Einödhof und Trombas Kollegen.

Dann war Krieg und die Deutschen besiegten die Franzosen. Die Repressalien gegen die Kaschuben wurden danach schlimmer. Ihr heiliger Glaube wurde bekämpft und die Priester kamen in die Gefängnisse. Remus fragte sich, wozu er herumwanderte, wenn er die Arbeit nicht tun wolle, die ihm übertragen worden war. Er wusste nicht, wie, denn das Licht des Wissens sei ihm nicht gegeben worden.

Remus ging einige Jahre mit seiner Karre in Begleitung von Tromba durch Feld und Flur. Remus lernte dann die Machenschaften des Smentk näher kennen. Sie trafen im Wald einen Pfarrer, der sich auf der Flucht vor preußischen Gendarmen verirrt hatte. Er berichtete, dass die Kirchen geschlossen wurden und die Priester sich verbergen mussten. Er wollte seinen Namen nicht nennen, nannte sich aber Pfarrer Paul. Tromba erzählte, dass Gendarmen den Pfarrer in Lipno in einen geschlossenen Wagen gesteckt hatten, um ihn ins Gefängnis zu bringen. Tromba schlug vor, Pfarrer Paul in der Höhle des Seekönigs auf dem Glonek zu verbergen. Dort angekommen, kam ein Mädchen auf sie zu mit Schritten so leicht wie ein Reh. Sie wirkte groß, trug ein Gewehr über der Schulter und hohe Schachtstiefel. Sie hatte einen Zopf wie eine Garbe aus goldenem Haar und war würdig wie eine Königin. Es war Fräulein Klementinchen, Muchas Tochter. Tromba kannte sie. Er nahm seine Trompete, und sie marschierten in den Hof ein. Die Witwe des Seekönigs freute sich über die Musik und bemerkte, in ihrer Jugendzeit sei es fröhlich zugegangen, bevor die Deutschen ihre preußische Ordnung hier eingebracht hätten. Jetzt seien nur noch zwei Frauen alleine mit Knecht und Magd auf dem Hof. Es sei  für Klementyna an der Zeit, an einen Bräutigam zu denken. Aber die jungen Männer fürchteten sich vor ihr. Und das Mädchen sagte am Herd: „Ihr wißt doch, Mutter, daß der verstorbene Vater unser Familienzeichen einem jungen Mann gab, der kommen wird. Ich werde keinem anderen gehören, als dem, der das Zeichen zeigen wird, wäre er auch arm und unansehnlich.“ Remus griff heimlich nach dem Familienzeichen mit der Bildnis der Mutter Gottes. Ihm kam es aber lächerlich vor, dass er, ein armer Wandersmann, die Augen zu ihr erheben sollte, als Klementyna so stattlich und schön durchs Zimmer schritt. Und er wollte auf keine Weise zu erkennen geben, dass er das Saborenzeichen auf der Brust trug. Tromba scherzte, er und Remus würden den, der das Saborenzeichen trug, schon beibringen. Remus aber war nicht zum Lachen zu Mute. Bei der Frage, wie man Pater Paul verstecken könne, bemerkte Tromba, Remus wisse es. Remus gab Kementyna gegenüber zu, dass ihr Vater ihm vom Höhlenversteck erzählt hatte. In Klementynas Augen stand die stumme Frage, ob der Vater dem Remus auch das Familienzeichen gegeben habe. Als es zum Gute-Nacht-Wunsch ging, sagte Klementyna, sie werde sich bemühen, seine Sprache zu verstehen, damit Remus ihr noch mehr von ihrem Vater erzählen könne. Remus stehe ihr näher als ein Blutsverwandter. Denn er habe die letzten Augenblicke mit ihrem Vater verbracht. Und sie wünschte Remus eine gute Nacht. Dieser sah dann aus dem Schlafzimmerfenster ein neues hohes Kruzifix mit ausgebreiteten Armen.

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Das Versteck des Seekönigs auf dem Glonek

Am nächsten Tag begleitete Klementyna Remus, den Pfarrer und Tromba zum Glonek. Unterwegs kamen sie am Kreuz vorbei. Es war die Stelle, wo Vater und Sohn sich verabschiedet hatten, als der Seekönig gefesselt war und seinen Sohn nicht einmal umarmen durfte. Klementyna hatte es errichtet und das Kreuz war von überall zu sehen. Bei der Betrachtung Klementynas im Boot schien es Remus so, als vereine sie die Schönheit aller Frauen, die er je gesehen hatte.

Dann fanden sie auf dem Glonek den großen Steinhaufen und den Eingang zur Höhle. Klementyna klagte, unter diesem Stein sei ihr unglücklicher Vater so lange lebendig begraben  gewesen wie im Grab. In der Höhle gab es eine Feuerstelle, Küchengeräte und Handwerkzeuge für Tischler und Zimmerleute.  Die Höhle war feucht. Dann fand Remus einen zweiten Raum. Dieser war voll eingerichtet. Licht kam herein, sobald die Fensterläden geöffnet waren. Es gab Matten aus Stroh und Binsen, einen Tisch mit Stühlen, eine Bank wie ein Sofa und ein Bett mit Bettzeug sowie kleine Schränke, also eine ganze Wohnung. Auch Bilder und ein Kruzifix über dem Bett waren vorhanden. Durch ein Fenster konnte man über den ganzen See sehen. Klementyna bat Remus, den Pfarrer hier zu verstecken.  Klementyna sagte zum Pfarrer: „Zu dem versunkenen Schloß werden wir Euch jetzt führen. Aber die Unterirdischen machten uns keine Schwierigkeiten. Denn es ist ein Schloß der Hünen, von dem in unserem Stamm auf Sabori die Mütter den Kindern seit ewigen Zeiten erzählen. Und die Zwerge dienen den Hünen.“

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Wie Remus und der Pfarrer Paul sich an den Wassern des Wdzidzen-Sees verbargen. Wie die Gendarme sie belagerten. Von den Riesen

So versteckte Remus den Pfarrer in Saboris Höhle. Remus blieb bei ihm in der Höhle und hoffte, durch ihn Erkenntnis zu erlangen. Tromba hielt es aber dort nicht lange aus, er wollte wieder wandern und zu seiner Frau Trombine gehen. Denn der Pfarrer habe ihn bei der Beichte als Buße auferlegt, dass er alle Vierteljahre bei Trombine vorbeigehen sollte. Er hatte aber Angst vor ihr, denn er hatte keinen Taler, den er ihn bringen konnte, da er alles in Alkohol umgesetzt hatte. Da bat der Pfarrer Paul, er solle dem Küster in Neustadt einen Brief persönlich überbringen, davon aber niemand anderem etwas sagen. Und er schenkte Tromba zwei Taler, damit Trombine ihn nicht verprügelte.

Der Pfarrer und Remus blieben in der Höhle zurück. Remus erzählte dann dem Pfarrer seine Geschichte. Diese sagte, Licht könne er sich nur selbst erwerben, und das Schwert müsse er sich selbst schmieden. Remus solle sich vor dem kalten Hauch der Leute hüten, die schon von weitem vor den Gespenstern ‚Plage‘, ‚Furcht‘ und ‚Sinnlos‘ erschreckten. Er solle das verschollene Schloss erlösen und der verzauberten Prinzessin die Freiheit wiedergeben und sprach:

„Warum sollte unsere verzauberte kaschubische Sprache nicht auferstehen wie eine Königstochter und sich auf einen goldenen Thron setzen? Warum sollte unser kaschubisches Volk sich nicht aus der Erde erheben wie ein versunkenes Schloß? Gab es doch Zeiten gab es doch Zeiten, da es unter seinen Greifenfürsten ein tausendköpfiges Heer von Herren und Rittern anführte, da es auf tausend Schiffen und auf dem Meer fremde Ufer anlief, schrecklicher als ein Feind und herzlich begrüßt als Freund! Was bedeutet es schon, daß sich heute unter den Eichen  der Kalvarienberge verbirgt? Nicht die Berechnung bewirkt das Wunder, sondern der Geist, der in dieser Berechnung verzaubert lebt.“

Dann dengelte wieder der Tod. In den Dörfern in nördlich von Berent brach die Cholera aus. Sie kam aber nicht an den Wdzidzen-See. Der Pfarrer wartete ungeduldig auf Tromba. Da ertönten zwei Warnschüsse von Klementyna. Aus dem Fenster der Höhle konnten der Pfarrer und Remus beobachten, was auf dem See geschah. Drei Förster ruderten und steuerten ein Boot, auf dem zwei funkelnde Gendarmen mit langen Gewehren saßen und sich Richtung Glonek bewegten. Am Ufer befanden sich weitere Gendarmen. Sie suchten Pfarrer Paul, mussten aber ergebnislos abziehen. Da brannte ein einsamer Wacholderbusch. Von Klementyna gab es keine Nachricht. Trombas Trompete war zu hören. Er wurde von Gendarmen mit Gewehren verfolgt.  Sie erwischen ihn aber nicht.

Remus hatte großes Verlangen nach Erkenntnis und ließ sich vom Pfarrer die Geschichte des Menschendenkens erklären. Nun verstand er eher, was er Pfarrer in Lipno gemeint hatte: „Wenn man dir Schwert und Licht gäbe!“  Der Pfarrer in der Höhle leitete Remus Seele zum Guten und Wahren. Remus war unruhig, weil er nichts mehr von Tromba gehört hatte. Damit  Tromba in die Höhle kommen könne, schob Remus den großen Riegel auf, der die Tür von innen verschloss. Remus erzählte dem Pfarrer dass Tromba große Angst vor Geistern guten und böse Geistern hatte. Darüber kamen sie auf Sagen zu sprechen.

„Diese Sagen“, sagte der Pfarrer, „enthalten mehr Wahrheit, als für heute glauben wollen. Was zum Beispiel die Riesen betrifft, so hat die Wissenschaft bewiesen: In Uhrzeiten, von denen uns nichts Geschriebenes überliefert ist, lebte auf der kaschubischen Erde ein Riesenvolk, wenn sie auch nicht ganz so groß waren, wie es unser Volk erzählt, so zeigt doch ihre Arbeit, daß sie wirklich Riesen waren. Hier und da siehst du einen Stein, groß wie eine Dorfhütte, auf einem einsamen Feld oder an Scheidewegen. Das Volk der Riesen hat ihn dort aufgestellt. Du wirst staunen, wie unsere runden Inseln, Stolinek genannt, entstanden sind? Das alte Geschlecht der Riesen hat sie aufs Wasser aufgeschüttet. Auch dieser Teil des Glonek, auf dem wir uns befinden, und sogar die Höhle,  die uns verbirgt, sind das Werk eines Riesen, der sich nach Fräulein Klemas Erzählungen in längst vergangenen Zeiten hier eine Wohnstätte geschaffen hat. Es bleibt nur ein ewiges Rätsel, warum dieses kühne Volk Nachkommen hinterlassen hat, die, um die Wahrheit zu sagen, Sklaven fremde Herren sind!“

Dann kam Tromba. Er war ganz durchnässt, brachte Essen und reichte dem Pfarrer einen dicken, schweren Brief, der in gewachste Leinwand gewickelt war. Tromba erzählte, Gendarmen hätten Klementyna sogar ihr Gewehr wegnehmen wollen. Sie ließen ihr es aber, weil auch schon mit dem Seekönig nur schlecht zu scherzen war. Auf die Frage eines Gendarmen, wohin Tromba denn wolle, antwortete er, nach Hause, woraufhin der Gendarm ihn in in Ruhe ließ. Die Gendarmen hätten Klementyna und den Fischern verboten, zum Glonek zu fahren. Sie dachten, dass der Pfarrer sich hier versteckt hielt. Ein Gendarm drohte, sie würden die verfluchte Insel Glonek mit zwei großen Kanonen von oben nach unten kehren. Er würde Tromba ins Gefängnis bringen, wenn er es wagen würde, zum Glonek überzusetzen. Tromba ließ sich deshalb von Fischern mit Fischernetzen ans Ufer des Glonek bringen. Deshalb war er so nass. Tromba sei von der Trombine wie gewohnt mit Schimpfwörtern, Fäusten und Besenstiel erwartet worden. Tromba habe auf seinem Weg auch noch das Gespenst des Seekönigs getroffen. Tromba habe Angst gehabt anders als Remus, der da, wo bei den Menschen die Angst sitze, ein leeres Loch habe. „Doch alle Fischer im Umkreis wissen ganz genau, daß der verstorbene Seekönig noch heute wie zu Lebzeiten über Felder und Welle geht und mit der Flinte über den See fährt. Eine Frau aus Golluhn, die eine Ente nach Berent zum Verkauf trug, begegnete ihm vor einer Woche im Juschkener Wald und war so verstört, daß sie die Ente fallen ließ und Hals über Kopf nach Hause lief. Und am Abend war die Ente auf dem Hof.“

34
Wie Pfarrer Paul entkam und Pastor Krause verhaftet wurde. Wie Remus ohne Abschied von Sabori fortging

Ein Schuss Klementynas von Sabori zeigte an, dass die Feinde fort waren. Dann kam Kementyna erhaben wie eine Königin und schön wie ein Engel  mit dem Kahn. Sie lud den Pfarrer ein, so lange zu bleiben, wie es ihm gefiel. Aber Tromba hatte dem Pfarrer Briefe von dessen Obrigkeit mitgebracht mit dem Befehl, so schnell wie möglich in katholische Länder zu gehen, bis die Wut der Feinde der Kirche sich ausgetobt habe. Um Pfarrer Paul zivil anzukleiden, wollte Tromba Kleider beim Juden Blum kaufen.  Aus Pfarrer Paul wurde so der Bauer Formela. Pfarrer Paul waren dementsprechende Papiere geschickt worden. Auf Wunsch von Klema las Pfarrer Paul für die Fischer der Inseln eine Heilige Messe. Trombas Trompete fungierte dabei als Orgel. Pfarrer Paul versagte aber vor Weinen die Stimme, als er predigen wollte. Deshalb segnete er nur das Volk.

Da trat der Czernik wieder auf und blitzte mit seinen schwarzen Augen. Er kam mit dem Gericht von Berent. Denn die Deutschen kauften die Satorsker Hütte. „Der Czernik!“, sagte Tromba, „Wo der auftaucht, geschieht nichts Gutes.“ Klementyna hatte noch Kleidung für den Knecht Maciek. Diese zog Pfarrer Paul an, damit er nicht als Pfarrer erkannt würde. Dann brach Pfarrer Paul rasch auf und Remus und Tromba begleiteten ihn. Sie verabschiedeten sich nicht von Klementyna und ihrer Mutter, und Remus sagte zu sich: „Meine Seele flog mit aller Kraft zu ihr, aber ich fürchtete mich mit ihr allein unter einem Dach zu bleiben.“

In Kartschin  trafen sie auf einen Gendarmen. Er kontrollierte sie und machte zum Bart des Pfarrers Bemerkungen. Tromba antwortete für den Pfarrer: „Das ist der Bauer Formela aus Lebno. Er hat genug Dittchen, um einem ganzen Gendarmenregiment Schnurrbärte und Bärte abrasieren zu lassen, nur sollt ihr wissen, daß unsere Kaschuben von Neustadt und Putzig,  die bisher wie die Pfarrers gingen, sich heute Bart und Schnurrbart stehen lassen wie die Deutschen. Das haben sie sich im Franzosenkrieg angewöhnt.“ Damit war der Gendarm zufrieden.

Zu Remus gewandt, sagte der Gendarm, er suche einen Pfarrer Krause, der am Wdzidzen-Ssee die Leute aufgewiegelt habe. Am besten solle man alle drei Anwesenden verhaften und dem Vogt in Karschin vorführen. Dieser habe die Angewohnheit, nachts zu schießen. Wo die Kugel hinfalle und wenn sie die Anwesenden erwische, könne sich der König die Kosten für ihren Gefängnisaufenthalt sparen.

