01 Apr Entwicklung des [f] durch Gebissveränderung
Anmerkungen auf Damian Blasis Hypothese
Die neolithische Revolution
Vor circa 10.000 Jahren endete die letzte Eiszeit. Es wurde wärmer und es gab mehr Regen. In der Levante, im Gebiet vom heutigen Syrien, Libanon, Israel und Jordanien, verschwanden die Gazellen. Die vorher als Jäger und Sammler herumstreifenden Menschen mussten sich wirtschaftlich umstellen. Sie begannen damit, Schaf, Ziege und Rind zu domestizieren, Ackerbau zu betreiben und sich sesshaft zu machen. Die so genannte neolithische Revolution[1] begann. Schon vor circa 20.000 Jahren sammelten sie in der Levante Wildgetreide. Es wurden im Jahre 2008 etwa 14.000 Jahre alte Brotreste aus Wildgetreide und Wurzeln in Feuerstellen des Natufien – einer Übergangszeit in der technologischen Entwicklung des Menschen vom Paläolithikum zum Neolithikum, also von der Lebensweise der altsteinzeitlichen Jäger und Sammler zu derjenigen bäuerlicher Kulturen der Jungsteinzeit – im Nordosten Jordaniens gefunden und im Jahre 2009 wurden bei Bab-edh-Dhra in Jordanien 11.000 Jahre alte als Kornspeicher angesehene Gebäude entdeckt. „Vor etwa 11.500 Jahren setzte sich der Getreideanbau in der Südosttürkei und Nordsyrien, später in der gesamten Levante durch.“ „Während der Jungsteinzeit herrschten Emmer (Triticum dicoccum) und Einkorn (Triticum monococcum) vor. Die aufgeführten Getreidearten können als Wintergetreide im Herbst oder als Sommergetreide im Frühjahr ausgesät werden.“ Auch Gerste wurde angebaut.
Diese neolithische Revolution umfasste aber auch den ganzen so genannten Fruchtbaren Halbmond. Dieser umfasst den Persischen Golf über den Nordrand Syriens bis nach Ägypten. Seit etwa 8000 v. Chr. begann man, die Vorgänger von Weizen, Gerste und einigen Hülsenfrüchten zu kultivieren. Etwa gleichzeitig begann die neolithische Revolution in China, Mittel- und Südamerika. Um 9.000 v. Chr. finden sich in Mesopotamien schon Schafe, domestizierte Ziegen in der Levante zweitausend Jahre später. „Zeitgleich wurde in der südlichen Türkei das Schwein gezüchtet, und um 6000 v. Chr. setzten sich zahme Rinder sowohl im nordafrikanischen als auch im ägäischen Raum durch. Die neue Wirtschaftsgrundlage breitete sich schnell aus. Im 7. Jahrtausend gelangten Weizen und Gerste von Anatolien nach Pakistan, und der Ackerbau erreichte den Balkan.“
Im neu entstehenden Handwerk wurden jetzt Töpfe hergestellt und aber auch Steinwerkzeuge, die vorher in der Mittelsteinzeit noch grob behauen wurden, fein bearbeitet, weshalb diese Steinzeit auch Neolithikum (Neusteinzeit) genannt wird. Aber es wurde auch schon Metall wie Kupfer, Gold und Silber bearbeitet. Die ältesten Kupferfunde datieren aus dem 8. Jahrtausend v. Chr. und stammen aus Anatolien. Die Jungsteinzeit ging damit in die Kupferzeit über.
Die Tempelanlagen von Göbeli Tepe auf dem Gebiet der heutigen Türkei in Anatolien wurden vor rund 11.600 Jahren errichtet. Bekannt als Siedlung des Neolithikums ist auch das in Anatolien um 7.000 v. Chr. gegründete Çatal Hüyük.
Die neue bäuerliche Lebensweise breitete sich im Laufe mehrerer Jahrtausende aus. Etwa 5.400 v. Chr. erreichte sie Mitteleuropa (von Ungarn bis zu den Niederlanden). Anders als im Mittelmeerraum mit der dortigen Ziegen- und Schafhaltung züchteten die europäischen Bauern, die aufgrund ihrer Töpferei Bandkeramiker genannt wurden, Rinder und Schweine, die sie von Wildformen ableiteten.
Die angebauten Getreide mussten zerkleinert, also zerstoßen, gemahlen werden, um essbar zu sein. Dadurch kam Essen auf, das vor dem In-den-Mund-Nehmen schon weich war. Es entstand das Brot, wohl zuerst als Fladenbrot. Vor der neolithischen Revolution hätte es kein „Vater unser“ (Matthaeus-Evangelium 6, 9-13) mit „Unser tägliches Brot gib uns heute“ Τὸν ἂρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον als Gebet gegeben, denn es gab zuvor noch kein Brot.
Woher kamen die Ur-Indoeuropäer?
Zu der Frage, woher die Indoeuropäer und damit ihre Sprachgruppe kamen, gibt es immer noch verschiedene Hypothesen. Nach einer Hypothese kommen die Indoeuropäer aus der Steppe nördlich des kaspischen Meeres. Sie waren halbnomadische Viehhüter, die das Pferd domestizierten und sind mit der Kurgankultur zu identifizieren, die von der russischen Steppe aus sich vor 5.000 bis 6.000 Jahren in Richtung Europa und in den Nahen Osten ausbreiteten.
Nach der Anatolien-Hypothese stammen die Ur-Europäer und ihre Sprache aus dem Gebiet der heutigen Türkei. Wann war das? Seit wann gibt es die Indoeuropäer und ihre Sprachgruppe? Zur Klärung dieser Frage werden Cognate, offensichtlich urverwandte Wörter aus den verschiedenen Sprachen gesucht, seit einiger Zeit auch DNS-Vergleiche von Skeletten heute lebender Europäer und Jahrtausende alter Toter. Der Streit geht dabei auch um die Frage, welche Menschen Ureinwohner Europas waren, welche z.B. aus Anatolien nach Europa immigrierten und ob diese Menschen der indoeuropäischen Sprachgruppe angehörten oder nicht.
Nach mehreren Arbeiten von Russell D. Gray, Quentin D. Atkinson und Remco Bouckaert von der University of Auckland in Neuseeland zwischen 2003 und 2010[2] haben Russell D. Gray, Quentin D. Atkinson und Simon J. Greenhill 2011 einen Aufsatz vorgelegt, der die Anatolien-Hypothese wahrscheinlich macht.[3] Sie beschäftigten sich hier mit der indoeuropäischen Sprachgruppe und der austronesischen Expansion. Hier geht es aber nur um die indoeuropäische Sprachgruppe.
Sie weisen darauf hin, dass Ähnlichkeiten gemeinsame Abstammung widerspiegeln und dass heutzutage routinemäßig computergestützte phylogenetische Methoden verwendet,um Rückschlüsse auf evolutionäre Zusammenhänge und Prozesse aus diesen Sequenzen zu ziehen.Idealerweise würden unabhängige Beweise aus Anthropologie, Archäologie und Humangenetik verwendet, um Schlussfolgerungen über die menschliche Vorgeschichte und die kulturelle Evolution zu „triangulieren“. Entscheidend für das erfolgreiche Triangulieren der verschiedenen Beweislinien sei dabei das Timing. Leider führe aber das Fehlen geeigneter Kalibrierungspunkte und systematischer Verletzungen der molekularen Uhr dazu, dass große Fehlerquellen mit den meisten genetischen Daten der menschlichen Bevölkerungsgeschichte in Zusammenhang stünden.
Der US-amerikanische Linguist Morris Swadesh habe in den frühen fünfziger Jahren eine Methode entwickelt – die Swadesh-Liste – , die weiterhelfen könne. Dabei würden lexikalische Daten verwendet, um die Sprachbeziehungen zu bestimmen und die absoluten Divergenzzeiten abzuschätzen. Man benutzt, um die Sprachähnlichkeit mit der Zeit entlang einer exponentiellen Abklingkurve in Beziehung zu setzen, folgende Formel:
Dabei ist t die Zeittiefe in Jahrtausenden, C der Prozentsatz der gemeinsam genutzten Kognaten und r die „universelle“ Konstante oder Retentionsrate (der erwartete Anteil der nach 1000 Jahren Trennung verbleibenden Kognaten).