Tromba verwies darauf, dass sein langer Freund nicht ganz bei Verstand sei. Er habe zwei Jahre gesessen, weil er ein Gendarmen mit den Händen von Pferd gerissen und ihn fast erdrosselt habe. Er habe eine gebrechliche Zunge. Das sei auch kein Wunder bei seinem schwachen Verstand. Er habe ein Handelspatent für Nadel, Garn und Kurzwaren und wolle jetzt nach Berent, um Nachschub zu holen. Nach diesen Worten von Tromba ließ der Gendarm sie ziehen.

Tromba fragte dann den Pfarrer, ob er den Namen Krause trage. Der Pfarrer bestätigte, er trage diesen Namen, eigentlich heiße er Kruscha, was soviel heiße wie Topf. Die Deutschen hätten daraus ‚Krause‘ gemacht und sie ließen keine andere Schreibweise zu. Das sei ihre gewohnte Methode, damit das Land deutsch aussehe.

Weil Remus an seiner Länge erkannt werden könne, riet Tromba, er solle nach Sabori zurückkehren. Also verabschiedete sich Remus von dem Pfarrer und Tromba, und kehrte zu Klementyna und ihrer Mutter zurück. Remus war innerlich gespalten. Einerseits sagte er sich: „Geh nach Hause! Wer bist du, armer Wandersmann, daß du deine Augen zu einer Herrentochter erhebst? Deinen gesamten Besitz fährst du auf einem Rad über weiße Sandwege, ein schönes Äußeres hat dir der Herrgott auch nicht verliehen, und deine Sprache ist zum Lachen!“, andererseits: „Geh, erwirb dein Glück, und du wirst es erringen, denn du hast das Pfand des Vaters.“  So war Remus hin- und hergerissen. Er wählte den mittleren Weg und sagte sich, er werde gehen, aber erst, wenn er bei der Ernte geholfen habe.

Dann kam die Nachricht, dass die Gendarmen in Karschin den Pfarrer und Tromba eingesperrt und nach Konitz ins Gefängnis gebracht hätten. Danach hieß es, dass sie einen deutschen Pastor eingesperrt hätten, Pfarrer Paul aber unbehelligt weitergefahren sei.

Dann kam Tromba. Er erzählte, ein Gastwirt habe gesagt, bei ihm sei ein Pastor Krause aus Königsberg zu Gast, wohl eine deutscher Masure, der ein metrischen Polnisch sprach. Er habe Lutherbibeln bei sich gehabt, mit denen er hoffte, dass kaschubische Volk zu seinem Glauben zu bekehren. Tromba habe aber Gendarmen auf ihn gehetzt, indem er so tat, als sei der Pastor Krause aus Königsberg der Pfarrer Paul. Tromba jammerte so, dass  der Gendarm ihm das abnahm. Der deutsche Pastor Krause bestätigte, er heiße tatsächlich Krause, sei aber Pastor der evangelisch-reformierten Kirche und komme gerade aus Königsberg. Der Gendarm verhaftete daraufhin den evangelischen Pastor Krause und auch Tromba und requirierte, nein konfiszierte den Wagen, in dem Pfarrer Paul als Bauer Formela nach Konitz fahren wollte. Tromba meinte dazu:

„Wir Kaschuben nennen das in unserer armen Sprache Raub und Diebstahl, was nach unserem Katechismus schwere Todsünden sind. Aber sie haben so schöne Wörter, wenn sie etwas wegnehmen, was ihnen nicht gehört, daß sie in meinem Verstand nach dann keine Sünde begeben! Jetzt verstehe ich auch, warum sie die Oberhand über die frommen  Kaschuben  haben. Wenn ein Nachbar den anderen bis aufs Hemd ausplündert, wenn er ihm stückweise Pflug, Wagen, Schlitten, Vieh und Pferde wegnimmt. braucht er nur zu sagen: Konfisziert und requiriert!“

Remus ergänzte, was er von Pfarrer Paul gelernt hatte: „Wenn sie zum Beispiel Klöster einziehen, nennen sie das Säkularisation. Wenn sie das Vieh wegnehmen –  Kontribution. Wenn sie das Land mit Gendarmen und neuen Richtern überschütten, heißt das Zivilisation. Wenn sie Sprache und Glauben der Väter verbieten, nennen sie das Germanisieren.“

Tromba berichtete weiter, in Konitz sei dann Formela, also Pfarrer Paul, abgesprungen und die Gendarmen hätten Pastor Krause zum Gericht gebracht. Der Richter aber habe den Gendarmen die Hölle heiß gemacht, sobald er mit Pastor Krause Fühlung hatte.

Als die Mahd auf den Saboren beendet war, schlief Remus eines Tages unter einem hohen Wacholder ein. Als er aufwachte, stand Klementyna neben ihm und starrte auf seine Brust. Remus griff mit der Hand nach seiner Brust und begriff, das Hemd war aufgeknüpft  gewesen und das Bildnis der Muttergottes, das Wahrzeichen der saborischen Sippe, lag deshalb frei. Klema hatte es gesehen. Remus stand wortlos auf, holte seine Karre und eilte, ohne sich von jemandem zu verabschieden, nach Hause.

35
Wie Remus in der Kirche von Oliva für die Seelen der kaschubischen Fürsten betete und wie er über den Zarnowitzer See nach Westen ging

Mehrere Jahre blieb Remus beim Lehrer zu Haus und wollte auch nicht mit Tromba umherziehen. Dieser erzählte, als Remus ohne Verabschiedung von Fräulein Klema fortgegangen sei, habe sie nicht weiter nach ihm gefragt. Tromba habe schon den komischen Gedanken gehabt, Remus habe vergessen, dass er nichtigen Standes und sie eine Herrentochter sei. Tromba versuchte Remus zu helfen und schlug vor, zur alten Schulista zu gehen, die in solchen Fällen mit Kräutern, einem Topf mit glühenden Kohlen und Duftwasser helfen konnte. Aber Remus wollte das nicht. Er blieb beim Dorflehrer in seiner Kammer.

An Mariae Verkündigung nahm er dann doch seine Karre und zog erneut in die Welt. Zum ersten mal kam er nach Danzig. Um sich herum hörte er eine fremde Sprache, als sei das nicht die Hauptstadt der Kaschuben, sondern eine fremde Stadt. Erst an der Mottlau-Mutlawa hörte er die eigene Sprache. Er konnte aber nicht mit den Leuten dort sprechen, denn keiner verstand ihn aufgrund seiner Sprache. Remus begab sich dann nach Oliva. Joseph auf dem Einödhof und Pfarrer Paul hatten ihm ja geraten, er solle einmal im Leben eine Wallfahrt nach Oliva zu den Gräbern der kaschubischen Fürsten machen. Dort fand Remus den Gedenkstein ‚Monumentum ducum pomoranorum fundatorum huius domus‘ – ‚Denkmal der Pomoranischen Fürsten, der Gründer dieses Hauses‘. Der Stein aus Marmor hatte die Gestalt eines Sarges.

„Wohin waren sie entschwunden, die Scharen der Ritter und der Herren und das Volk, das unsere Fürsten angeführt hatten? Wohin waren sie entschwunden, die mächtigen Äbte der reichen Klöster?  Wer hatte die Erinnerung ausgelöscht und ließ die Gesänge über die große Geschichte sterben? Geblieben waren nur die bleichen Gestalten, die dem Wallfahrtszug im Mirchauer Wald folgten, geblieben war die alte Julka  aus der Garretschnitzschlucht, seltsam wie ein Rätsel und der Unbekannte, der von der steilen Schlossruine im Wald auf dem Trauerzug des Herrn Joseph herabsah  und mich am Olivaer Tor gefragt hatte: ‚Lohnt es sich ohne lohnt es sich nicht?’“ Und schließlich er selbst der arme Remus mit der gestörten Sprache.

Remus bestellte beim Küster eine Heilige Messer für die in Oliva bestatteten kaschubischen Fürsten, für die Subislaws, Sambore, Swentopolke und für die Mestwins.

Der Küster weinte. Denn alle hier, den Küster ausgenommen, hätten diese Fürsten vergessen. Bald solle auch der Marmorstein entfernt und in einem Winkel abgestellt werden, damit sich niemand mehr an die kaschubischen Fürsten erinnere. Der Olivaer Pfarrer habe gesagt: „Ihr Kaschuben seid wie eine uralte Tierart, die vor unsern Augen ausstirbt. Der Tod ist euch vorherbestimmt, aber solange ihr noch atmet, wäre es unschön, euch den Todesstoß zu geben.“ Der Pfarrer werde sich wundern, wenn er zu ihm komme.

Remus zog weiter nach Putzig, dann zur Darluber Heide – Darzlubska Pusta. Er hörte den Ruf aus dem fernen Grab in Lipno: „Du wirst dann die letzten Grenzen besuchen, wo sie noch unsere Sprache sprechen.“ Remus wandte sich in Richtung Zarnowitz, wo sich ein in der kaschubischen Geschichte berühmtes Kloster befand. Dort lag ein See, auf dessen westlicher Seite noch kaschubische Leute lebten. Ihre Dörfer waren aber nur Inseln im deutschen Meer.

Da traf Remus auf Tromba mit der Geige und blitzenden Trompete. Tromba hatte Remus lange gesucht. Das war gut, denn Tromba konnte sich mit Remus verständigen und konnte zudem auch gut Deutsch. Remus wollte weiterwandern, solange er noch in den Dörfern die kaschubische Sprache hörte, um zu erkunden, wieweit derzeit die Grenzen des kaschubischen Volkes reichten, bis zur Mündung der Leba. Dort lebten auch noch kaschubische Brüder. Tromba bemerkte, westlich vom See wohnten nur Deutsche. Dort käme Remus bestimmt ins Gefängnis und Tromba mit ihm. Eines Morgens würde man den Remus in einem Felde finden,  die Zähne nach oben, verhungert. Er hätte dann diese Welt ohne Absolution verlassen,  weil sie dort keinen Pfarrer hätten. Damit Tromba diese Verdammnis nicht auf dem Gewissen habe, wolle er mit Remus mitkommen. Er werde auch noch ein paar Liedchen über Wilhelm spielen können. Tanzen würden die Leute auch nach den Melodien seiner Geige, denn, wenn sie auch Sprache und Glauben abgelegt hätten, seien ihre Beine doch noch kaschubisch geblieben.

Fischer setzten die beiden über den See. Dort im Westen überwog die deutsche Sprache. Niemand kaufte mehr die Andachtsbücher von Remus, nur Nähgarn, Knöpfe und Nadeln. Es gab hier noch viele größere Güter, auf denen reiche Herren saßen. Ihre Namen klangen noch ganz kaschubisch, aber ihre Herzen waren schon auf die deutsche Seite übergelaufen.

36
Remus und Tromba in der Hölle

Dann kamen die beiden in die Nähe des Sabsker Sees. Tromba spielte seine Geige im Gehen. Er wollte seine schwarzen Gedanken vertreiben: „Hier wollte ich nicht sterben und nicht begraben sein! Denn wer weiß, ob der Herr Jesus am jüngsten Tag unter so viel Lutheranern meinen Ruf: Ich bin Katholik!  hören und mich nicht mit dem ganzen Haufen dieser Andersgläubigen in die Hölle hinabstürzen würde!“

Von vorne kam ein schöner Landauer. Darin saß ein alter Herr, ihm gegenüber ein junger Mann und oben auf dem Bock der Kutscher. Der Herr ließ den Wagen anhalten und fragte, woher die beiden kämen. „Aus der Kaschubei“,  antwortete Tromba. „Das sehe ich“, entgegnete der Herr. Er habe schon an Remus langer Gestalt den Kaschuben erkannt. „Aber aus welcher Gegend? Denn auch hier gibt es Kaschuben, solange ich noch lebe.“ Tromba sagte, sie kämen aus Lipno, einem gottesfürchtigen Dorf nicht weit vom Wdzidzen-See. Remus habe sich vorgenommen, die letzten Grenzen der kaschubischen Sprache zu besuchen. Der Herr lud die beiden Freunde ein, mit ihm zu fahren und seine Gäste zu sein. Deshalb lud der junge Mann, er hieß Derda, Remus Karre und Pakete in den Wagen.  Tromba aber hatte Angst. Denn könnte der Herr nicht ein hoher Gendarm, ein Minister des preußischen Königs, der höchste Gerichtsvollzieher oder gar Luzifer sein? Das nicht, war die Antwort des Herrn, „aber wem ich meine Gastfreundschaft anbiete, der entkommt ihr mit keiner Ausrede.“ Er sei der Herr Mlotk aus Sarbske. Er habe schon lange keine zwei so prächtigen kaschubischen Exemplare wie die beiden Freunde zu Gesicht bekommen. Am liebsten würde er sie in zwei großen Glasgefäßen in Spiritus als Schaustücke in seinem Museum aufbewahren. Auf die Frage von Tromba, ob das ein Ort sei, wo man Verstorbene aufbewahre, bejahte Mlotk das: „Im Museum hebt man das auf, was schon gestorben ist.“ Er könne aber keine lebenden Menschen in Spiritus einlegen und zukorken. Mlotk sagte, die Nachbarn sagten vom ihm, er sei nicht richtig im Kopf. Was er gesagt habe, sei nur ein Scherz.

Der Landauer hielt dann an einem großen Platz vor einem prächtigen Palast. Alles war wie in einem Märchen für Kinder. Dann wurden Remus Und Tromba zu irgendwelchen schönen Gebäuden geführt mit zwei weiß gekalkten sauberen Zimmern mit Betten, Stühlen, Tisch und weltlichen Bildern an den Wänden. Tromba fiel es auf, dass Weihwasserbecken, ein Kreuz und heilige Bilder fehlten. Er glaubte sich in des Teufels Küche. Er wäre lieber in Lipno unter der Fuchtel der ehelichen Feuerschaufel als hier.

Die beiden wuschen sich und bekamen zu essen. Dann trat der Diener mit Derda herein. Tromba wollte von ihm wissen, wo sie sich befänden und bekam zur Antwort: „In der Hölle.“ Tromba glaubte es und war der Meinung, das sei wohl nur deshalb, weil er auf der Geige sündige deutsche Lieder gespielt habe. Tromba fragte Derda, ob dieser spotte. Derda antwortete, wie könne er spotten, er sei doch selbst ein Teufel aus der Hölle. Er sehe aus wie ein Mensch, das habe Luzifer ihm selbst, einigen Dienern, dem Kutscher und dem Herrn so gestattet. Und er verwies darauf, dass man außerhalb durch das Fenster einen wirklichen Teufel sehen könne.

Durch das Fenster war ein Wesen zu sehen, schwarz wie Teer, mit einem langen roten Mantel, ein Sonderling in Menschengestalt, der das „Maul dem Fenster zukehrte und die weißen Zähne fletschte“. Remus überlegte, es könne sich um ein Trugbild oder eine Komödie handeln. Tromba aber war voller Angst, die Derda noch vermehrte. Denn er erzählte, dass im Hauptgebäude in hunderten Stockwerken viele Teufel und Verdammte untergebracht wären. Auch über die beiden Freunde werde das höllische Gericht befinden. Dazu werde der Herr sie rufen. Dann sprach Derda von den Höllenqualen: Unter anderem, dass ein stumpfer Hahn immer wieder Galle anzapfte, von einem Höllentrunk mit Galle, Tinte und Krötenblut, der in die Gurgel geschüttet wurde und der Krämpfe verursachte. „Nach den Krämpfen müssen sie sich übergeben. Aber sie haben einen Magen, der Briefe, Bücher und Zeitungen auskotzt. Am wenigsten quälen sich die, die nur eine kleine Zeitung herauskotzen müssen. Sie spucken sie aus, und es geht ihnen wieder gut. Aber es gibt andere, die müssen Stücke so groß wie ein Segel einer Fischerschute von sich geben Dazu bläht der Wind diese Lappen so heftig, daß  dass sie den Sündern der gleichen Gattung an die Stirn schlagen, und diese zahlen mit gleicher Münze heim. Und so flattern diese Produkte von Galle, Tinte und Krötenblut von Kopf zu Kopf, so daß in diesem Teil der Hölle Geschrei, Donner und ewiger Gestank herrschen. Schreckliche Qualen leiden diejenigen, die ganze dicke Bücher herauskotzen müssen, deren Mäuler krümmen sich in alle Himmelsrichtungen. Und manchmal bläht sie das Höllengetränk, daß  die Bücher hinten und vorne herauskommen,  groß wie halbe Tüten und gleich schockweise. Die Teufel,  die in diesem Teil der Hölle Dienst tun müssen,  werden alle zwei Stunden abgelöst, denn länger würde sie es nicht aushalten.“ Aber „habt keine  allzu große Angst. In die schlimmste Abteilung unserer Hölle kommt ihr nicht. Da ziehen sie die Haut ab. Denn ihr müßt wissen – hier bei uns ist die kaschubische Hölle. Jedes Volk hat seine eigene.“ Seit fünfhundert Jahren kämen aus der deutschen Hölle ganze Heere Verdammter. Ein hässlicher Teufel mit einem Stahlschnabel hacke auf die Umgetauschten los und spüre sofort, ob die Haut darunter kaschubisch sei oder nicht. Wenn ja, ziehe der Teufel den Unglücklichen die Haut ab. Oder er schabe sie mit Ziegelsteinen ab. „Und manchmal müssen sie neue Häute aufziehen, bis endlich ein reiner und echter Kaschube zum Vorschein kommt.“ Die abgezogenen Häute verkaufe man dann an die Deutschen in Berlin. „In Berlin brauchen sie eine Menge davon, dort lebt nämlich das einzige Volk der Welt, das die Geisteskrankheit hat, anderen Völkern eine deutsche Haut überziehen zu müssen, ob es ihnen nun paßt oder nicht.“ Er, Derda, werbe die Dummen an, um die Verdammten in die kaschubische Hölle zu locken.

Tromba sehnte sich zum ersten Mal in seinem Leben nach seiner Frau Trombine, mit ihrem Besenstiel, ihrer Feuerschaufel, Brotschaufel, Schöpfkelle und ihrer gesamten Aussteuer.

Der Schwarze kam herein, um Tromba und Remus dem Höllengericht vorzuführen. Aber Tromba weigerte sich mitzugehen und jammerte. Da packte Remus das schwarze Ungeheuer, hob es hoch und warf es auf den Hof hinaus. Und Derda stürzte mit Höllengeschrei hinterher. Tromba begann mit aller Macht seine Trompete zu blasen und spielte für die Erlösung der Seelen. Remus aber glaubte immer mehr, dass das ganze ein herrschaftlicher Ulk war.

Außen versammelte sich eine große Menge, die hereindrängen wollte. Remus hielt die Tür nur mit Mühe zu. Tromba blies so stark, dass die Mauern Risse bekamen. Die Menge hielt  Trombas Trompetenlaute für einen Höllenlärm. Ein Dicker zerbrach die Fensterscheibe, entriss Tromba sein Instrument und stieß ihm in die Rippen, dass dieser einen Purzelbaum schlug. Der Dicke bekreuzigte sich danach.

Es stellte sich heraus, dass das ganze ein Streich des besoffenen Studenten Derda war. Der Dicke war der Gutsverwalter. Er war katholisch, stammte aus dem Kreis Putzig und trug ein Skapulier. Er sagte: „Die übrigen Leute hier sprechen zwar unser Kaschubisch, aber sie haben doch den deutschen Glauben – auch unser Herr. Trotzdem liebt er das kaschubische Volk sehr und spricht mit uns immer in unserer Sprache. Deshalb nennen ihn die deutschen Nachbarn den Kaschubenkönig. Er könnte es tatsächlich sein denn er hat große Güter in Pommerellen und hier in Sarbske hat er seinen Palast. Schade, daß er keine Söhne hat, nur eine einzige Tochter und die ist mehr Geist als Mensch. Schön ist sie wie ein Engel und tut den Leuten nichts Böses, aber nachts hat sie Umgang mit Geistern!“

Als Tromba begann, von sich und Remus zu erzählen, zeigte sich der Schwarze wieder am Fenster. Der Verwalter schrie ihn an, der Schwarze floh und der Verwalter erzählte, dieser Mohr sei ein Mensch mit einer Seele wie ein Weißer. Der Herr habe ihn aus Afrika mitgebracht. Dort wohnten die Schwarzen näher an der Sonne und diese räuchere ihnen die Haut schwarz.

Der Verwalter schloss mit Remus und Tromba Freundschaft und nahm sie mit zu sich nach Hause. Er sagte, der Herr sei ein guter Mensch. Er habe nichts mit dem Bösen zu tun.

Aber unlängst sei hier ein Maler erschienen, dem nichts Gutes aus dem Auge spreche. Er hause in irgendeinem alten Turm, und nachts würde niemand dorthin gehen, Denn oben aus dem Fenster schimmerten seltsame Lichter. Tagsüber male er in seinem Zimmer. Seit er hier sei, gingen jede Nacht irgendwelche Geister im Palast umher. Das Fräulein habe Krämpfe und sage die Zukunft voraus, was ihr bestimmt das Leben verkürzen würde. Man wundere sich darüber, dass der alte Herr den Maler noch nicht weggejagt habe. Denn in diesem Maler  stecke  nichts Gutes.

37
Bei den letzten Kaschuben in Pommerellen

Ein Diener holte Remus und Tromba zum Herrn des Hauses. Er begrüßte die beiden und fragte sie, wie es komme, dass sie sich so weit vorgewagt hätten. Tromba sagte, alle Schuld treffe Remus. Ihm spukten immer versunkene Schlösser im Kopf herum, die er erlösen wolle. Er wolle die äußersten Grenzen der kaschubischen Grenze besuchen. Tromba begleite ihn wegen seiner gebrechlichen Zunge und weil er kein Deutsch könne.

Herr Mlotk sprach dann von sich. Er sei Herr über viele Dörfer der Pomerellen. Die Wisente seien fast ausgestorben und er, Mlotk auf Sarbske sei der letzte Kaschube. An Remus gewandt, sagte er, wenn er nach Westen bis zur Leba gehe, werde er immer noch kaschubisch sprechende Fischer finden. In Glowitz predige der Pastor für die alten Leute kaschubisch, oder wie man hier sage, slowinzisch. Die alten Fischer am Gardener See sprächen auch noch „wie wir“. Aber das seien die letzten Sonnenstrahlen, die jeden Tag auslöschen könnten. Die Jungen verstünden die Sprache ihrer Eltern nicht mehr. Sie werde mit den Alten ins Grab gehen. Auch den Kaschuben auf der anderen Seite des Zarnowitzer Sees werde das passieren. „Dieses Volk wird auseinanderfallen, wenn der letzte Herr stirbt und der bin ich. Deshalb habe ich gesagt, daß ich der letzte Kaschube bin.“

Während Remus diese Rede des letzten kaschubischen Herrn hörte, fühlte er ein unerträgliches Gewicht auf der Brust. Dann zeigte Mlotk ihnen einen Raum voll mit kaschubischen schönen Blumen bemalten Truhen, Frauenkleidern, Hauben, Männerkleidern für Bauern und Fischern, Netzen, Pflügen, Töpfen, Schüsseln und Krügen.

Tromba rief erstaunt, was wohl die Leute in Lipno sagen würden, wenn sie ihren armseligen Hausrat im Palast eines so hohen Herrn geachtet finden würden. Mlotk aber sagte: „Nicht der Hausrat ist arm, sondern ihr seid arm, weil ihr nicht achtet, was euer ist! Und in euch bohrt der Totenwurm, wie in einem reifen Apfel, denn ein Volk, das seine eigene Sprache, seine Sitten und Geräte verachtet, dem steht der Tod ins Auge.“ Und Tromba schämte sich.

Dann zeigte Mlotk einen zuerst abgedunkelten  anderen Raum voller Kriegsgerät und Porträts. Da hingen Schilde, Helme, Lanzen, Beile, Schwerter, Gewehre und Uniformen – und Bilder in königlichen Gewändern mit stolzen Herrengesichtern, mit Zeptern oder Schwertern in der Hand. Der Herr fragte Remus, um wen es sich handle. Remus wusste es nicht. Mlotk verwies auf die Bilder und sagte: „Die hier in einer langen Reihe auf dich herunterschauen, sind unsere kaschubischen Fürsten. Du hast sie hier alle: Wratislaw, der mit Otto dem Heiligen und dem polnischen König Boleslaw unser Land von der Oder bis zur Leba taufen ließ, bis zum letzten Boguslaw dem Vierzehnten, der anno 1637 starb. Am anderen Ende des Saales hast du eure Danziger Fürsten von Swantibor bis zum letzten Mestwin. Sie sind früher ausgestorben als die Stettiner, aber sie haben festere Fundamente für ihr Volk gelegt. Sieh den in der glänzenden Rüstung an, das ist Swantopolk der Große. Sechshundert Jahre sind in die Ewigkeit gegangen seit sie ihn in Oliva begraben haben, und ihr lebt noch immer dank seinem Schwert und seiner Arbeit. Sehr klug war auch sein Sohn Mestwin II. Mit ihm starb zwar sein Geschlecht aus, aber er hat geschafft, was der Smentk bei den Stettiner Fürsten verhinderte: Er vereinigte sich für immer mit Polen. Siehst du! Wenn Polen ein freies Land geblieben wäre, hieße ich sicher nicht der letzte Kaschube! […] Das, was ihr hier seht, sind also die Reste unseres ganzen Ruhmes aus tausend Jahren Geschichte, Brüder.“

Jede lebende Generation sei wie die Welle eines Flusses, dessen Strömung aus vergangenen Zeiten in eine unbekannte Zukunft fließe. „Doch in unsrem Fluß ist das Wasser ausgetrocknet.“ Mlotk zeigte dann Bilder von Gelehrten, Wojwoden und Richtern. „Der da ist zum Beispiel Kanzow, unser Geschichtsschreiber und der ist Pastor Krofey aus Bütow, der die Kirchenlieder auf kaschubisch herausgegeben hat. Und dieser, dessen weißer Bart bis zum Gürtel reiht und der die Hand auf die Heilige Schrift gelegt hat, das ist Mostnik, der die slowinzische Kirche in Schmolsin am Fuße des Revekol gegründet hat.  […] Auch bei euch dengelt der Völkertod seine Sense.“

Remus Herz blutete. Denn er dachte an die alte Kirche in Oliva, wo er für die Subislaws, Sambors, Swantopolks und die Mestwins ein Gedenkamt bestellt hatte.

Dann führte der Herr die beiden in einen anderen Saal mit Regalen voller Bücher, Porträts von Damen in schönen Gewändern und Rittern in Panzern und schönen Anzügen. Herr Sarbski verwies auf eine Reihe alter Bilder: „Am Ende dieser Reihe siehst du ein Stück leere Wand. Dort werden die Porträts von mir und meinem Kind hängen, denn es wird mich nicht überleben. Die Ritter und Damen, die von den Wänden auf uns herabsehen, sind meine Vorfahren. Ich werde der letzte in ihrer Reihe sein.“

Im helleren Teil des Saales stand in der Nähe des Fensters ein Mann mit einem großen Hut vor einem Gestell, auf das eine Leinwand gespannt war und malte. Dann bedeckte er das Bild mit einem großen Tuch. Als der Maler Remus anschaute, traf es ihn wie ein Blitz. Er sah aus wie der Czernik! Der Maler erkannte Remus aber wohl nicht. Er sprach nur Deutsch mit dem Herrn. Als die beiden Freunde ins Bett gehen wollten, sprach Tromba über die Angst vor dem Schwarzen aus Afrika und  bemerkte: „Und dann noch der da am Fenster im Palast, der ein Maler sein soll! Er hatte einen Pinsel in der Hand, aber ich hätte schwören können, daß das der Czernik war.“

Remus stimmte Tromba zu, der Maler käme auch ihm wie der Czernik vor. „Auch mir scheint, daß der Smentk durch die Kaschubei wandert, Hier malt er, dort legt er das Recht aus, woanders schreibt er Zeitungen und Bücher, dann wieder kämpft er mit dem Schwert – aber immer zu unserm Unglück und Verderben.“

38
Geistertanz im Sarbsker Schloß.  Remus erkennt, daß er den Geist des Wituslaw in sich trägt

An nächsten Morgen zeigte der Herr von Sarbski Remus in dem Saal, wo Remus am Tag zuvor den Maler gesehen hatte, viele Bücher und Bilder aus der Geschichte des kaschubischen Volkes. Sabski erzählte, er habe  lebenslang jedes Andenken gesammelt, damit die Welt einmal wissen solle, was die Kaschuben einmal waren und nicht mehr seien. Remus war aber der Ansicht, man solle die Andenken nicht für die staunende Nachwelt aufbewahren, sondern für die Jungen und Kinder, damit sie ihre Väter ehren und ihnen gleich werden könnten. Sarbske antwortete, er habe früher auch so gedacht. „Aber seither habe ich gesehen, wie unsere Sprache ausstirbt, die noch zu meiner Zeit in ganz Pommerellen von Koslin bis Zanowitz und Bütow-Betovo verbreitet war. In meinen Augen ist unser Kaschubentum zusammengefallen wie das verzauberte Schloß in den Sagen. Wer wird es auf sich nehmen, es zu erlösen? Es hat einmal eine Zeit gegeben, wo ich es auf mich nehmen wollte. Aber ich habe festgestellt, daß es sich nicht lohnt.“

In den Augen des Malers flammte bei den hoffnungslosen Worten des Herrn, daß es sich nicht lohne, eine Art grünes Licht auf, um sofort wieder zu verlöschen, wie Remus bemerkte.

Remus erinnerte Sarbske an ein bekanntes Gesicht, er wusste aber nicht, an wen. Er habe Remus schon einmal gesehen, aber nicht in der miserablen Kleidung, sondern als Herrn. Remus sollte sich einen da liegenden Ritterhelm aufsetzen. Der passte sofort. Und Remus bemerkte: „In diesem Augenblick lief mir ein seltsames Feuer vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Kraftstrom nicht von dieser Welt. Es schüttelte mich wie im Fieber, und ich verstand selbst nicht, daß meine Hand unwillkürlich an die linke Seite griff, als müsse sie dort ein Schwert finden.“

Sarbski führte Remus zu einem Bild, auf dem ein Ritter in Helm und Rüstung zu sehen war. Auf diesem Bild stand auf einer Tafel in wunderlich verschlungenen Buchstaben eine lange Inschrift auf Lateinisch, die Sarbski ins Kaschubische übersetzte:

„Vituslav Joachim Jesko Mlotk von Sarbske anno Domini 1580  durch unseren Herrn Barnim XIII wegen eines Überfalls mit Waffengewalt auf die Stadt Schlawe, bei dem einer der Bürger das Lebe verlor und anderen schweren Wunden zugefügt wurden, zu einer Zahlung von sechshundert Talern Geldstrafe verurteilt, zahlbar im Laufe von vier Wochen. Nach der Einziehung seiner Güter wegen der Nichtbeibringung einer so hohen Summe in so kurzer Zeit ging er mir mit seinem treuen Diener Guschtk aus Sdunen außer Landes und trat in den Heeresdienst des polnischen Königs Stephan Bartori. In dessen Dienst wurde er unter Befehl des Hauptmannes Jan Zamojski stehend bei Pskow verwundet. Nach Friedensschluß  wurde ihm bei Riga in Inflans ein Gut als Schenkung gegeben. Dort wurde er anno Domini 1585 tödlich verwundet im Kampf mit den Aufständischen Rigaer Bürgern! Er ruhe in Frieden.“

Herr Sarbski verglich Remus, als er den Helm aufhatte, mit dem Porträt des Wituslaw und bemerkte, dass Remus dem Wituslaw seltsam ähnelte.

Dabei sah Maler die beiden mit sonderbaren Augen an, und er erinnerten Remus wieder an den Czernik.