Das grundlegendste Hindernis für die Glottochronologie sei die Tatsache, dass sich Sprachen ebenso wie Gene oft nicht mit konstanter Geschwindigkeit entwickelten.
Trotz einer über 200-jährigen Prüfung könnten Wissenschaftler den Ursprung von Indogermanien nicht endgültig in Zeit oder Ort feststellen. Es würden Theorien vorgeschlagen, die ein Alter zwischen 4000 und 23 000 Jahren mit hypothetischen Heimatländern wie Mitteleuropa, den Balkan und sogar Indien befürworteten. Allein seit 1960 seien 14 verschiedene Heimathypothesen vorgeschlagen worden. Die Kurgan-Hypothese und die Anatolien-Hypothese seien die wahrscheinlichsten. Da es in vielen indoeuropäischen Sprachen Begriffe für Rad, Achse, Joch und Pferd gäbe, werde nach der Kurgan-Hypothese angenommen, dass diese Wörter und zugehörigen Technologien in der Proto-Indoeuropäischen Kultur vorhanden gewesen sein müssen. Die indogermanische Sprachfamilie sei daher nicht älter als 5000 bis 6000 Jahre.
Die zweite Theorie besage, dass indoeuropäische Sprachen nicht mit plündernden Reitern, sondern mit der Ausdehnung der Landwirtschaft aus Anatolien vor 8000 bis 9500 Jahren verbreitet waren. Die Radiokarbonanalyse der frühesten neolithischen Stätten in ganz Europa lieferte eine ziemlich detaillierte Chronologie der Ausbreitung der Landwirtschaft. Diese archäologischen Beweise deuteten darauf hin, dass sich die Landwirtschaft von Anatolien aus verbreitete und irgendwann im neunten Jahrtausend vor heute in Griechenland ankam und 5500 vor heute bis zu den britischen Inseln reichte. Die Anatolien-Hypothese stammt von Renfrew. Nach ihm sei es weit glaubwürdiger, dass sich Proto-Indoeuropäisch mit der Ausbreitung der Landwirtschaft ausbreitete.
Den Autoren sei aufgefallen, dass es, wie Darwin sagte, eine „kuriose Parallelen“ zwischen biologischer und sprachlicher Evolution gäbe. Daher könnten Sprachen möglicherweise mit den gleichen evolutionären Computermethoden analysiert werden. Dazu verwandten sie die Swadesh-Liste mit 200 Swadesh-Listenbegriffe für 95 Sprachen und zusätzlich mit den drei ausgestorbenen Sprachen Hethitisch, Tocharisch A und Tocharisch B. Die Daten kalibrierten sie. Dabei wurden für jede Bedeutung in der Datenbank Sprachen in verwandten Mengen gruppiert. Es ergab sich eine Matrix von 2449 verwandten Sätzen für 87 Sprachen.
Die ersten Analysen der Forscher unterstützten die zeitlichen Vorhersagen der anatolischen Hypothese stark. Die Datumsschätzungen für das Alter von Proto-Indoeuropäisch lagen nach der Untersuchung um 8700 vor heute und keine der Stichprobe zeigte ein Alter von 5.000 bis 6.000 Jahren, wie es von der Kurgan-Hypothese vorhergesagt wurde. Auch weitere Untersuchungen habe die Alterseinschätzung für Proto-Indoeuropäisch wesentlich geändert. Dieses sei danach eher älter als jünger. Das „Wurzelalter“ des Sprachstammbaums läge in dem durch die anatolische Hypothese vorhergesagten Alter. Während die Wurzel des Baums etwa 8700 Jahre zurückliege, ereignete sich ein Großteil der Diversifizierung der großen indogermanischen Untergruppen zwischen 6000 und 7000 vor heute. Dies bedeutet, dass sowohl die anatolische Hypothese als auch die Kurgan-Hypothese gleichzeitig zutreffen könnten. Vor 8700 Jahren gab es eine erste Migration aus Anatolien und dann vor 6000 bis 7000 Jahren eine bedeutende Ausstrahlung aus Südrussland und der Ukraine. Dies bedeutet auch, dass die von vielen Sprachwissenschaftlern verbreitete Intuition, dass die indogermanische Sprachfamilie etwa 6000 Jahre alt ist, für die große Mehrheit der indoeuropäischen Sprachen richtig sein könnte, nur nicht für die tiefer liegenden Untergruppen.
Damian Blasi, das neolithische Gebiss und die Entwicklung des [f]
Am 14. März 2019 hat der Züricher Linguist Damian Blasi et al. eine Arbeit veröffentlicht, die er zusammen mit einem Team von zwei Max-Planck-Instituten, der Universität Lyon und der Nanyang Technological University in Singapur erarbeitet hatte.[4] Es ging um nichts Geringeres, als um ein Beispiel für die biologische Begründung der Linguistik. Sein Beispiel ist die Aussprache der Labiodentalen F und V.
Bei ihrer Argumentation gingen sie von einer Beobachtung des Linguisten Charles Hockett aus dem Jahre 1985 aus. Diesem war aufgefallen, dass [f] und [v] in Sprachen heute lebender Jäger und Sammler selten sind und dass andererseits Bevölkerungsgruppen mit Zugang zu weicherer Nahrung eine Häufung von Labiodentalen aufweisen. Charles Hockett vermutete, dass der Grund für diese seltsame Beobachtung die verschiedene Nahrungszerkleinerung und damit zusammenhängende Kieferstellung der in Frage kommenden Bevölkerungen sein könne. Die Bevölkerungen unterschieden sich in der Häufigkeit eines „Kopfbisses“ oder eines „Überbisses“ bei Erwachsenen. Ein Kopfbiss mit senkrecht aufeinander stehenden Schneidezähnen entwickelt sich, wenn viel harte Nahrung gekaut werden muss, ein Überbiss bei weicher Nahrung. Da Überbisse bei weicherer Nahrung auftreten, die in Jäger- und Sammlerpopulationen nicht vorkommen, vermutete Hocket, dass [f] und [v] eine erst kürzlich aufgetretene Neuerung in der menschlichen Sprache sind.
Dieser Hypothese bzw. diesen Hypothesen gingen Blasi und seine Co-Autoren nach.
Blasi und sein Team verwandten zu ihrer Untersuchung ein Computermodell der Sprechmuskulatur, sie untersuchten die statistische Verteilung von Labiodentalen in modernen Sprachen im Vergleich zu Sprachen der Jäger- und Sammler-Gesellschaften und betrachteten besonders das Vorkommen von Labiodentalen in der indoeuropäischen Sprachfamilie, das heißt, sie kombinierten „Paläoanthropologie, Sprachwissenschaften, historische Linguistik und Methoden der Evolutionsbiologie, um Beweise für einen neolithischen globalen Wandel in den Soundsystemen der Weltsprachen zu liefern.“
Sie kamen dabei zu dem Schluss, dass Hockett recht hat. Nach ihren Erkenntnissen sind gesprochene Sprachen „durch Veränderungen der menschlichen Bisskonfiguration aufgrund von Änderungen der Ernährungs- und Verhaltenspraktiken seit dem Neolithikum geprägt.“
Seit dem Neolithikum gäbe es diese Veränderung in der Mechanik des Kauens. Kleinkinder beginnen mit einem Überbiss, einer vertikalen und horizontalen Überlappung in ihrer Bisskonfiguration. Trotzdem kauten Menschen im Paläolithikum nach der Pubertät mit einem Rand-an-Rand-Biss, dem Kopfbiss. Menschen aus dem folgenden Neolithikum, die Ackerbau betrieben und bei denen eine intensivierten Lebensmittelverarbeitung vorherrschte, behielten auf Grund der weicheren Nahrung den Überbiss aber bis ins Erwachsenenalter hinein. Vermutlich konnten sich dadurch neue Sprachlaute entwickeln und zu verbreiten, die heute in fast der Hälfte der Weltsprachen vorhanden sind: Labiodentale, die durch das Drücken der Unterlippe an den oberen Zähnen entstehen, wie in „f“ oder „v“.
Auch unterscheidet sich die muskuläre Beanspruchung beim Überbiss und beim Kopfbiss, wie Damian Blasi et al. mit biomechanischen Modellen des Sprachapparates herausfanden. Bei der Erzeugung von Labiodentallauten werden beim Überbiss etwa 30% weniger Muskelkraft benötigt als beim Kopfbiss. Wenn aber Laute erzeugt werden, bei denen nicht die Zähne, sondern die Oberlippe an der Unterlippe anliegt, also die bilabialen Laute „m“, „w“ oder „p“ gebildet werden, gibt es diesen Unterschied nicht.
Auch zeigen die Modelle, dass bei Überbiss der zufällige Zahn-Lippenabstand, wenn bilabiale Laute gebildet werden, sich auf 24 bis 70% ihrer ursprünglichen Werte verringert. Dadurch kann eine zufällige Produktion von Labiodentalen ausgelöst werden. Wenn beides zusammenkommt, die Abnahme der Muskelkraft und die Zunahme der zufälligen Produktion von Labiodentalen, dann kann man prognostizieren, dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit von Labiodentalen in Sprachen von Populationen gibt, bei denen der Überbiss bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt.
Das Vorhandensein von Überbissen ist nach Blasi et al. verknüpft mit einer Bevölkerung, die Agrikultur betreibt und sich davon ernährt. Jäger- und Sammler-Gesellschaften, so konnte man feststellen, besitzen nur durchschnittlich ein Viertel der Zahl von Labiodentallauten wie Gesellschaften, die Agrikultur betreiben.
Bei der indoeuropäischen Sprachfamilie, bei deren Menschen sich in der Geschichte das Produzieren von pflanzlichen Nahrungsmitteln immer mehr verbreitete, konnte man ebenfalls einen stetigen Anstieg der rekonstruierten Wahrscheinlichkeit von labiodentalen Sounds feststellen. Und zwar schätzt man, dass es vor 6000 bis 8000 Jahren in der Protosprache etwa 3% labiodentale Sounds gab, in heutigen indoeuropäischen Sprachen aber 76%.
Also hat nach den Untersuchungen der Forschungsgruppe um Blasi die andere Art zu essen und zu kauen in Jäger-und Sammlergesellschaften und in modernen Gesellschaften Auswirkungen auf ihren Kauapparat und damit auch auf die gesprochene Sprache. Labiodentale hängen nämlich von der Bisskonfiguration ab.
Mit Überbiss kann man, wie die biomechanische Modellierung zeigt, labiodentale Klänge wie „f“ leichter herzustellen als mit dem Kopfbiss, der vor dem Neolithikum vorherrschte. Diese Klänge entstehen mit Überbiss auch zufällig. Dazu kommt, dass Überbisse sich nur bei weicherem Essen, also bei der Nahrungsmittelproduktion seit dem Neolithikum und der modernen Art, Essen zu bereiten, durchsetzen konnten. Auf diese Weise konnten sich Labiodentalklänge verbreiten.
Als Ergebnis kommen die Autoren zu dem Schluss, dass ihr konvergierende Beweise aus Paläoanthropologie, Sprachbiomechanik, Ethnographie und historischer Linguistik bewiesen, dass labiodentale Klänge (wie „f“ und „v“) nach dem Neolithikum sich neu entwickelten, weil ernährungsbedingte Veränderungen der Ernährungstechnologie den menschlichen Biss von einer Kante-an-Kante-Konfiguration (Kopfbiss-Konfiguration) umwandelten zu einer Konfiguration, die den jugendlichen Überbiss bis ins Erwachsenenalter bewahrt. Diese Änderung begünstigte dann die Entstehung und Aufrechterhaltung von Labiodentalen. Also sei Sprache nicht nur durch die Eventualitäten ihrer Geschichte, sondern auch durch kulturell bedingte Veränderungen in der Humanbiologie geprägt.
Soweit das Abstrakt der Gruppe um Damian Blasi. Ich habe im Text auch wörtliche Zitate eingebaut.
[f] und [v] in indoeuropäischen Sprachen
Was ist die Zentralaussage von Blasi et al.? Er sagt, durch die veränderte Zahnstellung beim Essen weicher Nahrung seit dem Neolithikum sei es möglich, besser, einfacher und eleganter Dentolabiale wie [f] oder [v] bilden, die sich deshalb z.B. in indoeuropäischen Sprachen durchsetzten.
Die germanischen Sprachen sind dafür bekannt, dass beim Wort für Vater, bei denen in anderen indoeuropäischen Sprachen ein [p] steht (lateinisch pater, altgriechisch patér, neugriechisch patíras, tocharisch A pacar, tocharisch B pacer, sanskrit pitar, hindi pita, bengalisch pitā, gujarati pitā, punjabi pitā nū, auf Urdu pidar, persisch pedar, italienisch und spanisch padre, katalanisch pare, portugiesisch pai, afrikaans pa, französisch père, galizisch pai, tadschikisch padar, wallonisch pere) Ein [f] bzw. [v] (deutsch Vater, englisch father, altenglisch fæder, dänisch, norwegisch und schwedisch far, (norwegisch fedreland = Vaterland), dänisch und schwedisch fader, Plural fædre (faderlig = väterlich), isländisch faðir, faröisch faðir, niederländisch vader, afrikaans vader, plattdeutsch Vader, sächsisch Fahdorr, schwäbisch Vattr, Vadder, Vaddrle, fränkisch Vadde, hessisch Faddä) steht.
In einigen Sprachen steht für [p] ein [b]: russisch batjuschka = Väterchen, bulgarisch bashta, ukrainisch batʹko, weißrussisch baćka.
Slawische Sprachen scheinen aber anders zu sein, das Wort für Vater beginnt oft mit einem Vokal, meist dem [o]: bosnisch, serbisch und kroatisch otac, slowakisch und tschechisch otec, polnisch ojciec, kaschubisch òjc, russisch otets, slowenisch oče. Dazu gehören auch usbekisch ota und aserbaidschanisch ata. Vermutlich begannen sie auch ursprünglich mit einem Labiallaut wie mit [f], [v], [p] oder [b], der aber wahrscheinlich fortfiel. Dann wäre kroatisch otac ehemals z.B. potac oder fotac.
Ähnliche Wortbildungen finden sich im Baschkirischen, Kirgiesischen, Aserbaidschanischen, Tatarischen und Türkischen als ata, Tschwachischen als atte, Tuwinischen als ada.
Deutlich von Wörtern wie otac abgeleitet als Kurzwörter sind mazedonisch tatko, tschechisch táta, rumänisch tată, wobei das rumänische Wort eine Übernahme aus dem Mazedonischen sein dürfte und auch im Vaterunser (tatăl nostru) vorkommt. Lettisch ist Vater tēvs und litauisch ist es tėvas. Für Vati gibt es în beiden Sprachen tētis. Im Romani gibt es die Wortform dad. Jiddisch kennt tate.
Interessant sind keltische Sprachen. Bemerkenswert ist, dass Walisisch und Bretonisch, die ja keltische Sprache sind und weit entfernt von den genannten slawischen Kurzwörtern für Vater gesprochen werden, für Vater das Wort tad haben, das den slawischen Wörtern sehr ähnlich ist.
Schottisch-gälisch gibt es dadaidh. Dazu kommt englisch dad, daddy. Das schottisch-gäliche und irische Wort athair für Vater dürfte auch anfangs einen labialen Anfang wie p oder f besessen haben, der fortfiel.