Abends kam Tromba. Er hatte einen Ausflug zum Sarbsker See gemacht. Er berichtete, dass dort nur noch die Eltern, aber keine Leute mehr Kaschubisch verstünden. „Aber ihre Beine sind kaschubisch geblieben, und sie tanzen nach meinen Liedern, daß die Späne fliegen.“

Remus träumte, daß er sich irgendwo in der weiten Welt in Panzer und Helm des Herrn Wituslaw Mlotk mit den Heiden schlug.

Gegen Sonnenuntergang befand sich Remus wieder in dem großen Saal. Am Fenster saß Fräulein Sarbski aus dem Stamme der Mlotks. Sie war von einzigartiger Schönheit. Aber Remus Seele sagte ihm, dass eine Krankheit in ihr steckte, die ihr Leben noch in jungen Jahren beenden würde. Der alte Sarbski saß am Kamin.

Der Maler saß weit weg am Fenster in einem dunklen Winkel bei der Tür. Das Licht der Augen des Malers strahlte wie das Leuchten eines morschen Baumes das Fräulein an. Es wurde dunkel und kalt.  Schwere Balken hingen wie riesige Spinnen an der Decke. Es wurde ganz dunkel, und an der Tür leuchteten die Augen des Malers wie verfaultes Holz.

Dann sprach das Fräulein, aber ihre Lippen waren tonlos. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen und einer anderen Person anzugehören:

„Ich sehe! Durch Heidekraut und durch Felder, durch Wälder, Moor und Sand am Meer wandert ein Mensch zu uns, elend und arm, in groben Wollkleidern… In den Tätern der Menschen verbellen ihn die Hunde, Trugbilder verwirren ihn, Disteln stechen ihn…  Er geht im Dunkeln,  aber in ihm brennt das Feuer für Swaroschitz. Er sucht den Weg zu den versunkenen Schlössern, aber wer gibt ihm ‚Licht und Schwert‘? … Der Smentk geht hinter ihm her, der von Anfang an in unserer Geschichte Tod und Rache gebracht hat…  Der Smentk, der mich, die Swentoboritze, die Gemahlin des Kruko, in das Bett Heinrichs gestoßen und das Beil geschärft hat, das meinen Gemahl und König von Rügen das Haupt abschlug… Der Smentk, der durch die Hand der Dänen die Grenzfeste Swieta Stanica verbrannte und mit dem brennenden Standbild des Swantowit bis zu den weißen heiligen Arkona-Felsen leuchtete… Der Smentk, der die Brüder des Swentopolk in Danzig- Gdansk zum Bruderkrieg überredete…

Der Smentk, der mit der Hand des welchem Vagabunden die Söhne des Wratislaw vergiftete… Der das Andenken des Rittergeschlechtes beschmutzte, der die Kirche am Fuß des Rewekol unterdrückte, der die Seelen des kaschubischen Adels vernichtete, der das letzte Licht im kaschubischen Volk auslöscht… Der Smentk geht hinter ihm her… Bis sie hier angekommen sind…“

Dann sah das Mädchen Remus mit weit geöffneten Augen an: „Es grüßen dich die Seelen deiner Vorfahren!“

Remus standen die Haare zu Berge. Denn die Damen und Ritter traten aus ihren Bilderrahmen an der Wand zu einem stummen Reigen in dem großen Saal heraus. Trotz trotz der Dunkelheit waren ihre Gesichter zu erkennen. Remus unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei,  als er in einer der Damen die Gestalt der alten Julka erkannte.

Fräulein Slawine sagte dann:

„Sidonia vom Stamme der Borke ist mütterlicherseits eine geborene Mlotk. Unschuldig verurteilt, weil sie angeblich durch Zauberei den Tod des Greifengeschlechts heraufbeschwor, das über Pommerellen herrschte, wurde sie in ihrem achtzigsten Lebensjahr mit dem Schwert enthauptet.“

Nur zwei Bilder waren ihren Rahmen geblieben: Das blasse Gesicht der Sidonia von Borke und eine Rittergestalt, die mit kräftigen Farben in der Dunkelheit schimmerte.

Herr Sarbski ließ es nicht aus den Augen und fragte in die Dunkelheit hinein:

„Slawine, meine Tochter. Warum tritt der Ritter Wituslaw nicht vor, der im Dienste des polnischen Königs Batori zur Zeit des Aufstands der Rigaer Bürger getötet wurde?“

Fräulein Slawine wandte Remus langsam ihre geöffneten Augen zu, deutete auf Remus und sagte:

„Er ist hier!“

In diesem Augenblick liefen Funken durch Remus Körper, die in seinen Augen flammten, als hätte der Blitz ganz nah eingeschlagen. Als er zu sich kam, erkannte er in dem Porträt den Ritter Wituslaw, vor dem er einen Tag zuvor mit dem Helm auf dem Kopf gestanden hatte, unwillkürlich nach dem Schwert an der linken Seite tastend.

Herr Sarbski sprach feierlich, Remus solle sich nicht wundern. „Der unsterbliche Geist des Menschen kann durch Gottes Willen mehr als einmal auf diese Erde kommen und sich eine Gestalt formen, die ihm paßt. Nur der Herrgott allein weiß, warum du jetzt in dieser elenden Gestalt auf der Erde leben und, was das schlimmste ist, einer verlorenen Sache dienen mußt!“

Slawine aber rief: „Er dient keiner verlorenen Sache! Er dient keiner verlorenen Sache!“ Sie streckte die Hand nach Remus aus und sprach mit lauter Stimme:

„Wenn die Leba nach Sarbske kommt
und von Gollen das Lied der Eintracht klingt
von Osten her und nach Westen hin
von dem weißen Hela bis zur Stubbenkammer,
wenn in der Mündung zweier Flüsse
ein Schiff mit einem Greifbanner segelt
und der Rewekol mit dem Feuerauge
ihm seinen Gruß entbietet,
wenn die Söhne der Weleter zusammenkommen
und die Feuer auf den Gräbern hüten,
die sich ausbreiten wie eine Welle
von Mottlau bis zur Ucker –
Dann erfüllt sich der kaschubische Mythos,
der Greif fliegt aus dem Schild des Fürsten,
und sie werden auf dieses Zeichen schwören
von der Stubbenkammer bis nach Hela.“

Dann tönte es aus der dunklen Ecke an der Tür: „Niemals.“ Es war der Maler.

„Der Smentk!“, schrie Fräulein Slawine. Und heftige Krämpfe begannen ihren zierlichen Körper zu erschüttern.

Der Maler, der noch nie dem Czernik so ähnlich war wie jetzt, vertrat Remus den Weg. „Sieh“, schrie er Remus an und riss den Vorhang von dem Bild, an dem er in den vergangenen Tagen gemalt hatte.

Nie war Remus  je zuvor so erschüttert gewesen. „Mein Traum aus den Kindergarten, die Sorge meine Seele, meine Siege und meine Verzagtheit,“, so Remus, „Hier wurden sie Wirklichkeit. Ich sah nicht ein Bild, sondern wie durch ein großes Fenster auf irgendeine fremde Welt.“

Darin strömte ein grünblauer Fluß.  Am Ufer gegenüber stand ein Schloss, seine Mauern aus weißem Stein leuchteten wie Schnee. Das Dach auf hohen gedrehten Säulen stützte sich auf goldene Sockel mit goldenen Kapitelen. Das Tor aus blaugrünem Stein war durchsichtig wie Wasser. In einem großen Bogen umfasste es wie mit einem Baldachin die goldenen Torflügel. Breite, herrschaftliche Stufen mit bunten Teppichen führten zum Tor.

Davor standen wie mächtige Wächter ruhig und still erhabene Bäume voller grünschwarzer Nadeln, wie Remus sie in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Von den Bäumen führte ein Sandweg hinunter zum Fluss, und in dem Fluss sah er dasselbe Schloss mit der Spitze nach unten und dieselben Bäume wie im Spiegelbild.

Am gegenüberliegenden Ufer stand die Königstochter mit einer goldenen Krone im Haar. Traurig sah sie auf die weißen Schlossmauern. Denn das Wasser schnitt ihr den Weg ab, und um Wasser hockten, schrecklich anzusehen, ‚Plage‘ und ‚Angst‘. Drüben am Ufer saß in bunten Kleidern im Schneidersitz das Weib! Auf dem Kopf trug sie die Mütze mit den hundert Glöckchen daran. Ihre Augen und ihr Mund lachten. Sie zerbrach Scherben über den Wasser und rief:

„Sinnlos! Sinnlos!“

Sich selbst, den Jungen, sah Remus nicht. Statt dessen eilte in langer Reihe ein Heer hoch zu Ross der Königstochter zu Hilfe. Einen Augenblick lang leuchtete das Gesicht der Julka von Garretchnitz auf, und Remus  verstand: Das war das Heer, das ich einst im Mirchauer Forst gesehen hatte!  Nur waren sie hier keine Schatten, sondern bunte Ritter und schwere Pferde, die wie der Donner den Gespenstern im Fluss entgegenjagten.  Und wer eilte ihnen voraus, mit einer brennenden Fackel in der Hand und dem blitzenden Schwert in der anderen Hand? In einem stählernen Panzer mit einem Helm auf dem Kopf jagte er dahin und sah aus wie Wituslaw,

der in einem fernen Land den Rittertod gestorben war. Aber nein! Das war ja Remus selbst! Deutlich spürte er den Schein seiner Fackel und das Feuer,  das aus ihr schlug. Und das Schwert entfachte in seiner Hand, die es hielt, all seine Kraft. Und stolz auf diese Kraft, die in ihm steckte, und stolz, dass ihm donnernd  hunderte von Pferden und Rittern in Panzern folgten,  jagte er zum Fluss wie ein Sturm. Die Flussgespenster flüchteten in alle Richtungen. Nur die Frau,  die ‚Sinnlos‘ geschrien hatte blieb am Ufer. Sie zerbrach Scherben und rief ‚Sinnlos! Sinnlos!‘ Und aus jeder Scherbe sprang eine Fledermaus mit spitzen Krallen und blutrünstigem Maul, bis sich im Nu Tausende von ihnen auf Remus und sein Heer ergossen. Ekelhafte Echsen klammerten sich an den Nacken der Ritter und an die Mähnen der Pferde. Und dort, wo sie sich hinsetzten, verblassten Ritter und Pferd und verwandelten sich in fahle Schatten. Die Fackel in Remus Hand erlosch. Und als er fühlte, dass das Schwert in seiner Hand kein Gewicht mehr hatte, sah er auf seine Rechte, die bewaffnet gewesen war. Aber dort war kein Schwert mehr. Er hielt eine leichte, kleine Gerte in der Hand. Und er selbst war nur noch der kleine Hirte mit bloßen Füßen, der zu der  schönen Königstochter hinsah und sagte:

„Königstochter, dein Diener ist zu klein und gering für diese Aufgabe!“

Der Orkan von Trugbildern und Wirklichkeit im Wechsel mit Furcht und Jammer, Sehnsucht, Schmerz und Verzweiflung erschütterte Remus so, dass er im Kopf ein Brausen wie von Meereswellen hörte. Gleichgültigkeit und Schwäche ließen ihn zusammensinken, und ihm schien, dass ihn das Leben verließ. Aber sogar durch das schreckliche Brausen in seinem Kopf hindurch hörte er wie aus weiter Ferne das Gespött des Feindes:

„Ha, ha, ha! Du wolltest doch das versunkene Schloß erlösen und die Räder an Smentks Wagen zurückdrehen?! Und hier an der Schwelle deiner Aufgabe fällst du bewußtlos nieder! Was nützen dir ‚Schwert und Licht‘, wenn du kein…“

Remus erwachte auf seinem Bett. Der Verwalter, der Schelm Derda und Tromba standen neben dem Bett. Remus bedrängtes Herz fühlte sich erleichtert. Er bemerkte, dass sie ihm das Wams aufgeknöpft hatten, um ihn wieder zum Bewusstsein zu bringen. Das saborische Familienzeichen funkelte auf seiner Brust. Aber niemand erwähnte es.

Fräulein Slawine war noch immer bewusstlos. Derda schickte nach Ärzten.  Derda sprach: „Alle Schuld trifft den Teufelsmaler, der dem Alten versprochen hat,  ein Fenster zu der Welt zu öffnen, die jenseits der Schwelle des Todes beginnt. Deshalb begannen sich Geister im Schloss herumzutreiben. Ich habe von den Leuten hier gehört, daß der Böse selbst jedesmal die Schlösser der kaschubischen Adligen besucht, wenn eine alte Familie aussterben soll. Manchmal soll der Böse wirklich als Maler kommen, manchmal als Doktor, dann wieder als Zauberer, der die Zukunft voraussagt. Der Maler ist verschwunden wie ein Jude bei der Nacht und ist nirgends mehr zu finden.“

Der Verwalter wollte nur bis Michaelis bleiben, Derda aber wollte noch weiter  bleiben, um in den alten Papierbündeln zu stöbern, was über die kaschubische Geschichte in ihnen stand. „Wenn der Alte und seine schöne Tochter ins Jenseits gehen, wird hier das Deutschtum alles überfluten. Und die Deutschen werden, wie gewohnt, jede Erinnerung vernichten.“

Remus und Derda aber verließen Sarbskis Gut. Denn Remus wollte weiter bis zu der äußersten Grenze der kaschubischen Sprache wandern.

39
Remus verliert die Karre, rettet aber sein und Trombas Leben im Leba-Moor in der Margaretennacht

Remus und Tromba kamen zum Dorf Lebafelde am Lebasee. Durch diesen See fließt die Leba, deren Quellen im Mirchauer Forst zu finden sind, zur Ostsee. In einem Gasthof erzählten die Leute, dass das Kaschubische noch auf der anderen Seeseite und hinter dem Fluss Pustinka, ja sogar noch an der Mündung der Lupawa gesprochen werde. Die Frauen kauften bei Remus Knöpfe, Nadeln und Garn, aber keine Andachtsbücher. Ein Fischer setzte die beiden über den See nach Giesebitz. Die Müdigkeit überwältigte sie dann. Als sie aufwachten, wollten sie vor Anbruch der Nacht das Leba-Moor durchqueren. Fischer hatten sie vor dem Moor gewarnt. Remus und Tromba verirrten sich im Moor. Vor ihnen ging ein winziger Mensch mit spitzem Hut und Kragen. Tromba rief ihn. Der Mensch drehte sich um – es war niemand anders als der Teufelsmaler von Sarbske! Remus war sehr wütet auf ihn und rannte ihm nach. Der Teufelsmaler war aber plötzlich mit höllischem Gelächter verschwunden. „Dort hinter uns in Sarbske war die Hölle und einer ihrer Teufel hat uns hierher in diesen schrecklichen Sumpf geführt“, sagte Tromba. „Er hat uns absichtlich ins Unglück geführt.“ Sie steckten schon bis zu den Knöcheln im Schlamm. Remus, der  den Weg gehen wollte, auf dem der Teufelsmaler verschwunden war, um irgendwie auf sicheren Boden zu kommen, fühlte, dass hier Trauer und Angst herumirrten. Es war ganz dunkel und Wolken zeigten an, dass bald Regen kam. Deshalb bauten Remus und Tromba sich ein Schutzdach. Der Regen trommelte darauf. Als sie beide bis auf den neunten Faden trotz des Schutzdachs durchnässt waren, hörte der Regen auf. Der Moorhoden schwankte. Hundegebell ließ sich hören wie von einer ganzen Hundeherde. Dann tauchte eine große Gestalt auf, Remus dachte gleich an den Teufelsmaler. Es folgten verschiedene wilde Tiere und eine Frau auf einem hohen Pferd. Über ihr flog ein riesiger Drache. Diese Figuren ließen kein Wasser aufspritzen, aber eine große Wasserwelle überspülte das Lager der beiden Freunde. Remus erinnerte sich, wie der alte Michal auf dem Einödhof für einen Verirrten die Trompete blies. Er bat Tromba zu blasen, dieser blies dann ein Lied über Gottes Schutz gegen Gespenster und Schrecken. Das Wasser im Moor stieg immer höher. Voller Angst schlugen sie das Kreuzzeichen. Ein kleines Licht  war zu sehen, als trüge jemand eine Laterne. Der Wind trug das Trompetengeräusch von Tromba ohne Erfolg in die Einöde. Remus versuchte es anders. Er steckte ein Buch mit Schwefelhölzern an. Es war das Buch über die Geschichte der Genoveva. Konnte dieses Buch sie retten? Dann erschienen zwei Fischer. „Der Schutzengel hat sie hergeführt“, meinte Tromba. Sie sprangen von einer Grasinsel zur andern. Der Trompetenklang hatte sie hergeführt. Sie halfen dabei, aus dem Moor herauszukommen. Aber um weiterzukommen, musste Remus die Karre im Moor als Opfer zurücklassen. Die Fischer brachten sie nach einer Stunde in eine Hütte und ließen die beiden dort schlafen.