Wir haben gesehen, dass indoiranische Sprachen wie Hindi (pita), Bengalisch (pitā), Gujarati (pitā), Punjabi (pitā nū) sich in die indoeuropäischen Sprachen, bei denen das Wort für Vater mit einem P-Laut beginnen, gut einfügen. Eine der indoiranischen Sprachen macht aber eine bemerkenswerte Ausnahme. Denn hier steht ein [v] für ein [p], also anders als bei ihren Schwestersprachen. Es handelt sich um Marathi. Hier heißt das Wort Vater „Vaḍīla“. Weit entfernt von den germanischen Sprachen hat sich in Indien auch ein [v] für ein [p] durchgesetzt.
Man sollte aber auch nicht vergessen, dass im Deutschen der Vater auch als Papa, Pappi (bairisch Pabb, hessisch Babba, schwäbisch Babba, Babbale), also mit einem P- bzw. B-Laut ausgesprochen wird. Ebenso gibt es im Schwedischen das Wort pappa für Vater/Vati. In Luxemburg sagt man Papp. Faröisch gibt es pápi und babba und im Italienischen auch babbo familiär) für Vater, albanisch babi für Vati und babë für Vater, korsisch babbu und kurdisch (Kurmandschi) bav für Vater. Und schottisch gälisch gibt es das Wort boban für Pappi, Vati. Auch im Urdu gibt es ein bāp und im Isländischen ein pabbi (sowie auf Türkisch ein baba).
Sollte die Vermutung richtig sein, dass das schottisch-gäliche und irische Wort athair für Vater anfangs einen labialen Anfang wie p oder f besessen hat, der fortfiel, so dürfte das auch bei hethitisch atta-, lydisch ata-, hurritisch attai, urarisch, ate- (= alle Wörter heißen Vater) zutreffen. Und vielleicht bei der wahrscheinlichen Wortform aita für Vater im Polabischen oder Elbslawischem. Auch im Baskischem, einer isolierten, nicht-indoeuropäischen Sprache gibt es ein aita für Vater.
Es ist ja nicht so selten, dass Labiale am Wortanfang wegfallen. So bei schwedisch ord (deutsch Wort, englisch word), schwedisch orm (deutsch Wurm, englisch worm) und altnordisch ulfr (deutsch Wolf, englisch wulf). In den genannten englischen Wörtern ist der W-Laut noch ein Double-U, also kein echter Labiodental. Es bilden sich dann Schwundformen der ursprünglichen Wortstämme.
Bekannt ist ja auch der frühe Fortfall des F geschriebenen Digammas (Wau), eines W-Lautes [w] in homerischen Texten und die Tatsache, dass deshalb Ilion in homerischen Texten mit hethitisch Wilusa identifiziert werden kann.
Im Spanischen wird das B, wenn es nicht am Wortanfang steht, bilabial, in der Mitte zwischen v [v] und b [b] mit verminderter Reibung ausgesprochen, so als könne der Sprecher sich nicht entscheiden, soll er jetzt das bilabiale B oder das labiodentale V aussprechen. Das spanische anlautende f- wurde oft zu h- und verschwand dann in der Aussprache ganz. Lateinisch facere = machen wurde im Spanischen zu hacer, gesprochen acer. Das hat schon sehr alte Wurzeln. Denn auch im Lateinischen ersetzte manchmal h ein f wie in hostis für fostis und hebris für febris.
Sanskrit gilt als älteste bekannte indoeuropäische Sprache und hat dazu angeregt, die indoeuropäischen Sprachen zu erforschen. Im Sanskrit gibt es das so genannte Devanagari-Alphabet.
Es gibt fünf Klassen von Konsonanten, Gutturale (Kehllaute), Palatale, Zerebrale oder Retroflexe, Dentale und Lippenlaute (Labiale). Bei den Lippenlauten gibt es die folgende Liste:
pa varga | pa pha ba bha ma | प फ ब भ म | Labial, Lippenlaut | Oshthya | Lippen [5] |
Das heißt, das Devanagari-Alphabet kennt Lippenlaute (Labiale), aber keine labiodentalen Laute. Es gibt behauchte Lippenlaute, aber keinen Buchstaben und Laut der dem [f] entspricht. Moderne indische Sprachen wie Hindi oder Marathi sprechen das ph aber als den Laut [f] aus.
Der Sanskrit- Halbvokal व va wird wie in Wasser ausgesprochen, z. B. vāta „Wind“[6].
Das so bekannte altgriechische B (βῆτα = beta) [b] wird heute wie das deutsche w als (βήτα = víta) [v] ausgesprochen. Das ursprüngliche aspirierte P, das Ph (φ), altgriechische Aussprache ph [pʰ] , wird heute wie f ausgesprochen. Im klassischen Altertum wurden die bilabialen Buchstaben π [p] (stimmlos), β [b] (stimmhaft) und φ [pʰ] (stimmlos und aspiriert) plosiv, also explosiv ausgesprochen. Während das stimmlose π [p] sich nicht veränderte, wurde ab dem 3. Jahrhundert u.Z. im Raum der Koine β [b] zu w [v] und φ [pʰ] zum stimmlosen, unaspiriertem [f]. Das heißt (wie auch bei anderen Lauten) verwandelten sich Plosive zu Frikativen, das heißt zu Lauten, die durch Reibung der ausströmenden Atemluft an Lippen, Zähnen oder Gaumen hervorgebracht werden, also Labiodentalen.
Der vermutete Übergang von bilabial gesprochenen Lauten zu labiodental gesprochenen Lauten durch die anatomische Veränderung des Gebisses seit dem Neolithikum verläuft also über einen sehr langen Zeitraum und deutet auf sehr alte Verunsicherung hin, wie man die Labiale und besonders die vermutlich neu entwickelten Dentolabiale aussprechen sollte. Diese Verunsicherung lässt sich in der griechischen Sprache historisch greifen und zeitlich einordnen.
In den ältesten lateinischen Urkunden findet sich schon der Buchstabe F für das gesprochene f. Der Buchstabe leitet sich vom westgriechischen Alphabet ab, in dem das alte Digamma F noch vorkam. Der alte griechische W-Laut wurde durch den lateinischen F-Laut ersetzt. Er wurde aber wohl in Urzeiten noch bh ausgesprochen, das dem lateinischen, umbrischen und oskischen f der labialen Media-Aspirata des Sanskrit bh entspricht. Das heißt, das Italische f war ursprünglich aspirierte Media und wurde dann erst zu dem labiodentalen frikativen f. Auch indogermanisch dh wurde im Uritalischen zum f.
Dh gehörte der vierten Gruppe der Konsonanten des Devanagari-Alphabets, der dentalen Gruppe an:
ta varga | ta tha da dha na | त थ द ध न | Dental | Dantya | Zahndamm, obere Schneidezähne[7] |
Die Römer hatten also seit ihren frühesten Zeiten die Möglichkeit, den labiodentalen Laut [f] zu bilden, und auch ein [v], wobei aber davon auszugehen ist, dass es lange Zeit unentschieden war, wie [v] ausgesprochen wurde, als Halbvokal, als Vokal [u] oder als ein Laut, der dem deutschen W entspricht. Jedenfalls benutzten die Römer für diesen Lautwert den etruskischen Buchstaben V, der von dem in der griechischen Ursprache als [u] ausgesprochenen Ypsilon (dem kleinen U) abstammt. Der Buchstabe wurde zum V umgeformt, oft als U geschrieben (und wohl auch gesprochen), und aus ihm entwickelte sich durch Verdoppelung des U das Doppel-U, also das heutige W.
Das lateinische f ist also ein echter labiodentaler Laut, das v aber nicht in der gleichen Weise.
Warum diese umständlichen Erörterungen? Nun, bei den indoeuropäischen Sprachen scheint es, ausgehend von aspirierten labialen Lauten wie bh und und dh (also labialen und dentalen Lauten) eine immer noch anhaltende Entwicklung zu den labiodentalen Lauten [f] und [v] gegeben zu haben, wie von der Gruppe um Damian Blasi behauptet.
Eines fällt aber auf. Im pa varga des Devanagari-Alphabets findet sich auch ein „ma“. Die Inder ordneten also das m zu den labialen Lauten. Was ganz richtig ist. M ist zwar weder ein bilabialer noch ein labiodentaler Laut, wird aber mit den beiden Lippen gesprochen. Wir sind es nicht gewöhnt, den M-Laut so einzuordnen. Es lohnt sich, eine vollständige Liste aller bilabialen und labiodentalen Laute der indoeuropäischen Sprachgruppe einschließlich des M-Lautes zu erstellen. Die sähe dann so aus:
p ph f b bh v/w m u
Es fragt sich, ob es berechtigt ist, als Beispiel für den Übergang der bilabialen zu den labiodentalen Lauten die oben genannten Bezeichnungen für Vater zu nehmen. Es stimmt, hier fällt der Unterschied der mit P beginnenden Vaterbezeichnungen zu den germanischen mit F besonders auf. Aber könnte es nicht sein, dass auch das schottisch-gäliche und irische Wort athair für Vater sowie das hethitische atta-, das lydische ata-, das hurritische attai und das urarische ate- schon mit einem F-Laut begonnen haben und damit der germanische F-Laut in Vater nicht nur nicht vereinzelt steht, sondern wie bei der hethitischen Sprache bis in die Bronzezeit zurückreichen könnte? In der ältesten bekannten germanischen Sprache gibt es für Vater übrigens ein bei einer germanische Sprache erwartbares fadar, aber auch die Form atta, die sich zu den eben genannten hethitischen bis gälischen Wörtern stellen ließe.
Und das Ossetische hat fyd ФыД für Vater. Schottisch, eine keltische Sprache, kennt faither.
Und fragen wir nicht immer nur nach dem F-Laut. Der W-Laut [v] ist ja auch ein labiodentaler Laut, der sich erst nach der Umstellung des Gebisses von der Kopfstellung zum Überbiss richtig ausbilden konnte. Im Sanskrit und den meisten Tochtersprachen des Sanskrit beginnt das Wort für „Vater“ mit einem P-Laut: pitar, pita, pitā. Aber, wie schon gesagt, ist das Marathi als Tochtersprache des Sanskrit eine Ausnahme. Das Wort für Vater „Vaḍīla“ fällt da raus, denn es hat nicht (mehr) wie das Sanskrit ein (nach der Theorie von Blasi et al.) altertümliches [p], benutzt aber auch nicht wie das Germanische ein [f] für sanskrit [p], sondern ein [v/w].
Wie weit ist die Theorie von Blasi et al. verwertbar? Er geht davon aus, dass sich die Gebissstruktur durch weiches Essen verändert hat. Das klingt logisch. Aber man darf nicht übersehen, dass es sich dabei um die Gebisse Heranwachsender oder Erwachsener handelt. Ein Säugling kommt in der Regel zahnlos oder mit beginnender Zahnentwicklung zur Welt. Er hat das Problem mit dem Kopfbiss oder Überbiss noch nicht. Das heißt, Labiodentale spielen bei ihm keine Rolle. Wohl aber Bilabiale. Das Kind übt diese ständig. So kommt es, dass der Säugling ständig – wir sagen im Deutschen – babbelt. Wir hören immer wieder Baba, Pappa, Mama. In der Tat sich diese Wörter gewissermaßen labiale Urwörter. Das muss schon in der Kopfbissphase so gewesen sein. Diese „Wörter“ sind wohl auch deshalb so stabil, weil die Mutter immer wieder darauf reagiert, indem sie die von ihr gehörten Wörter wiederholt und damit verstärkt. Es muss sich sehr früh ergeben haben, dass Papa, Baba für den Vater und Mama für die Mutter „reserviert“ wurden. Und das so stabil, dass Veränderungen der Labiallaute durch verstärkte Nutzung der Labiodentalen daran mit wenigen Ausnahmen wie bei dem germanischen Sprachzweig nichts ausrichten konnten. Papa blieb Papa und Mama Mama. Falls – ich sage falls – die Hypothese mit dem Verlust der Anfangslabialen in slawischen und keltischen Sprachen und z.B. im Hethitischen bei dem Wort für Vater stimmt, dann liegt es vielleicht auch an der langen verwandtschaftlichen Beziehung zum Germanischen. Die Unsicherheit, ob man das Wort für Vater nun mit dem althergebrachten Laut P oder Ph (B oder Bh) aussprechen sollte oder mit dem neuen F (oder V/W) führte in der einen Gruppe zum Verlust des Anfangslabialen, während er bei den Germanen konsequent zum F-Laut wurde und sich dann ganz stabilisierte.
Arnold Wadler und die konsonantische Betrachtungsweise indogermanischer Wörter
Der in Krakau geborene und in den USA als politischer Flüchtling gestorbene österreichisch-deutsche jüdische Jurist und Sprachforscher Arnold Wadler (1882-1951) hat sich 1935 bis 1937 mit der Frage einer Ursprache beschäftigt.[8] Als Jude konnte er gut Hebräisch. Neben Jura studierte er Sanskrit, Hebräisch, Babylonisch und andere Sprachen.
Deshalb konnte er viele Wörter vergleichen. Da hebräisch nur konsonantisch geschrieben wird, schrieb er indoeuropäische Wortwurzeln gegen die Meinung seiner „indogermanistischen“ Kollegen auch nur konsonantisch. Dabei ging er ursprünglich zwei- bis dreikonsonantische Wortwurzeln sowohl bei semitischen als auch bei indoeuropäischen Sprachen aus. Die dreikonsonantischen Wortwurzeln nannte er Trisonanzen. An den zweikonsonantischen Wortwurzeln wie PL hänge die Bedeutung, ein dritter Konsonant wie K spezialisieren dann den Sinn. Kein Wortstamm enthalte mehr als drei Konsonanten. Nicht alle Sprachen aber hätten Trisonanzen, Chinesisch z.B. hätten nur Bisonanzen. Trisonanzen im Indoeuropäischen und Semitischen seien geradezu etymologische Schlüsselwörter für den Sprachforscher zur Feststellung der Urverwandtschaft der beiden Sprachgruppen und ihrer Sprachen. Sie bildeten die markantesten Formen der Wortstämme, hätten am wenigsten durch den Lautwandel gelitten und seien geradezu Wegweiser der Wortforschung. Charakteristisch sei z.B., dass bei trisonantischen Wörtern wie Mark und Block die Reibelaute R und L in der Mitte der Wörter vertauschbar seien. Wadler wies in diesem Zusammenhang immer wieder auf das merkwürdige griechische Wort pelekys hin, das Beil bedeutet und dessen Konsonanten P-L-K die Trisonanz bilden. Die Bedeutung liegt nach Wadler nicht, wie indoeuropäische Sprachforscher annehmen, beim Gesamtwort pelekys, sondern nur bei der Trisonanz, also nur bei den Konsonanten P-L-K. Wenn man konsequent trisonantisch liest, findet man in vielen Sprachen Wortwurzeln (Trisonanzen) mit ähnlicher Bedeutung, zum Beispiel Wörter, die etwas mit Schlagen zu tun haben.
Die konsonantische Struktur von Wörtern und ihre genematische Matrix. Am Beispiel von Wörtern aus dem semantischen Kreis des Schlagens, Schneidens, Brechens und Trennens
Ausgehend von dieser Hypothese Arnold Wadlers habe ich 2012 in einem als E-book veröffentlichten Buch Wadlers Hypothesen überprüft[9] und ein Schema entdeckt. Hier nutze ich diese Erkenntnisse zur Unterstützung der Thesen der Arbeitsgruppe um Damian Blasi.
Ich habe versucht, Wadlers Hypothese zu prüfen und kam dabei auf eine Struktur, in der ich circa 30.000 Wörter aus allen Sprachen der Welt verarbeitete. Das Zentrum bilden Trisonanzen, die das Aussehen von Pelekys haben (PLK). An erster Stelle sind Labiale B, Bh, P, Ph, F. W, M. An zweiter Stelle finden sich Reibelaute L, M, N, Ng, R. An dritter Stelle finden sich Gutturallaute und Palatale.