40
Remus betet für die Auferstehung und sieht, wie der Blitz in die letzte kaschubische Kirche in Pomerellen-Pomorze einschlägt

Als sie aufwachten, konnten sie sich mit den Fischern gut verständigen, aber die Kinder verstanden nichts. Der Fischer klagte, die Kinder dürften in der Schule kein Kaschubisch sprechen, auch der kaschubische Gottesdienst sei abgeschafft worden. Der Pfarrer in Glonitz sagte, er sei der letzte gewesen. Die letzten kaschubischen Andenken würden verfaulen wie unter den Wanderdünen. „Und unsere Sprache lebt noch hier und hinter der Pustinka bis zum Garder-See, aber wie soll sie überleben, wenn sie weder vor dem Herrn, noch vor dem Schullehrer und nicht einmal vor dem Herrgott noch etwas wert ist.“

Als der Fischer das sagte, verlor Remus allen Mut und wäre am liebsten nach Hause zurückgekehrt. Er hatte dem Sterbenden auf dem Einödhof aber das Wort gegeben, weiterzureisen. Dann ging es über den Fluss Pustinka, der zwei Stämme der Kaschuben, die Kabotken oder Langröcke und die Slowinzen am Garder-See trennt. An der Schmolsiner Kirche betrachtete Remus lange das Bild des großen Mostnik, der hier seine slowinzische Kirche gegründet hatte. Über der Kirche stand hoch, wie von Riesen aufgeschüttet, der erinnerungsträchtige Berg Rewekol. Die Bevölkerung war arbeitsam. Aber Remus Seele weinte. Für Tromba war Remus ganz verändert, ohne die Karre. Von Schmolsin wollte Remus nach Hause zurückkehren. Plötzlich tauchten Herr Salbski und Derda auf.

Tromba hatte Angst, dass Remus wieder nach dem Hof von Sarbski in die Hölle zurückkehren wolle,  aber Derda meinte: „Herr Sabski wollte euch nicht aufhalten. Er will Rwmus nur noch etwas fragen. Hab keine Angst, Musikant! Wer der Hölle einmal entkommen ist,  der es dort unerwünscht. Denkt nur  – der schwarze Brennesselsammler hinkt noch immer. Und der  Maler ist verschwunden.“ Tromba erwiderte, er sei nicht verschwunden, denn Remus und er hätten ihn gesehen.

Sarbski wandte sich dann an Remus: „Wenn du auch so elend und arm bist, du gehörst zu meiner Familie und hast einen ritterlichen Geist. Das Ritterzeichen hat Herr Derda an deiner Brust gesehen, als sie dich beim Verwalter nach jener schrecklichen Nacht im Saal wieder zur Bewußtsein brachten. Zeig mir bitte dieses Zeichen!“

Remus gab es Sarbski. Dieser prüfte es und sagte:

„Solch ein Medaillon tragen die polnischen Ritter auf den Panzern, sie nannten es ‚Ringraf‘. Mein Ahnherr Wituslaw trug dieses Medaillon im Krieg gegen die Moskowiter, und dass es seins ist, davon zeugt unser Wappen, das auf der Rückseite eingraviert ist. Sieh her! Ein Hammer und und auf beiden Seiten je eine Lilie! Die Abbildung ist sehr stark verwischt, aber sie ist zu erkennen. Auf dem Porträt des Wituslaw im Saal hast du solch einen Ringraf gesehen. Es heißt in unserer Familie, daß er seinen Ringraf einem polnischen Ritter schenkte, der ihm in der Schlacht das Leben rettete. Sage mir, mein Freund, von wem hast du dieses Ritterzeichen geerbt?“

Nicht von seinen Eltern, erwiderte Remus, denn er sei Waise und kenne weder Mutter noch Vater. Dieses Ritterzeichen habe ihm ein sehr unglücklicher Mann in seiner Todesstunde zusammen mit einem schweren Auftrag gegeben.

Sarbski bemerkte: „Wenn dem so ist, dann ist der Ringraf auf die Brust seines Eigentümers zurückgekehrt, und du mußt den Auftrag erfüllen, auch wenn du dabei deine Seele verlierst.“

Als Sabski dies sagte, begann Remus Kopf zu dröhnen wie in einem Wald, durch den ein Frühlingswind zieht. Strom zuckte durch seinen Körper wie damals, als er im Schloss von Sarbske den Helm des Ritters Wituslaw aufgesetzt hatte. Aus der Tiefe der Seele stieg die Frage auf:

„Wer und was bist du wirklich, Remus?“

Sarbski, der dorthin schaute, wo sich das  silberne Band der Lupawa mit dem Garder-See vereinigte, sagte:

„Über Berge und Flüsse eilen meine Gedanken zum weißen Fels Arkona. Wir verloren den tausendjährigen Krieg und ließen die Gräber unserer Vorfahren dort zurück Laßt uns niederknien und ein Gebet für die Toten sprechen!“

Remus kniete nieder und sagte: „Ich werde Gott um ihre Auferstehung bitten!“

Und Derda fügte hinzu: „Dort stehen unsere Gräber und wir werden zurückerobern, was unser ist!“

Remus und Tromba wurden gebeten, nach Sarbske zurückzukommen. Aber Tromba weigerte sich, in Angedenk dessen, was dort in der Hölle passiert war. Remus versprach ihm, dass sie nicht wieder nach Sarbske gehen würden. Beim Abschied sagte Herr Sarbski: „ Du bist arm, aber ein Ritter von Geblüt. Deshalb wirst du im aussichtslosen Kampf um das verzaubertes Schloß untergehn wie unsere kaschubischen Stämme. Wunderbar sind Gottes Wege!“

Am nächsten Tag kamen sie zur Kirche von Glowitz, aus der gerade „unsere Sprache“ vertrieben worden war, und sahen den Kirchturm. Ein richtiges Feuer strömte vom Himmel, und von weitem grollte ein Unwetter. Es dröhnte, als ob es unter der Erde donnerte.  Die Kirche war als ein Fachwerk aus  großen Stämmen erbaut. Rund herum lag ein großer Friedhof voller Gräber. „Es war gut zu erkennen, wo unser kaschubische Welt beerdigt war und wo sich die Hiesigen betteten. Denn in der alten kaschubischen Friedhofshälfte  blühten die Glockenblumen wie bei uns in den Dörfern vor den Fenstern in allen Gärten. Aus dem Wald von Blumen ragten die Kreuze, in seltsamen Formen aus Eisen geschmiedet oder aus Holz geschnitzte Tafeln, mit der Hand in den gleichen Farben bemalt, mit den in der Herrgott seine Blumen auf den Gräber geschmückt hatte. In den neuen Hälfte des Friedhofs standen schwarze Kreuze mit deutschen Aufschriften in einer Reihe wie ein Heer. So etwas war uns fremd. Näher an der Kirche, die auf die deutsche Ordnung herabsah wie eine Glucke, die fremde Eier ausgebrütet hat, standen die prächtigen Grabkapellen der mächtigen kaschubischen Geschlechter.

Im aufkommenden Sturm wurde es so dunkel, daß ich nur mit großer Mühe ihre Namen lesen konnte. Auf deutsche Art verdreht las ich Namen kaschubischer Ritter: Bandsomir, Damaros, van Borke, Zitzewitz, Wilke, Stojentin, Rekow, Nadsimir und andere.“

Dann zog ein schweres Gewitter auf. Remus und Tromba suchten Schutz unter der Grabkapelle derer von Puttkammer. Gleich darauf stürzte eine Flut vom Himmel, als wollten die Wolken zerreißen und plötzlich schien der ganze Friedhof in Flammen zu stehen. Ein gewaltiger Schlag erschütterte die Erde und die Kapelle und schleuderte die beiden Freunde zu Boden. Als sie sich wieder aufrichteten, stand die Kirche in Flammen und brannte wie eine riesige Kienfackel. „Gottesblitz hatte eingeschlagen und das Heiligtum verbrannte, aus dem die Sprache derer vertrieben war, die es zu Seiner Ehre erbaut hatten.“ Remus sah  gebannt zu der  brennenden Kirche, deren Glocken auf unerklärliche Weise schrecklich zu läuten begannen.

Plötzlich war ein Lied in der Kirche zu hören:

„Der Herr sprach zu meinem Herrn:
Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde
zu deinen Füßen lege.“

Eine Menschenmenge hatte sich auf dem Friedhof gesammelt. Sie schrien: „Hilfe für die dort in der Kirche!“ Sie drückten gegen die Tür. Aber sie war seltsamerweise verschlossen. Jemand stellte eine Leiter an das  Fenster und sah hinein. Innen saßen ein alter Mann und  eine alte Frau auf der Bank und sangen das Lied in der verbotenen Sprache:

„Der Herr ist Herr alle Herrn
zu meiner Rechten.
Und am Tage seines Zorns
wird er zermalmen die Tyrannen.
Sein Gericht wird sich erstrecken
über die ganzen Erdkreis.
Und er wird auslöschen
die ungehorsamen Völker!“

Jemand hatte endlich eine starke Stange gefunden, und mehrere Hände ergriffen sie und begannen gegen die Kirchentür zu schlagen. In diesem Augenblick erschien auf dem Dach einer Grabkapelle eine hohe Gestalt mit einem großen Kragen und einem spitzen Hut auf dem Kopf. Ob Teufel oder Mensch  – er hielt eine Stange in der Hand und schleuderte sie mit aller Gewalt gegen das Fensterkreuz. Das ganze Fenster fiel krachend aus dem Rahmen in die Kirche,  und eine hohe Stichflamme schlug heraus. Und aus der eingeschlagenen Tür schlugen wilde Feuerzungen. Das Lied erstarb.

Tromba zeigte auf den, der das Fenster eingeschlagen hatte und noch immer auf dem Dach herumlief und schrie: „Komm schnell, Remus, siehst du nicht, daß der da auf dem Dach der Teufelsmaler von Sarbske und vom Leba-Moor ist?“

Remus ließ sich von Tromba mitziehen und sie machten sich rasch auf den Weg nach Hause. Tromba ergab sich mit Freuden unter Feuerschaufel und Besenstiel seiner Frau Trombine.

41
Abenteuer in der Hütte im Feld. Trombas Tod

Eine große Müdigkeit legte sich auf Remus wie ein schwerer Stein. Er lag lange Wochen im Bett und grübelte, und immer wieder kam die hartnäckige Frage: „Wer bist du wirklich, Remus, und welche Aufgabe ist dir bestimmt?“ Er wusste nun, dass er von seinen Vorfahren eine Ritterseele besaß. Schon der Seekönig hatte sie in ihm erraten. Er dachte aber an sein armseliges Leben und an die Meinung der Leute, die in ihm nur den einstigen Knecht vom Einödhof und den Händler sahen, der mit Büchern über die Dörfer zog. Die Kraft jedoch, die er gespürt hatte, als er den Helm seiner Vorfahren aufgesetzt hatte, war ihm geblieben. Nur hatte er keine Verwendung mehr für sie und sie drohte ihn innerlich zu ersticken. Er war vergeblich vor der Jägerin vom Wdzdzen-See  bis hinter den Zarnowitzer See geflohen. Jetzt aber erstrahlte das Bild der Jägerin wunderschön vor ihm, und er hatte die Fantasie, dass er mit ihr als König und  als Königin ein Reich am See gründen könnte. Als er aber von Tromba hörte, wie die Leute halb verächtlich, halb mitleidig auf Remus herabsahen, wurde seine Seele klein und die Scham drückte ihn zu Boden wie damals in seiner Kindheit, als er als barfüßiger Junge die prächtige Königstochter zum verzauberten Schloss tragen wollte.

Tromba kam mit einem blauen Auge von seiner Frau zurück und sagte, wenn er den Czernik noch einmal sehen würde, würde er davonlaufen wie vor dem ältesten Luzifer aus der Hölle. Czernik habe die zwei Alten in der Glowitzer  Kirche auf mit Gewissen. Wenn er das Fenster nicht eingeschlagen hätte, würden sie noch leben. Seinem dummen Verstand nach seien der Maler und das Czernik ein und dasselbe Böse.

Remus aber wusste,  wer er wirklich war. Denn Fräulein Slawine hatte ihm die Geschichte des Smentk erzählt.

Remus und Tromba zogen weiter durch die Landschaft. Remus machte einen weiten Bogen um den Wdzidzen-See, hatte aber eine große Sehnsucht nach der Seekönigstochter. Tromba war sehr gealtert wie ein altes, bärtiges ‚Unterirschke‘. Er hatte Angst, der Teufelsmaler könne kommen und die beiden ins Moor reißen. Menschenkraft könne nichts dagegen ausrichten und er habe auch keine Strophe mehr auf seine Kanone dagegen.

Seit  Michaelis pressten Frost und Schnee die Welt mit einem Eisring zusammen und bedeckten sie mit einem Laken so weiß wie ein Totenhemd. Es war Adventszeit. Sie wollten nach Juschken. In Sanddorf-Wdzidzen verirrten sich die beiden im heftigen Schneegestöber.  Remus erblickte ein Licht wie aus irgendeiner Karte. Die beiden gingen auf das Licht zu und kamen nach einer guten Stunde zu einer Hütte, die halb im Schnee versunken war. Als sie eingetreten waren, sahen sie auf dem Lehmfußboden auf einem Holzhaufen eine schwarzgekleidete Frau. Es war Sidonia von Borke. Aber als die Flammen sich drehten, verwandelte sie sich in  Julka von Garretschnitz. Sie antwortete auf Remus Gruß: „Willkommen Wituslav!“ und sprach, sie habe ihn in Sarbske gesehen und auch gesehen, wie er mit Tromba im Leba-Moor fast ertrunken wäre. Sie habe ihren Ruf den Fischern zugetragen, die die beiden gerettet hätten. Remus solle sich auch erinnern, was sie ihm vor Jahren auf dem Weg bei  Garretschnitz gesagt habe. Sie habe ihn zu dieser entlegenen Hütte weit ab von jeder menschlichen Behausung geleitet, denn sie habe mit ihm zu reden. Sie sprach mit einer tiefen Stimme, als spräche jemand anderer:

„Wituslaw, noch eine kleine Weile und du wirst an einem Scheideweg stehen. Zwei Frauen kommen dir entgegegelaufen, eine aus einem Adlerhort, die andere eine Ente aus dem Stall. Sie werden ein Recht auf dich beanspruchen, aber du wirst deinen eigenen Weg gehen. Weiter sehe ich nicht… eine Wolke, und dahinter Leere…“ „Ich würde dir gern den Weg erleuchten, damit du weißt, wohin du gehen sollst, wenn ich nicht mehr da bin. Denn denke daran, ich werde nicht mehr lange leben.“

„In der Johannisnacht, wenn sich Tag und Nacht gleichen, wirst du auf der Liska sein. Das Volk wird dort einen alten Brauch begehen, so alt wie das Leben der Menschen auf der Erde.  Ich werde dir dann ‚Schwert und Licht‘ geben, damit du die Auserwählten deines Volkes zur Erlösung des verzauberten Schlosses führst.  Aber eines kann ich dir nicht geben… Das, was für ein Leuchtturm im Meer der Schiffe ihren Weg in den Fahrrinnen  finden läßt, das, was die Gemeinde zusammenhält wie ein Reifen, und das, was dem Geist die Macht über den Körper gibt… das mußt  du selbst haben!“

Deutlich war dass Klingeln von Schlittenglocken zu hören. Ein Schauer fuhr Remus über den Rücken, und als er Julka ansah, erkannte er trotz ihrer armen Kleidung die Sidonia von Borke vom Sarbsker Schloss wieder. Sie schrie „Der Smentk kommt!“  und fügte leise dazu „Und der Tod!“

Dann wurde die Tür eingetreten und  herein kam der Maler von Sarbske. Die Stimme des Czernik sagte: „Was steht ihr da, als wäre euch der Satan persönlich aus zu Hölle erschienen! Sagt mir lieber den Weg zur Chaussee nach Berent!“ „Den kennst du selbst besser, Smentk, und dein Höllenkutscher auch“, sagte Julka.