Bei Wegfall des Anfangs-P gibt es eine Bisonanz L-K. Diese, erweitert durch das S von pelekys ergibt L-K-S. U.s.w. Da es oft einen S-Vorschlag gibt, kann bei Wegfall des K (und S) des P-L-K sich ein S-P-L ergeben u.s.w. nach links. Es gibt auch Umkehrungen der Wortrichtung. Hier nur wenige Beispiele zur Verdeutlichung:
altgriechisch pelekys | Beil | P-L-K |
lateinisch fractura | Bruch | F-R-C |
deutsch | klappern | P-L-K |
deutsch | Splitter, spalten | S-P-L |
akkadisch šeberu | zerbrechen | Š-B-R |
In unserm Zusammenhang möchte ich nur auf das Zentrale, die von pelekys ausgehende Trisonanzen hinweisen. Besonders bei den Bisonanzen, die instabiler sind, gibt es zwar sehr oft einen Zusammenhang mit Wörtern es Schlagens, Schneidens usw. aber es gibt auch viele Bisonanzen mit ganz anderer Bedeutung. Bemerkenswert ist immerhin, in wie vielen Fällen ein Zusammenhang von Struktur der Trisonanz vom Muster PLK und der Bedeutung des Schlagens usw. vorhanden ist.
Jetzt gezielt beispielhaft eine Abfolge dieser Struktur aus indoeuropäischen Sprachen. In der Tabelle in meinem Buch habe ich auch Sprachen aus vielen nichtindoeuropäischen Sprachzweigen und Sprachen aufgeführt. Aber speziell bei dem Teil, der den Ausgangspunkt in pelekys hat, dominieren indoeuropäische Sprachen. Bei den Wörtern, die sich um das Schlagen drehen, habe ich auch Laute, die das Geräusch des Schlagens nachmachen, wie Tierlaute, genannt. Hier nur eine Kostprobe meiner Wörterliste. Zuerst die Sprache, dann das Wort, bei nichtdeutschen Wörtern eingeklammert die Bedeutung, dann die gemeinten Trisonanten,die ich Trigeme nannte. In meiner Liste kommen sehr viele Wörter vor, die als Trisonant gewissermaßen von hinten gelesen werden, also statt PLK KLP. Ich habe hier nur Wörter aufgezählt, die die Richtung P-L-K aufweisen. Man muss aber bedenken, dass die Schreibung nicht unbedingt mit der Aussprache übereinstimmt, wie bei lateinisch fractura, bei dem das C als K-Laut ausgesprochen wird. Es spielen, wie gesagt, nur die Konsonanten der Wörter eine Rolle.
Polnisch bluc (brechen) | B-L-C |
plattdeutsch blöcken, auf den Leisten schlagen | B-L-Ck |
altnordisch bilda (Beil) | B-L-D |
mittelhochdeutsch blœde (zerbrechlich, schwach) | B-L-D |
litauisch baladotis (klopfen, poltern) | B-L-D |
deutsch balgen (sich schlagen) | B-L-G |
deutsch blöken (vom Rind: schreien) | B-L-K |
katalanisch bolot Ohrfeige | B-L-T |
altgriechisch blitto (Honig ausschneiden) | B-L-T |
italienisch bricola (Krümel) | B-R-C |
deutsch brechen | B-R-Ch |
deutsch (bairisch) Brädschn (Ohrfeige) | B-R-D |
norwegisch brudd (Bruch) | B-R-D |
bulgarisch bradwa (Axt, Beil) | B-R-D |
englisch barge into s.o. (jmd. anrempeln) | B-R-G |
deutsch Bark (verschnittener Eber) | B-R-K |
englisch break down (spalten) | B-R-K |
isländisch brak (Kleinholz, Holzabfall) | B-R-K |
deutsch Brösel (Krumen) | B-R-S |
isländisch brestur (Riss, Knall, psych. Fehler) | B-R-S |
bretonisch bresk (zerbrechlich) | B-R-S |
deutsch Bresche (geschlagene Lücke) | B-R-Sch |
schwedisch bresch (Bresche) | B-R-Sch |
obersorbisch brašni (gebrechlich) | B-R-Š |
lateinisch plector (geschlagen, bestraft werden) | P-L-C |
obersorbisch placac (klatschen, schlagen) | P-L-C |
bulgarisch palac (Schlachter) | P-L-C |
obersorbisch plack (kleiner Klaps) | P-L-Ck |
lateinisch plaudo (klatschend schlagen) | P-L-D |
jiddisch polag (abgesondert) | P-L-G |
lateinisch plaga (Hieb, Wunde) | P-L-G |
niederländisch plak (Schlag) | P-L-K |
polnisch palka (Knüttel) | P-L-K |
litauisch pliekti (prügeln, schlagen) | P-L-K |
altgriechisch pelekys (Beil) | P-L-K |
altgriechisch pelekizo (enthaupten) | P-L-K |
lateinisch plausor (Beifallsklatschen) | P-L-S |
lateinisch pulsus (Stoßen, Schlagen) | P-L-S |
altgriechisch (plässo schlagen, stoßen) | P-L-S |
deutsch (Berlin) (verplätten verhauen) | P-L-T |
lettisch plaut (mähen, schneiden) | P-L-T |
jiddisch perek (Abschnitt) | P-R-K |
tschechisch praskati (brechen) | P-R-S |
altgriechisch phalaktros (kahlköpfig) | Ph-L-K |
altgriechisch phragellion (Peitsche) | Ph-R-G |
altgriechisch phragma (Zaun, Verschluss) | Ph-R-G |
isländisch aflog (Schlägerei) | F-L-G |
schwedisch flaga (Schuppe, Splitter) | F-L-G |
englisch flog (prügeln, verscheuern) | F-L-G |
lateinisch flagrum (Peitsche, Knute) | F-L-G |
lateinisch fligo (schlagen, abschlagen) | F-L-G |
lateinisch effligo (totschlagen) | F-L-G |
walisisch fflangello (prügeln, verscheuern) | FF-L-G |
albanisch flégë (Splitter, Span) | F-L-G |
gotisch flokan (schlagen) | F-L-K |
dänisch flaekke (zerspalten) | F-L-K |
tschechisch flakati (schlagen) | F-L-K |
albanisch flakaresh (Ohrfeige) | F-L-K |
bretonisch flastrañ (zerdrücken, zerquetschen) | F-L-S |
lateinisch offenso (gegen die Wand stoßen) | F-N-S |
lateinisch fractura (Zerbrechen) | F-R-C |
lateinisch furca (Gabel) | F-R-C |
lateinisch bifurcor (sich in zwei Teile spalten) | F-R-C |
deutsch Furche | F-R-Ch |
isländisch farga (sich trennen, drucken) | F-R-G |
lateinisch naufragia (Trümmer, Überrest) | F-R-G |
lateinisch fragmentum (Bruchstück, Splitter) | F-R-G |
lateinisch frango, (fregi, fractus zerbrechen) | F-R-G |
galicisch faragulla (Krümel) | F-R-G |
bretonisch frigosañ (zerschmettern, zertrümmern) | F-R-G |
persisch ferge (Sekte, Kult) | F-R-G |
hindi farq (Unterschied) | F-R-Q |
kurdisch firaq (Trennung, Abschied) | F-R-Q |
albanisch farqë (Schmiede, Amboss) | F-R-Q |
dänisch kødfars (Gehacktes, Hackfleisch) | F-R-S |
lateinisch fars (gehacktes Fleisch) | F-R-S |
lateinisch frustrum (Brocken, Bissen) | F-R-S |
lateinisch frustratim (stückweise) | F-R-S |
bretonisch fars (Gehacktes) | F-R-S |
bulgarisch fraskam (schlagen, peitschen) | F-R-S |
lateinisch ferita (Schlag, Hieb) | F-R-T |
bretonisch freuzañ (zerstören, zunichte machen) | F-R-Z |
afrikaans vark (kastrierter Eber) | V-R-K |
deutsch walken (treten, schlagen) | W-L-K |
plattdeutsch wammsen (prügeln, schlagen) | W-M-S |
plattdeutsch wrack (beschädigt, zerbrechlich) | W-R-Ck |
althochdeutsch wirson (zerschlagen) | W-R-S |
lateinisch mollis (weich) | M-L-S |
altgriechisch mylos (Mühle, Mahlstein) | M-L-S |
althochdeutsch molta (Staub) | M-L-T |
russisch molot (Hammer) | M-L-T |
lettisch milti (Mehl) | M-L-T |
tschechisch mliti (mahlen) | M-L-T |
altgriechisch melizo (zergliedern, zerteilen, singen) | M-L-Z |
lateinisch minutim (stückweise) | M-N-T |
litauisch minti (brechen) | M-N-T |
bretonisch mantret (niedergeschlagen) | M-N-T |
lateinisch marculus (Hämmerchen) | M-R-C |
polnisch mcrvarati (zerfleischen) | M-R-C |
schwedisch murken (morsch) | M-R-K |
deutsch Mörser (Gefäß zum Zerstoßen) | M-R-S |
lateinisch morsa (Bisschen, Stückchen) | M-R-S |
altgriechisch meros (Teil, Anteil) | M-R-S |
altfriesisch mertla (Stummel) | M-R-T |
Zigeuner mortel (Hammer) | M-R-T |
französisch marteau (Hammer) | M-R-T |
irisch-gälisch mart (geschlachtet) | M-R-T |
mittelhochdeutsch murz (Stummel) | M-R-Z |
slowakisch mrzak (Knüppel) | M-R-Z |
altgriechisch merizo (teilen, zerteilen) | M-R-Z |
Dies ist nur ein kleiner Teil einer sehr großen Liste. In diesem Zusammenhang geht es mir um die Labiale am Anfang der Wörter. Ich habe alle Bilabiale einschließlich des M und die labiodentalen Frikative F und W (V) aufgenommen, ohne Unterschied, wann diese Frikative eventuell entstanden sein könnten.