„Ha, ha!“, lachte der Czernik, „Die alte Julka von Garretschnitz! […] Die schöne Sidonia von Borke, die den Zauber eingestanden hat, mit dem sie das Geschlecht der kaschubischen Greifenfürsten ausgerottet hat! Wozu wecktest du in diesem armseligen Mann“, er zeigte auf Remus, „den Geist des Wituslaw von vor dreihundert Jahren? Deine Mühe ist vergeblich, denn ich werde ihm ein einfaches menschliches Leid aufladen, das ihn auffressen wird.“

„Graf Strozzi! Schwarzer Italiener! Lügner! Du warst es, der unseren Fürsten mit welschem Gift getötet hat“ schrie Julka. „Aber merke dir. Geist der Zwietracht und der Verdammnis! Einmal wird für uns die Sonne wieder aufgehen, und wir werden dort auf dem Weißen Berg stehen!“

Aber der Smentk sprach: „Der Berg des Ariman hat ihn mit seinem Schatten bedeckt. Jetzt bin ich der Herr bis zum Morgen!“

Er riss den hohen Hut in den Kragen herunter. Da stand niemand anders als der Czernik. Er nickte Remus zu und sagte:

„Dies ist eine schärfere Auseinandersetzung als in Zwada! Aber heute wird euch einer sterben.“

Julka und der Czernik standen sich mit Augen, in denen Verachtung und ewige Hass stand, gegenüber. Julka wandte sich an Remus: „Gehe jetzt, und beeil dich sehr, wenn du nicht willst, daß dein Gefährte diese Nacht mit dem Leben bezahlt. Denn wo ich und er“, sie zeigt auf Czernik, „zusammentreffen, muß immer ein Mensch sterben.“

Remus bekam große Angst um Tromba und lief hinaus. Der Schneesturm hatte nachgelassen. Weder der Schlitten noch die Pferde des Czernik waren zu sehen. Remus erkannte den Weg nach Juschken. Auf dem Weg zwischen beiden Wäldern ging schrecklich weiß der Tod. Das tödliche Eisen blitzte auf einem riesigen Sensenstiel. Tromba konnte, meinte Remus, nur nach Juschken gegangen  sein. Remus konnte aber keine Spur von ihm im Schnee erkennen und auch der Weg nach Juschken war plötzlich nicht mehr zu finden. Remus ging zurück, aber die Hütte war nicht mehr da. Was hatte Michal auf dem Einödhof erzählt: „Im Winter täuschen Trugbilder den Blick des Menschen. Sie führen ihn im Kreis herum, und nach langen Stunden findet er seine eigene Spur an der Stelle wieder, von  der er ausgegangen ist.“ Remus sagte sich, gewiss täusche ihn irgendein Böser. Nach langem Suchen fand Remus dann Tromba dort, wo die Wege von Grzibau, Lassaken und Sietzenhütte sich kreuzen, an einer alten, sehr hohen Kiefer. Er lag steif und leblos da und er war tot. Die Geige war geborsten. Der einzige Freund, der Gefährte von Remus Abenteuern, war nicht mehr! Remus weinte, bis Eis in seinen Augen stand. Er betete ein ‚Vater unser‘ für Tromba. Dann ging er nach Funkelkau und wollte dort mit dem Schultheiß reden. Vorher bedeckte er Trombas Gesicht mit der Hülle  der Geige. Denn ein schwarzer Rabe blinzelte vom Baum nach unten. In der Wohnung des Schultheißen war noch Licht, und in der Stube befand sich eine Schar Leute um einen großen runden Tisch herum. Dem Schultheiß gegenüber saß der Czernik und hob den Blick von den Akten, in denen er gerade schrieb. Remus schrie. „Dort unter der alten Kiefer liegt ein Leichnam, und der seinen Tod verursacht hat, sitzt hier!“  Remus zeigte auf den Czernik. Remus Sprache war bei seinen Worten ganz klar. Czernik aber meinte: „Ihr seht doch, Leute, daß der Mensch irr ist!“ Remus schrie: „Smentk, du schwarzer Geist, du hast meinen treuen Freund in den Tod getrieben und dein Freund, der schwarze Rabe, sieht hoch in den Ästen der alten Kiefer auf sein Opfer!“

Voller Zorn sprang Remus vor, um den Czernik wie einen Hund zu würgen. Die Leute und der Schultheiß verhinderten das aber. Der Czernik sei hier, um einen Vergleich wegen des Erbes des Bruders des Schultheißen aufzusetzen. Er könne Tromba gar nicht getötet haben.

Czernik verspottete Remus noch einmal. Dann ging Remus zur Leiche seines Freundes. Er brachte Tromba mit der Karre nach Lipno zu Trombine und wollte ihm ein großes Begräbnis bereiten.

42
Wie sie Remus gegen seinen Willen verheirateten

Als Remus mit der Karre und Trombas Leiche kam, schimpfte Trombine zuerst, dann rief sie mit ihrem Weinen das ganze Dorf herbei. Sie sollte Dittchen für das Begräbnis geben, jammerte aber himmelschreiend, sie habe keins, denn Tromba habe ja alles versoffen.  Der Schultheiß aber bemerkte, jeder wisse, dass Trombine dem Verstorbenen seine Liebe mit dem Besenstiel und der Feuerschaufel erzeugt habe. Bestimmt müsse die Gemeinde das Begräbnis bezahlen. Trombine jammerte, wie oft doch habe Tromba ohne Bezahlung auf Hochzeiten und in der Kirche seine Trompete geblasen. Der Schultheiß wollte ihn katholisch ohne Parade begraben. Da bot Remus an, Tromba auf seine Kosten zu beerdigen. Er sprach zum toten Tromba: „Du hast mit mir treulich Armut und Hunger geteilt. Du hast mich aus den Händen der Gendarmen gerettet. Du bist unter das Fenster meines Gefängnisses gekommen und hast für mich gespielt. Dafür wird man auch bei deinem Begräbnis spielen. Deshalb wird dich eine Parade zur letzten Ruhe begleiten. Du Armer bist aus Freundschaft in den Kampf seltsamer Mächte geraten, die mein Leben steuern und mich selbst erschrecken. Und du hast in diesem Kampf das Leben verloren! Aber ich werde deiner gedenken!“

Als Tromba aufgebahrt war, hörte Remus plötzlich seine Stimme: „Remus,  merk dir, was ich dir sage!  Sowie du die letzte Handvoll Erde in mein Grab geworfen hast, mach, daß du fort kommst!  Flieh vom Friedhof, flieh aus dem Dorf und komm nicht eher zurück, bis das Gras auf meinem Grab dreimal gewachsen und verdorrt ist!“

Remus hörte aber nicht auf diese Warnung. Bei dem Begräbnis spielte Kamerad Weber auf der Klarinette mit denen, die mit dem Verstorbenen um Lobe Gottes im Mirchchauer Forst die Trompete geblasen hatten. Die  ganze Bruderschaft begleitete ihn mit Fahnen zum Grabe. Der Schultheiß wunderte sich.

Remus vergaß dann die Warnung von Remus, Er handelte weiter und verdiente sein Geld. Er wusste jetzt, dass das versunkene Schloss des kaschubischen Volkes mit all seinem Ruhm nicht eher aus der dunklen Tiefe hervorkommen würde, bevor nicht tausend kleine Hirten ihre Königstochter an den Gespenstern ‚Mühsal‘, ‚Angst‘ und ‚Zwecklos‘ vorbei durch das tiefe Wasser getragen hatten. Aber während der Herrgott sie in den Wäldern, Forsten, Dörfern und Städten des Landes erweckte, stieß sie der Smentk von den göttlichen Wegen fort, der Smentk, der das kaschubische Volk seit Jahrhunderten mit Verrat und Schwert ausgerottet hatte. Remus wollte sich deshalb selbst ein Schwert schmieden.

Aber was war das Dritte, von dem die alte Julka in der Hütte gemeint hatte, er müsse es selbst haben? Der Pfarrer auf dem Glonek  hatte gesagt: „Ergib dich im Gottes Willen, und tue, was deine Seele dir sagt.“  Remus wusste, dass seine Seele anders war als die der einfachen Leute.

Remus dachte immer wieder an Tromba. Da stand plötzlich die Witwe Trombine  auf dem Marktplatz in Berent neben ihm und gab an,  sie wolle ihm helfen, obwohl Remus das nicht wollte. Sie bestand aber drauf und ließ sich nicht abweisen. Es war an derselben Stelle, wo Remus vor Jahren die Auseinandersetzung mit dem Gendarmen und dem Staatsdiener Schabelka gehabt hatte wegen der Bücher mit der „Königin der Krone Polens“. Immer wenn Remus sich Lipno näherte, war die Trombine da wie ein Schatten. In Wielle bei der Kirchweih stand Trombine auch neben ihm.  Da kam plötzlich aus der Menschenmenge die schöne Jägerin von Hoch-Sabori, Fräulein Klema, zu ihm. Remus Herz begann bei ihrem Anblick zu schlagen wie ein Hammer. Denn er trug ja ihr Bild im Herzen seit jedem Augenblick, als sie ihm bei Sabori im Rot der untergehenden Sonne entgegengekommen war. Sie nahm einige Bücher heraus, sah sich einige ganz gewöhnliche Medaillons an und sagte:

„Schön sind sie, diese kleinen Medaillons, aber in unserer Familie wurde vom Vater auf den Sohn ein sehr schönes und großes Medaillon mit dem Bild der Muttergottes vererbt. So etwas wird man wohl heute nicht mehr kaufen können?“

Nein, antwortete Remus, und das Blut schoss ihm in heißen Wellen ins Gesicht. Denn ihm fiel sofort ein, dass Klema sicher an jenem Erntetag das Familienzeichen auf seiner Brust gesehen hatte. Klema entgegnete, es sei gut  dass man es nicht kaufen könne. Dann verschwand Klema in der Menge. Eine fürchterliche Sehnsucht packte Remus nach Klema. Aber Trombine war plötzlich neben ihm, hüstelte, spuckte auf den Boden und sagte: „Dieses Fräulein von Sabori hat dir nicht schlechte Augen gemacht! Diese jungen Mädchen haben heute kein Schamgefühl!“

Der Schultheiß warnte Remus, Trombas Witwe habe es auf Remus abgesehen. „Und sicher würdest auch du dem Besenstiel nicht entgehen!“

Remus dachte immer an die Königstochter vom See. Die Trombine wurde er aber nicht mehr los. Obwohl ihn die Sehnsucht bedrängte, hatte Remus noch nicht den Mut gefunden, nach Sabori zu gehen. Vor Weihnachten kam unerwarteter Weise der Küster Kojtala, der überall nur Riemchen hieß, zu Remus. Er fragte Remus zuerst, ob er Geld habe. Remus gab zur Antwort, er habe sie nicht gezählt. Daraufhin gab der Küster Remus den Rat: „Heirate!“ Remus bewirtete Riemchen, wie es Sitte war.

Auf die Frage, warum Remus das Geld gespart habe, antwortete er, für sein Begräbnis. Aber Remus könne doch das Geld mit einer anständigen und lieben Frau verbrauchen, war die Antwort Kojtalas. „Wegen

einer amtlichen Sache kam der Czernik aus Berent. An diesem Tag beriet die Gemeindeversammlung gerade, wie der Fall der Witwe des verstorbenen Tromba mit den geringsten Kosten erledigt werden könnte:  Das Dorf muß sie unterhalten. Du weißt, wie den Bauern jedes Dittchen leid tut. Da sagte der Herr Czernik, daß es bei deiner großen Freundschaft zum Verstorbenen doch deine Schuldigkeit wäre, seine Witwe zu heiraten. Die Frau hätte zu leben und den Gemeinde wäre eine schwere Last los.“

Remus lachte aus vollem Hans: „Riemchen, der Czernik ist der böse Geist, und ihr Dummen erkennt das nicht. Aber du kannst euren Bauern sagen, daß zum Heiraten zwei gehören und daß ich nicht will.“

Als Remus  eines Tages über die Brücke ins Dorf  karrte, fuhr ihn der Schultheiß Kiedrowski mit seinem Wagen, den zwei Pferde zogen, von hinten an. Die Pferde stießen Remus gegen das Gelände, und er stürzte mitsamt seiner Karre und dem Brückengeländer in den Fluss. Dabei schlug er sich so den Kopf an, dass er fast das Bewusstsein verlor. Der Fluss war nicht tief, aber vielleicht wäre er im Wasser erstickt, wenn ihn nicht Kiedrowski selbst zur Hilfe gekommen wäre. Es gab dann einen Massenauflauf, und halb betäubt zogen sie Remus aus dem Fluss. Dann

goss Kiedrowski Remus starken Schnaps in die Gurgel. Remus war so benommen, dass er sich nicht dagegen wehren konnte.  Kiedrowski goss und goss, bis sich die Welt vor Remus Augen zu drehen begann. Als er erwachte, schmerzte sein Kopf, und Remus lag in einem Bett, allerdings nicht in dem in seiner Kammer beim Lehrer. Neben seinem Bett saß Trombine und machte Kamillenumschläge um seine Kopf. Es verging lange Zeit, bis Remus zu sich kam und begriff, wo er war. Trombine küsste und drückte ihn ab. Remus floh nach Haus.

Am nächsten Tag wusste das ganze Dorf, dass Remus über Nacht bei Trombine gewesen war. Es kam Klatsch auf, und der Pfarrer sagte mit scharfen Worten, Remus habe die arme Witwe bloßgestellt. Diese Sünde könne er nur gut machen, wenn er das Aufgebot bestelle und Trombine heirate. Remus wusste sich keinen anderen Rat und bestellte das Aufgebot. Er war schon nach vier Wochen Trombines Mann. Er hatte ja nicht auf Trombas letzten Rat gehört. Remus gab ihr alles Geld und zog mit seiner Karre fort.

Mit dem Lehrer kam er überein, dass er seine Kammer behalten durfte. Dann begab er sich zu Trombine.  Zwei Frauen öffneten die Tür, Remus angebliche Frau saß in einem bunten Kleid im Schneidersitz auf dem Tisch. Auf dem Kopf trug sie eine rote Mütze mit Glöckchen und lachte immerzu, nahm Eierschalen, warf sie nach Remus und rief: „Es ist sinnlos, versunkene Schlösser zu suchen und die geliebte Frau zu Hause zu lassen. Sinnlos! Sinnlos!“

Remus sträubten sich die Haare. Das war ja gar nicht Trombine, das war das Gespenst von der Schlossruine aus seinem Traum unter der gekrönten Eberesche. Dort hatte die Königstochter es ihm gezeigt. Dann hatte er sie während seiner schweren Krankheit zusammen mit den Trugbildern gesehen, die die gute Hand von Martchen verjagt hatte. Und ihr Name war ‚Sinnlos‘ gewesen. Remus packte das Scheusal mit beiden Händen und warf es durch das Fenster auf die Straße, so dass Fenster und Rahmen krachend hinunterfielen und nur ein großes Loch in der Wand zurückblieb.  Trombine saß auf dem gesprungenen Fenster und schrie, Remus sei verrückt geworden und wolle sie umbringen. „Das ganze Dorf wird er ausrotten, wenn ihr ihn nicht ins Irrenhaus bringt!“ Der Schultheiß aber meinte, das sei die gerechte Strafe für den ersten Mann, auf dem Trombine sich mit Besenstiel und Feuerschaufel ausgetobt habe.

Remus ließ den Schultheiß und die anderen Leute hereinkommen und sprach: „Solange dieses Dorf steht, haben seine Bewohner wohl noch nie so etwas Häßliches an ihrem Nächsten verübt wie ihr an mir.  Um nicht für den Lebensunterhalt einer armen Witwe sorgen zu müssen, habt ihr mich von der Brücke in den Fluß geworfen, mir  Branntwein zu trinken gegeben und mich unschuldig beim Pfarrer verleumdet. So habt ihr mich an dieses Weib gekettet, als hättet ihr einen Adler mit einer Henne verkuppelt! Ihr seid zu dumm, das zu verstehen. Daß ihr in höllischer Hinterlist über mich verfügt habt, verzeihe ich euch. Denn nicht eure Köpfe haben sie ersonnen, sondern der Kopf eines Beraters, des Schwarzen Geistes, der  der Czernik ist.“

Dann wies Remus dem Schultheiß, dass der Lehrer Trombine jeden Monat von Remus Geld etwas auszahlen solle. „Sie wird ohnehin nicht länger leben, als bis das Gras auf dem Grabe des verstorbenen Tromba dreimal gewachsen und verdorrt ist.“

Dann ging Remus zur Tür und sagte: „Und jetzt aus dem Weg, Pack. Der Ritter Wituslaw macht sich jetzt auf den Weg, das verzauberte Schloß zu erlösen! Und seine Wege sind nicht die euren.“

Im Rücken flüsterten sie: „Jetzt spinnt er wieder!“

43
Wie Remus dem Gespenst ‚Sinnlos‘  begegnet und wie der Blitz das Nest seines Glückes verbrannte

Remus sagte zu sich, er werde zum Glonek in das Versteck des seligen Seekönigs gehen und den Ringraf dort an die Wand hängen. Denn nachdem er vor dem Heiligen Altar getraut wurde, könne er seinen Auftrag nicht mehr erfüllen. Am See angekommen, ruderte Remus zum Glonek, musste aber, da er kein Ruder fand, mit den Händen rudern. Remus legte sich dort auf eine Wiese und schlief ein.

Als Remus aufwachte, erschien die Jägerin von Sabori. Als Remus sie erkannte, war es ihm, als wenn sich in seiner Seele alle Türen öffneten, durch die der helle Tag und die Sonnenwärme allen Kummer und alle Traurigkeit wegspülten. Als Fräulein Klema Remus erblickte, strahlte in ihren Augen ein Glanz, als wenn die Sonne sich auf dem glatten See widerspiegelte. Sie sprach: „Ich wußte. da du kommen würdest und alles ist seit langer Zeit zu deinem Empfang vorbereitet.“ Ihr Vater habe ihr vor seinem Tode gesagt, dass Remus kommen würde. Er war ihr also willkommen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie begann heftig zu weinen. Ein schrecklicher Schmerz und eine große Liebe packte Remus, und er streichelte ihr Haar.  Klema wusste, dass man Remus mit der nichtswürdigen Trombine verheiratet hatte, die auf der Kirchweih von Wielle  neben ihm stand. Klema wollte wissen, ob Remus nun mit Trombine lebte.  Als Remus das verneinte, sprach Klementyne: „Du sollst wissen, daß ich einzig und allein die Deine bin, seit Ewigkeiten für dich bestimmt. Anders kann es nicht sein.“ „Es ist uns nun einmal vorbestimmt, daß unser Wege nicht wie die Wege gewöhnlicher Menschen verlaufen, weil wir von den Hünen abstammen…“ Sie erzählte, sie stamme von einem Riesen ab, der sich auf Sabori in ein Mädchen verliebt hatte und der der Ahnherr der Saboren wurde. Remus führte sie dann zur Höhle. Dort hatte Klema  aufgeräumt, und in der Küche glänzten die Geräte, als hätte jemand die Wohnung für ein junges Ehepaar in einem Hochzeitshaus eingerichtet.

Remus nahm den Ringraf des Stammes der Mlotk von Sarbske von der Brust,  der zugleich das Zeichen der Sippe der Saborski auf Saboren war. Er hängte ihn an die Wand und sagte in klarer Sprache: „Ich liebe dich, Seekönigin, mehr als mein Leben und alles, was für mich heilig ist. Jener Ringraf wird nie mehr an meine Brust zurückkehren, sondern den Platz finden, der ihm zusteht.“Zum ersten Mal in seinem Leben schenkte Remus einer Frau seine Liebe.

Sie waren glücklich. Doch eines Tages sah Remus einen Kahn. In dem Kran saßen Czernik und die Trombine in bunten Kleidern mit einem roten Mützchen auf dem Kopf Sie warf Scherben aufs Wasser  und lächelte spöttisch. Der Kahn fuhr schnell vorbei. Klema hatte nichts gesehen. Da begriff Remus, dass sein Glück nicht andauern würde, dass die Sünde es zerschlagen hatte. Er wurde unendlich traurig und Angst vor dem Morgen ließ ihm die Haare zu Berge stehen.

Dann erschien eine schmale schwarze Wolke in der Ferne und es roch nach Schwefel. Klema wusste, es kam ein Gewitter. Die Fischer sagten, wenn das Gewitter vorbei sei, würden die Ufer und die Insel anders aussehen, so werde es sie zerfetzen. Das Gewitter werde fürchterlich sein. Schwerer Donner war in der Luft. Blitze begannen ihr feuriges Licht. Die alte Esche zitterte. Brüllende Wellen wurden vom Sturm gegen das Ufer geschleudert. Remus und Klema retteten sich in die Höhle. Die Insel, in deren Innerem sie saßen, bebte und die Erde bewegte sich. Die Augen der Mutter Gottes auf dem Ringraf an der Wand funkelten Remus zornig an wie die Augen eines Richters. Die immer so kühne Königin drängte sich an Remus wie ein erschrecktes Reh. Remus zündete eine geweihte Kerze, die noch vom alten Seekönig stammte, an. Es schien, als würde die Erde gleich über die beiden zusammenbrechen und sie lebendig begraben. Die Erde bebte und wurde so heftig erschüttert, dass den beiden Feuer in den Augen stand und sie nach oben geworfen wurden. Die Wände des Zimmers knirschten, die Wand zum See hin fiel ein und öffnete ein breites Tor zum Wasser, das aussah, als wenn auf ihm Gespenster in wildem Ritt daherjagten, die auf dem Grunde des Sees geschlummert hatten und jetzt geweckt wurden. Sie fielen durch die offene Wand über sie her und überfluteten im Nu ihre Zufluchtsstätte. Den Tod vor Augen sprang Remus vor, riss den Ringraf mit der Mutter Gottes von der Wand und hängte ihn um den Hals seiner Königin. Dann drückte er sie an sich, und sie warteten mit einem stillen Gebet auf den Lippen auf den Tod.

Der kam aber nicht. Gewitter und Sturm ließen nach. Aber eine starke Wasserwelle raste plötzlich durch den Raum und riss die Tür zur Küche unter der Wurzel der Esche auf. Grelles Licht übergoss sie und Hitze wie aus einem Ofen schlug ihnen entgegen. Der Blitz hatte das Gewölbe über das Höhle herausgerissen und die altehrwürdige Esche in Brand gesetzt. Sie stand jetzt wie eine riesige Fackel unter dem Himmel. Inmitten von Sturm und Sturzfluten standen die beiden verlassenen Menschen, umfassten einander an den Schultern, und die Wellen des Sees schlugen ihnen entgegen. Die Erde krachte und knarrte, als wolle sie sie augenblicklich begraben.

Da kam eine große Welle und stieß den Kahn gegen die beiden. Er war vom Sande herbeigeschwemmt worden.  Klementyne sprang und packte mit kräftigen Händen die Bootswand. Mit vereinten Kräften zogen Remus und Krementyne den Kahn – es war Klemas Kahn – heran.  Die einzige Möglichkeit, aus der Höhle herauszukommen, war mit einem Kahn. Schon war die ganze Feuerstelle überspült, die brennende Esche drohte umzustürzen. Der gewohnte Weg war zugesperrt. Man konnte nur durch die eingefallene offene Wand zum See kommen. Mit kräftige Stößen entkamen sie dem Ufer auf das offene Wasser. Klema hielt aber nicht auf das saborische Ufer, sondern auf die offene See. Nur so konnten sie Kurs halten. Dann wendete Klema das Boot, und sie entkamen an das saborische Ufer zu den hohen Wacholderbüschen.

Dann waren sie an dem hohen Kruzifix, das die Königin zum Gedenken an ihren Vater errichtet hatte, und Klima sagte zu Remus, sie wolle ihn nach Hause führen. Remus aber schüttete den Kopf. Er wusste, dass es für ihn von nun an auf der Welt weder ein Zuhause noch Frieden geben würde. Den würde er erst im Grab finden. Er sagte zu Klima, und die Worte wollten nicht über seine Lippen:

„Für mich gibt es kein Zuhause, meine Liebste. Ich kann nicht zu dir kommen, denn ich will dich nicht dem Gerede der Leute aussetzen. Denn heiraten kann ich dich nicht, weil mich böse Menschen an eine häßliche und ungeliebte Frau gebunden haben. […] Hier gehen nun zum zweiten Mal Menschen, die einander am nächsten stehen, getrennte Wege, auf denen sie einander nie mehr begegnen werden. Vielleicht wird einst eine Generation heranwachsen, die der Smentk nicht vom Wege abbringen kann, weil sie mit Mut und Tugend Gottes Beistand verdient. Dann wird an diesem Kruzifix statt Trauer und Schmerz das Licht des Glückes und der Freude leuchten.“

Auch Remus Königin  dachte an die Trennung und weinte  bitterlich. Sie drückte Remus fest die Hand wie zum Schwur und sagte:

„Vor Gott war und bleibe ich deine Frau. Das Gerede der Leute geht mich nichts an! Wir sind beide von Stamm der Hünen, und deren Wege sind nicht die Wege der gewöhnlichen Menschen. Geh mit Gott, mein Teuerster und Einziger! Keiner vor dir hat mich gekannt, und keiner nach dir wird mich kennen. Dein Sohn wird Herr auf Sabori sein. Und wenn er erwachsen ist, werde ich ihm den Ringraf unseres Geschlechtes um die Brust hängen.“

So trennten sie sich unter dem hohen Kruzifix.

34
Wie Remus und Julka in der Johannisnacht auf der Liska verlieren und wie der Smentk den Sieg davonträgt

Remus kam zum großen Stein bei Bebernitz und Owsnitz. In ihm sind sonderbare Zeichen eingeprägt. Niemand konnte diese Sprache entschlüsseln. Remus meinte, dieser Stein stamme von den Hünen, obwohl es eine Sage gab, dass der böse Geist auf Flügeln ihn von fernen Bergen hergetragen habe, um das Hohe Tor in Danzig zu zerstören. Das sei ihm aber nicht gelungen. Denn als der Hahn krähte, habe ihn die Kraft verlassen. Remus glaubte nicht an diese Sage.

Er dachte an die Worte der alten Julka, er werde am Vorabend des Johannistages in Liska sein. Sie hatte aber auch gesagt: „Das, was wie einen Leuchtturm den Schiffen die Fahrräder anzeigt, das, was die Gemeinde wie ein Reifen zusammenhält und das, was, dem Geist Macht über die Körper gibt, das musst du selbst haben.“

Aber was war das? Remus wusste es nicht. Dann trat Julka am alten Friedhof bei Gostomie auf und sprach: „ Ich wusste, daß du kommen würdest, Wituslaw! Jetzt komme mit!“

Sie führte ihn und sie kamen auf die Liska. Auf einer hohen Stange hing eine Kette, woran eine Tonne mit Pech befestigt war. Viele Leute versammelten sich dort.

Julka beschrieb mit der Hand einen Kreis am Horizont von Osten nach Westen und sagte:

„Soweit dein Auge im Licht der untergehenden Sonne reicht, ist dies das Land der steinernen Zeugen vergangener Zeiten, das Land der Hünengräber und Totenstätten. Es gab eine Zeit, als auf diesem Berg ein ewiges Feuer leuchtete. deshalb heißt er auch der Glänzende. Dort wo hinter dem hohen Ufer des Dlugi-Sees die feurige Kugel der Sonne in blutigroten Flammen untergeht, hat die dreieckige, heilige Stadt gestanden.  In ihr bauten die Hünen ihre heiligen Bezirke für Gott. Dort hielten sie Versammlungen ab und dort wählten sie die Ältesten, ihre Fürsten. Und wenn die Wahl getroffen war, stellten sie als Erinnerung und als Zeichen große Steine im Kreise auf. Wenn die heutige Generation diese Zeugen dieser großen Vergangenheit betrachtet, erzählt sie sich alberne Geschichten. Und wenn jemand alte, steinerne Mühlsteine findet, auf denen sie das heilige Opfermehl mahlten, so nimmt er sie und läßt im Hof die Gänse daraus trinken. Der Stamm, der diese Denkmäler aufgestellt hat und Opfer vor den Mühlsteinen darbrachte, vergoß sein Blut bei der Verteidigung der Freiheit dieses Landes. Aber die einfachen, kleinen Leute, die durch die Fremdherrschaft zum Knechten geworden sind, haben ihre Bedeutung vergessen.

Doch das Blut der Hünen ist noch nicht ausgestorben, sondern in der grauen Menge des Volkes verborgen. Und die von diesem Blut  abstammen, werden eines Tages vor diesem Denkmälern stehen. Dann werden diese Steine zu sprechen beginnen. Sie stehen da und warten seit Tausenden von Jahren auf ihre Stunde. Heute ist die Nacht des Wunders . Und das Wunder wird geschehen, oder ich werde diese Nacht nicht überleben. Fasse Mut, Wituslaw, und tu, was ich dir sage! Sieh zuerst nach unten, was am Fuße des Berges geschieht!“

Remus sah eine lange Reihe von Mädchen und jungen Männern vom Dorf herkommen und hinter ihnen eine ungeordnete Menge von Alten und Kindern. An der Spitze trug ein Knabe einen grünen Baum, mit Kränzen und Blumen umwunden. Hinter ihm schritt würdevoll der Fürst in seinem weißen Mantel und mit einer dreizackigen Krone auf dem Kopf. Dahinter der Henker von fürchterlichem Aussehen, ganz in Rot gekleidet mit verhülltem Gesicht und zwei Löchern für die Augen. Er trug ein großes, blankes Schwert. Neben ihm schritt der Ritter, würdevoll und ernst, ein schwarzgekleideter Richter und eine Reihe seltsam zurechtgemachter Gestalten folgten ihnen.