Wenn man diese Liste mit den Vaterwörtern vergleicht, so fällt überraschend auf, dass das Germanische mit dem labiodentalen Frikativ [f] in dieser Liste nicht ganz so isoliert dasteht. Lateinisch und Germanisch erscheinen hier sehr verwandt, beide haben erstaunlich viele Wörter, die in ähnlicher Bedeutung mit [f] anfangen statt mit [b] oder [p]. Das scheint ein gemeinsames Gruppenmerkmal vor allem des Germanischen und Lateinischen zu sein. Ist vielleicht das germanische [f] in Vater einfach eine Angleichung an das vorhandene Schema und das lateinische pater ein konservatives Relikt? Wie dem auch sei, es gibt auch in verschiedenen indoeuropäische Sprachen Wörter, die nach dem indischen System der Labiale mit M beginnen. Das scheint sehr alt zu sein und ist nicht sehr verbreitet.
In den meisten indoeuropäischen Sprachen dominieren nach wie vor Bilabiale wie [b] oder [p], auch in dieser Liste. Das heißt, das [f] setzt sich nur schwer durch, viele Sprachen verwenden lieber konservativ [b] oder [p] wie im Lateinischen beim Wort pater. Es wird nicht zum fater, obwohl die Römer den F-Laut schon lange hatten. Das spricht für die These der Gruppe um Blasi, dass der F-Laut nicht zu den primären Labiallauten gehört hat, sondern erst sekundär als Labiodental dazukam.
Die indoeuropäische Sprachgruppe, die neolithische Revolution und die Entwicklung des [f]
Die neolithische Revolution begann mit dem Sammeln von Wildgetreide vor circa 20.000 Jahren. Die Funde zeigen, dass vor 14.000 Jahren Brot gebacken wurde. Der Getreideanbau setzte sich vor etwa 11.500 Jahren in der Südosttürkei und Nordsyrien, später auch in der gesamten Levante durch.
Nach der wahrscheinlichen, mathematisch unterstützten Hypothese von Quentin D. Atkinson, Simon J. Greenhill und ihrer Arbeitsgruppe in Auckland in Neuseeland begann die Entwicklung der indoeuropäischen Sprachgruppe vor etwa 8700 Jahren in Anatolien und breitete sich dann aus. Vor 6000 und 7000 entwickelten sich die indoeuropäischen Sprachzweige, entweder in Anatolien oder mit der Kurgan-Kultur in Südrussland und der Ukraine. Diese Sprachzweige breiteten sich dann weiter aus und bildeten die verschiedenen indoeuropäischen Sprachen. (Die Verbindungen zur semitischen und anderen Sprachgruppen müssen weiter zurückliegen.)
Der Abgleich der Daten zur neolithischen Revolution und zum vermutlichen Beginn der indoeuropäischen Sprachgruppe zeigen, dass die Ur-Indoeuropäer (in Anatolien) schon Getreide und Brot vorfanden. Getreide wurde, um essbar zu sein, gemahlen. Dazu passen die genannten trisonantischen Wörter, die mit Mehl und mahlen zu tun haben. Die Trisonanten als Ganze dürften aber viel früher zurückreichen, möglicherweise bis ins Paläolithikum. Die damaligen Menschen „werk“elten, sie mussten, um „Werk“zeuge herzustellen, Steine behauen, die sie dann in behauener neuer Form als „Werk“zeuge verwendeten. Das Wort „Werkzeug“ mit dem Beginn des W-Lautes dürfte aber neolithisch entstanden sein, wenn die Arbeitsgruppe von Blasi recht hat. Bekannt ist, dass das altgriechische Wort ergon ἒργον ursprünglich einen W-Laut, das Digamma F, besessen hat, der verlorenging. Jedenfalls umfassen die Bisonanten und Trisonanten in ihrem labialen Beginn alle Labiallaute, egal, ab wann es sie gibt.
Eines ist aber bemerkenswert. Aus der Zahl möglicher Labiale bei den Bisonanten und Trisonanten, die etwas mit Schlagen usw. zu tun haben, hat sich in den indogermanischen Sprachen für „mahlen“ konsequent der M-Laut durchgesetzt.
Bisonanten:
hethitisch malia, altindisch mr̥ṇāti, mr̥nati, mármartu „soll zermalmen“, griechisch múllō, lateinisch molō, tocharisch B melye „trampeln“, gotisch malan, altisländisch mala, altenglisch malu, neuenglisch meal, neuhochdeutsch mahlen, Mehl, altirisch melim, kymrisch/walisisch malu, litauisch malù, altkirchenslawisch meljǫ, armenisch malem, albanisch kosovarisch miell „Mehl“, tschechisch mouka (gemahlenes Mehl).
Trisonanten:
lateinisch mollis (weich), altgriechisch mylos (Mühle, Mahlstein), althochdeutsch molta (Staub), russisch molot (Hammer), lettisch milti (Mehl), tschechisch mliti (mahlen, altgriechisch melizo (zergliedern, zerteilen).
Das spricht dafür, dass Mehl (für Brot) schon zerkleinert und gemahlen wurde, als die indoeuropäische Sprachgruppe entstand.
Bemerkenswert ist, dass es kein gemeinsames indoeuropäisches Wort für „Brot“ gibt.
Hethitisch ist ḫaršt Brot.
Das deutsche Wort „Brot“ (Sauerteigbrot) mit seinen germanischen Verwandten soll von einer indoeuropäischen Wurzel abstammen, die etwas mit „aufwallen“ zu tun hat, wie es im Wort „brodeln“ noch erkennbar ist. Hindi kennt brēḍa = Brot.
Slawen haben meist Wörter, die mit dem gotischen Wort. hlaifs und dem deutschen Wort „Laib“ (geformtes Brot) zusammenhängen wie polnisch chleb. Auch in den nichtindoeuropäischen Sprachen Estnisch gibt es Leib und Finnisch leipa.