Sie sangen ein Lied unterhalb des Berges, in dessen Mitte ein Pfahl in die Erde geschlagen war. Der Henker trat vor und rief:

„Aus dem Weg! weg vor unserem Platz,
damit nichts Schlimmes geschieht!
Tretet zurück auf dreißig Schritt,
Mütter, gebt acht auf eure Kinder,
damit sie nicht dem Henker in die Hände fallen
und in Elend und Leid enden für eine Schuld,
die das Recht in Blut wäscht.
Denn nicht der Henker schlägt,
sondern das heilige Recht.“

Der Schinder band eine Weihe an dem Pfahl, und die jungen Burschen begannen zu singen:

„Weihe, Weihe, es ist dein Pech,
weißt du noch, damals im Wald
saß ein Vogel auf dem Zweig
und verspottete uns,
als wir die Pferde nach Hause trieben,
da hast du geschrien:
‚Gebt mir doch zu trinken!‘
Jetzt wirst du nicht mehr leben,
der Henker wartet, den Tod im Auge.
Weihe, jetzt mußt du sterben!
Nach dem Urteilsspruch:  weil du gespottet hast
und Regen geholt hast
unglückselige Weihe!“

Als die Burschen verstummt waren, erhob sich der Fürst im weißen Mantel und sagte:

„Ihr Lute alle,
wozu seid ihr zusammengekommen?
Wißt ihr nicht, was dieser
alte Brauch bedeutet!
Denn längst sind in den Gräbern vermodert,
die diese Sitte erfanden.
Und von den Lebenden
schenkt uns niemand so viel Trank,
der der Welt des Glück bringt
und die Blume des Farnkrauts.
Solange der Trank in der Macht der Geister ist,
solange die glückverheißene Blume des Farnkrauts
nicht blüht,
bleibt die Welt elend und sündig!
Solange der Mensch irrt,
braucht er den Richter um ihn zu richten.
Jetzt leg ich nieder mein Amt,
Richter halt du nun Gericht!“

Julka sprach: „Wenn der Kopf der Weihe unter dem Schwert des Henkers fällt, springt der flinkeste Bursche nach oben, steckt die Tonne an und zieht sie an der Kette hoch.“ Dann werde Remus sehen, „wie sich auf allen Bergen ringsum Lichter entzünden wie Sterne, die vom Himmel auf unsere kaschubische Erde heruntergekommen sind. Das ist der Augenblick, wo du das Wunder erwarten sollst! Nimm das Farnkraut, das ich dir gebe, und wenn die Feuer rings entflammen, rufe denen da unten zu:

‚Zu mir!‘

Wer von ihnen noch einen Tropfen Blut der Riesen in sich trägt, wird sich neben dich stellen. Dann hältst du das Farnkraut hoch. Wenn Gott dich dazu bestimmt hat und du das in der Seele hast, was du brauchst, wird aus dem Farnkraut in deiner Hand eine Blüte mit wunderbarem Glanz wachsen. Dann werden nicht nur die Lebenden von unten sich um dich versammeln, sondern auch jenseits der Sees, dort, wo die Heilige Stadt gestanden hat, werden sich die großen Steine in Bewegung setzen, die seit Tausenden von Jahren warten und werden in feierlichem Zug schnell wie Geister  zu dir kommen, sich im Kreis um dich aufstellen und wieder zu Stein werden, zum Zeichen, daß du der Führer und König des Landes bist. Dann wird deine Sprache hart wie Stahl werden und rein wie ein Springquell, und das Feuer in deinen Augen wird die Herzen der Menschen regieren wie das Auge der Sonne die Sonnenblume.“

Das Licht auf der Liska flammte auf, und nach einer Weile begannen die Berge ringsum zu funkeln. Remus erinnerte sich daran, wie er unter dem hohen Kruzifix von seiner Königin Abschied genommen und wie die Esche auf dem Glonek auf dem zerstörten Nest ihres Glücks gebrannt hatte wie eine riesige Fackel. Eine tiefe Trauer erfasste sein Herz, und er vergaß, wo er war und wozu er hier war. Er erwachte erst vom Knall der brennenden Tonne, die herabfiel, barst und brennenden Teer auf den Berg goss. Da sah er, wie jemand aus dem Dunkel sprang. Es war der Maler von Sarbske mit einem großen Kragen und einem hohen Hut. Seine Zähne blitzten weiß und sein spottendes Gelächter erscholl weithin, sodass Remus vergaß, dem Volk zuzurufen:

„Zu mir!“

Nur das Farnkraut hielt er noch an der Hand und schaute wie erstarrt zu, was geschah. Er erkannte den Czernik, so wie er nachts in der einsamen Hütte im Schnee herumgetobt hatte, als Remus einziger Kamerad sterben musste. Burschen begannen ein wildes Lied zu spielen. Das Volk lief herbei. Sie umringten den Czernik, und er sang:

„Zum Tanz, zum Tanz!
Eure Komödie ist zu Ende!“

Sie tanzten und der Czernik sang zu der Melodie seiner Spieler:

„Tanz, Mensch, arbeite, schwärme
wie ein Schmetterling über Rosen!
Schau nicht vor und nicht zurück,
daß du blühst und lange lebst.
An den Kreuzwegen laß den Wagen fahren,
wohin ihn Pferd und Kutscher tragen.
Denn dort mitten in der Nacht
wacht dein Geheimnis.
Wenn du ihm ins Auge schaust,
dann zittere, Mensch!

Es schaffen am Webstuhl zwei Spinnerinnen,
Schußfaden hin und Kette her!
sie weben das Muster menschlicher Tage,
ihr Auges zornig,
und ihr Zank und ihre Leidenschaft
weben ein schreckliches Muster,
bis der Schreck deine Seele lähmt
und die Vorsehung dich bestimmt,
das Schifflein selbst zu nehmen
und das Garn selbst zu spinnen.
Wem die Sünde die Seele zerbrach
den verjagt der Spinnerinnen Gelächter.
Weder Schiffchen noch Faden
kann er ihnen entreißen.
Und ihr Zorn webt ins Garn
Tod und Entsetzen, Verrat und Blut.
Denn wo das Spiel der Geschichte dröhnt,
findet der Schwache keine Kraft,
sondern sinkt in Staub und Asche
woher er gekommen!“

Um den Czernik herum tanzten die Leute und er stand mithin unter ihnen wie der böse Geist, der bei einer Teufelshochzeit die Reigen anführt. Auf den Bergen ringsum brannten die Feuer, und Remus Herz wurde schwach wie damals, als er ein kleiner Junge war und nicht genug Kraft hatte, die Königstochter zu dem verwunschenen Schloss zu tragen. Das Farnkraut in seiner Hand ließ die Blätter hängen und welkte, und als er sich nach der alten Julka umsah, lag sie reglos auf der Erde. Sie war tot.

Remus begriff jetzt, dass das Wunder aus seiner Schuld nicht geschehen war. Im Kampf mit dem Smentk um das verwunschene Schloss lag ein zweiter Leichnam an seinem Wege, und er hatte die Sache verspielt.

Remus nahm Julkas Leichnam und brachte ihn nach Borzschestowo. Er wollte sie auf eigene Kosten begraben lassen, erfuhr aber vom Schultheiß, dass sie reich war und auf eigne Kosten begraben werden konnte.

45
Die letzten Tage des Remus

Das Grab hatte sich über der alten Julka geschlossen und mit ihr über allen Hoffnungen des Remus.  Der Smentk hatte auf der Liska gesiegt und die Herrschaft über das Volk der Kaschuben an sich gerissen. Remus Sünde am blauen Wasser des Wdzidzen-Sees  hatte ihm die Kraft genommen, das Wunder zu verbringen. Aber noch etwas anders fehlte ihm, von dem er nichts wusste. Remus Lebenswille zerbrach. Er tötete sich aber nicht, weil er fürchtete, damit Gott im Himmel zu beleidigen. In einem solchen Augenblick der Verzweiflung sah er durch sein Fensterchen den schönen Kopf seiner ersten Königin von der Schlossruine auf der anderen Seite des Weges und in seinen Augen erschien der Traum unter der gekrönten Eberesche. Er dachte:

„Wenn Gottes Macht in dir den Willen entfacht hat, das verwunschene  Schloß zu erlösen warum soll die gleiche Macht ihn nicht in den flachsfarbenen Köpfen derjenige entzünden, die heute noch auf Kindesfüßen durch die Welt laufen?“

Dieser Gedanke gab ihm Kraft, sein Leben bis zu seinem Ende zu ertragen. Er zog weiter mit seinem Karren in die Welt  hinaus. Unterwegs suchte er in den Kindern den Funken des Ormuzd. Zuweilen befahl der Geist ihm auch, die Kleinen zu fragen:

„Würdest du das verwunschene Schloss erlösen? Würdest du die Königstochter durch das tiefe Wasser tragen?“

Aber die Kinder rissen vor ihm aus, so schnell sie konnten, weil sie Angst vor ihm hatten. Denn die Eltern hatten ihnen gesagt, der Remus sei nicht ganz richtig im Kopf und sie machten den Kindern Angst, indem sie sagten: Wartet nur! Der Remus wird kommen und euch in den Sack stecken!“

Nur einer, der Referent, hatte Remus Frage mit „Ja“ beantwortet. Für ihn hatte Remus seine Abenteuer aufgeschrieben. Remus wollte, dass der Funken des Ormuzd in diesem Blättern aufbewahrt bliebe wie in einem aufgeschütteten Feuer –  für den Referenten und alle die, welche einen solchen Funken in ihrer Seele hätten.

Wenn Remus bei der alten Kiefer bei Lissaken vorbeiging, schmerzte ihn die Trauer um seinen Gefährten Tromba. Und wenn er von weitem das hohe Kruzifix bei Sabori erblickte, strömte sein Blut heiß zum Herzen. Er wusste, dass dort die Mutter, die Seekönigin, einen Nachfahren vom Stamme der Hünen, seinen Sohn, großzog für Krieg und Leid. Denn es gab keine andere Bestimmung für das Hünengeschlecht. Aber Remus ging dort nur von weitem vorbei. Denn irgendeine Macht verwehrte dem armen Herzen die Ruhe.

Einmal verirrte Remus sich. Er fand sich unter den drei Kiefern im Einödhof seiner Kindheit. Er dachte an das rote Band, dass er Marta für ihre Haare geschenkt hatte und an die Situation, als Marta ihm das blaue Skapulier um den Hals gelegt hatte. Ihm kamen die Erinnerungen an alle vom Einödhof wieder.

Dann sah er, wie zwei Buben Vieh auf die Weide trieben. Sie sahen ihn mit neugierigen Augen an, und ihm war, als sähe ihn aus den Augen des einen Buben Marta an. Doch die Kinder rissen vor ihm aus. Der Einödhof kam Remus jetzt sehr klein vor. Nach einer Weile kam eine Frau und Remus erkannte Marta. Die beiden Buben hielten sie an ihrer Schürze fest. Marta  erkannte Remus und sprach zu den Kindern: „Habt doch keine Angst. Das ist doch der Remus, der hier auf dem Einödhof aufgewachsen ist. Habe ich euch nicht oft erzählt, wie er den Goliath besiegt hat, als er noch so klein war wie ihr?“

Und sie erzählte, dass auf dem Einödhof nur noch der Herr, die Gnädige, Martas Mann Martin und sie selbst lebten. Remus und Marta gaben sich die Hand, aber sie wussten nicht, was sie einander noch sagen sollten. Denn eine zu lange Lebensstrecke lag zwischen ihnen, und sie standen an zwei entgegengesetzten Enden. Die Hand konnten sie sich zwar geben, aber ihre Seelen waren weit auseinander entfernt.

Martianna war tot, und sie hatte laut Testament Remus die alte Uhr vermacht, die seit ihrem Tod aber nicht mehr lief. Remus nahm sie, denn sie sollte weiter die Zeit schlucken in Erinnerung an die Jahre auf dem Einödhof, die vielleicht die glücklichsten seines Lebens waren. Die Uhr brachte ihm aber eine Krankheit mit, die ihn lange Wochen aufs Bett warf wie wenn sie sich dafür rächen wollte, dass er sich lange Jahre nicht um die Uhr gekümmert hatte.

Wieder genesen, ging Remus  ins Dorf. Auf einem Platz spielten die Kinder ‚Verstecken‘ und  ‚Blinde Kuh‘. Nach und nach gewöhnten sich die Kinder an ihn und liefen nicht mehr vor ihm weg. Schließlich setzen sie sich wie ein Bienenschwarm um ihn, und er erzählt ihnen ein Märchen. Denn die Kinder verstanden jetzt seine Sprache, obwohl er sich mit den Eltern nicht verständigen konnte. Er erzählte  den Kindern von der Königstochter, die der Drache auf einem hohen Turm bewacht und die Sage vom verzauberten Schloss und von den drei schrecklichen Gespenstern ‚Mühsal‘, ‚Angst‘ und ‚Zwecklos‘. Und als er seine Geschichte vom kleinen Jungen auf dem Einödhof erzählte, der sich nicht vor den Gespenster fürchtete, die Königstochter aber nicht an den Gespenstern vorbei zum Schloss tragen konnte, wusste er er plötzlich, was ihm gefehlt hatte. Es war der Glaube.

Remus Seele wurde erleuchtet wie von einem Blitz, während er den Kindern erzählte:

„Der Glaube ist der Leuchtturm, der die Schiffe in die Fahrrinne lenkt, der Glaube hält die Gemeinde zusammen wie ein Reifen, der Glaube verleiht dem Geist die Herrschaft über den Körper.“

Das war es gewesen, was zu besitzen die alte Julka ihm an jenem schrecklichen Tag auf Liska befahl, was sie ihm selbst nicht hatte geben können. Den Glauben an die Heilige Sache und an eine Kraft  – den hatte er schon als kleiner Hirte unter der gekrönten Eberesche nicht besessen. Deshalb hatte er die Sache verspielt und deshalb hatte der Smentk gesiegt.

Die Kinder wollten weiter seine Geschichte hören, aber Remus ging nach Hause, denn ihn hatte eine große Schwäche befallen, als er die Wahrheit erkannt hatte.

….

Damit endet die Geschichte, die Remus selbst aufgeschrieben hatte. Der Lehrer von Lipno ging mit dem Referenten zum Friedhof und  ergänzte im Gehen:  Am folgenden Tag, nachdem Remus die Wahrheit erkannt hatte, saß er unter den Kindern und freute sich darüber, dass sie ihn lieb hatten und ihm zuhörten. Ein Gewitter und Sturm kündigte sich an,  und es erschien ein Wagen mit einem Paar feuriger Pferde. In  ihm saß der Czernik, der in irgendeiner Prozesssache auf einen Einödhof fuhr. Stubben lagen auf dem Hof herum. Ein großer Stubben am Rande des Abhanges kam ins Rutschen und rollte geradewegs auf die spielenden Kinder zu. Remus erkannte die Gefahr und stemmte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den Stubben. Da Remus aber von der Krankheit geschwächt war, konnte er ihn nur aufhalten, indem er sich von ihm überrollen und erdrücken ließ. So wurden die Kinder gerettet. Als man   ihn unter dem Stubben hervorholte, waren seine Rippen gebrochen und er spuckte er Blut. Der Pfarrer kam grade noch rechtzeitig, um ihn mit dem  letzten heiligen Sakrament zu versehen. Schon eine Stunde später lebte Remus nicht mehr.

Dann donnerte es  trotz Sonnenschein kurz und kräftig. Die Leute schauten zum Himmel. Es zeigte sich eine kleine Wolke, an der der Blitz  sich sicherlich entzündet hatte. Dann jagte der Wagen, der den Stubben ins Rutschen gebracht hatte, der die Ursache für den Tod von Remus gewesen war, wie verrückt mit den Pferden ins Dorf. Im Wagen lag schwarz wie Teer Herr Czernik. Ihn hatte der Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Weder den Pferden noch dem Kutscher war etwas geschehen.

Auf dem Friedhof zeigte der Lehrer dem Referenten das Grab von Remus. Auf ihm stand ein Kreuz mit der Inschrift:

„R E M U S I  K A S C H U B I S C H E R   R I T T E R“

Wie der Lehrer erzählte, ließ die Herrin von Sabori dieses Kreuz errichten. „Sie kommt mit einem Knaben an der Seite her und versorgt das Grab und betet an ihm.“

Die Trombine sei aber am dritten Jahrestag des Todes von Tromba gestorben. „Noch heute schämen sich die Bauern, wenn sie daran erinnert werden. Denn nach dem Tod des Remus hat doch der eine oder andere überlegt, daß der Verstorbene weit mehr gewesen war, als sie geglaubt hatten, und daß nicht er  verrückt war, sondern daß es für ihren schwachen Verstand zu schwer gewesen war, eine so große Seele zu verstehen.“