Kroatisch findet sich kruh (Weißbrot).
Ob lettisch maize mit altgriechisch maza zusammenhängt, bleibt offen. Litauisch ist Brot duona.
Altgriechisch gab es artos ἂρτος (bei Homer wartos, wratos, also noch mit Digamma, hängt es zusammen mit der Wurzel des deutschen Wortes „Brot“?) und (großgriechisch) panos πανός, maza μᾶζα und sitos σῖτος. Artos hieß Brot und Speise, maza Gerstenbrot, sitos Weizen, Getreide und Mehl, Brot sowie Speise, Nahrung. Neugriechisch ist ψωμί psomi das gewöhnliche Brot, während ἂρτος besonders im orthodoxen Ritus verwendet wird.
Das lateinische Wort panis, aus dem sich in romanische Sprachen die entsprechenden Wörter gebildet haben, hängt wohl mit dem griechischen Wort panos oder panos (w)artos πανός ἂρτος zusammen, wozu sich panicum Buchweizen gesellt.
Panis soll sich nach Heinrich Tischner[10] vom indoeuropäischen *pëḫn (füttern, Nahrung, Aufbewahrungsort der Nahrung) ableiten. Dazu gehören lateinisch lat. penus, -oris und -ūs (Mundvorrat, Inneres des Hauses), Penātēs (Hausgötter), griechisch dorisch πανία panía, πάνια pánia (Sättigung), litauisch penėti (füttern, mästen), pẽnas (Futter), lettisch penêt (verwöhnen) und altirisch ain-ches (Brotkorb) sowie gotisch fenea (Gerste, Gerstengericht) u.a.
Bei altirisch ain-ches (Brotkorb) und gotisch fenea (Gerste, Gerstengericht) erkennt man die Verunsicherung durch die Gebissveränderung. Denn altirisch ain-ches dürfte ehemals fain-ches oder pain-ches gelautet haben und im gotischen Wort fenea drückt sich die beschriebene germanische „Besonderheit aus.
Wie man sieht, scheinen (F)ἂρτος, panos und panis durchaus alt zu sein. Zwischen panos, panis, ain-ches und fenea besteht wohl ein Zusammenhang, der den Gebisswandels anzeigt, durch den das irische und gotische Wort sich in die spätere und heutige Form wandelte und auch das (F)ἂρτος sein Digamma verlor. Panos und panis sind wohl urtümlicher, (F)ἂρτος, ain-ches und fenea aber moderner. Sie zeigen, wie unsicher der F- und der W-Laut anfangs waren und dass er sich bis jetzt oft noch gar nicht durchgesetzt hat, ähnlich wie bei den heute noch mit einem P-Laut beginnenden Wörtern für „Vater“.
Und maza (griechisch) Gerstenbrot, fenea (gotisch) Gerste, Gerstengericht, panicum (lateinisch) Buchweizen u.a. zeigen, dass oft wohl statt eines indoeuropäischen Gesamtwortes für „Brot“ ein Wort benutzt wurde, das dem entsprach, welches das Getreide ausdrückte, das in der Kultur der jeweiligen Schwestersprache verwendet wurde.
Der labiodentale F-Laut hat es schwer. Weder Säuglinge noch zahnlose Greise können ihn bilden. In den Sprachen, in denen er sich durchgesetzt hat, scheint er aber ganz gewöhnlich zu sein. Er ist dann auch stabil wie im Deutschen und Lateinischen. Der labiodentale W-Laut oder sein Vorgänger, der wie das englische Double-U gebildet wird, ist wesentlich instabiler, wie der Verlust des Digamma in wartos, wratos oder wergon zeigt. Überhaupt kann ein Labial am Wortanfang wie bei slawischen und keltischen Wörtern entfallen. Der M-Laut in den Wörtern für mahlen und Mehl ist demgegenüber über die Jahrtausende stabil. Die indoeuropäische Sprachgruppe hat, als sie die Urwörter für Mutter und Vater gebildet hat, für den Vater das labiale P, für Mutter das labiale M gewählt. Eine weise Entscheidung. Beide Laute können Säuglinge ab dem Alter von einem halben Jahr gut bilden gut bilden und P und M sind divers genug, um einen klaren Unterschied zwischen Vater und Mutter zu ermöglichen.
Wir sind aber wohl immer noch in einer Jahrtausende währenden Umstellung des Lautbestandes von den Bilabialen zu den Labiodentalen, wie die Arbeitsgruppe um Blasi vermutet.
Unterstützung für Blasis Hypothese
Es ist daher sehr bedeutsam, dass die Linguistik biologisch untermauert wird. Ich vermute, dass bisher nur wenigen aufgefallen ist, dass sich das Gebiss in der Jungsteinzeit vom Kopfbiss zum Überbiss gewandelt hat. Klar war schon lange, dass das Gebiss des modernen Menschen sich verkleinerte, dass die Weisheitszähne sich zurückbilden, dass das Gebiss viel feiner wurde. Auch dass dieses mit der veränderten Essgewohnheit durch die Landwirtschaft zusammenhängt. Die Auswirkungen des sich dadurch entwickelten Überbisses auf die Sprache und speziell die neu aufkommenden dentolabialen Laute ist aber eine neue Hypothese, die wirklich spannend ist. Allerdings müsste man die Zahnentwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern einbeziehen.
[1]Angaben aus Neolithische Revolution – Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/de:Neolithische_Revolution, zuletzt besucht 23.03.2019 und Was war am Die Neolithische Revolution (9000 v. Chr. – 5500 v. Chr …
https://www.wissen.de/die-neolithische-revolution-9000-v-chr-5500-v-chr
[2]Atkinson, Quentin D.; Gray, Russell D. (2006): How old is the Indo-European language family? Progress or more moths to the flame? In: Forster, Peter; Ren-frew, Colin (eds.): Phylogenetic methods and the prehistory of languages. Cambridge: McDonald Institute for Archaeological Research, 91–109
Gray, Russell D.; Atkinson, Quentin D. (2003): „Language-tree Divergence Times Support the Anatolian Theory of Indo-European Origin“. Nature. 426 (6965): 435–439.
Bouckaert, R. R. (2010). DensiTree: making sense of sets of phylogenetic trees. Bioinformatics, 26 (10), 1372-1373. 10.1093/bioinformatics/btq110
[3]Language evolution and human history: what a difference a date makes
Russell D. Gray, Quentin D. Atkinson and Simon J. Greenhill Published:12 April 2011https://doi.org/10.1098/rstb.2010.0378
[4]D. E. Blasi, S. Moran, S. R. Moisik, P. Widmer, D. Dediu, B. Bickel. Human sound systems are shaped by post Neolithic changes in bite configuration. Science, 14 March 2019. DOI: 10.1126/science.aav3218
[5]Sanskrit Alphabet – Yogawiki
https://wiki.yoga-vidya.de/Sanskrit_Alphabet
[6]Sanskrit Alphabet – Yogawiki
https://wiki.yoga-vidya.de/Sanskrit_Alphabet
[7]Sanskrit Alphabet – Yogawiki
https://wiki.yoga-vidya.de/Sanskrit_Alphabet
[8]Arnold Wadler: Der Turm von Babel. Urgemeinschaft der Sprachen, Basel 1935
Arnold Wadler: Germanische Urzeit. Quellen zur Vorgeschichte der deutschen Sprache, Reprint Fourier-Verlag Wiesbaden o.J. (Basel 1936)
Arnold Wadler: Das Rätsel der Indogermanen, Basel 1937
[9]Franz Peschke: Die konsonantische Struktur von Wörtern und ihre genematische Matrix. Am Beispiel von Wörtern aus dem semantischen Kreis des Schlagens, Schneidens, Brechens und Trennens, 1. digitale Auflage 2012, 2012 projekt verlag Bochum/Freiburg 2012
[10]Kreuzdenker, Götternamen: Pan – Heinrich Tischner
https://www.heinrich-tischner.de/22-sp/8namen/6gtr/pan.htm,zuletzt besucht 25.03.2019