Stufenfolge der Entwicklung des Systems der Yogacāra-Philosophie oder Individualistischer Idealismus.

Stufenfolge der Entwicklung des Systems der Yogacāra-Philosophie oder Individualistischer Idealismus.

Abhandlung, gelesen in Heidelberg von Jiryo Masuda, Heidelberg, 1923, veröffentlicht von Franz Peschke 2017.

Biographie

Der Japaner Jiryo Masuda (1887 -1930) wurde am 01.01.1887 in Juki, Japan geboren. Er war Buddhist und studierte vom 06.05.1922 bis zum Wintersemester 1924/24 in Heidelberg Philosophie und war Hörer von Max Walleser. Zu dem Zeitpunkt seines Studiums in Heidelberg war er schon nach Eigenangaben Professor für Indologie an der Busan Daigaku, Tokio, Dozent für alt-indische Geschichte und Kultur an der Post-Graduate-Abteilung der Universität Calcutta“. Nach einer anderen Quelle war er Professor für Indologie an der Taisho Universität in Tokio.

Es ist zu vermuten, dass Jiryo Masuda vielleicht extra zu Walleser nach Heidelberg kam, weil er mit dem Japaner Junjiro Takakosu (1866 – 1945) bekannt war. Dieser hatte auf seinem Rückweg von England nach Japan den Zen-Priester Ekai Kawaguchi (1866 – 1945), der als erster Japaner am 26. Januar 1899 Nepal besucht hatte und für seine Forschungen in Tibet bekannt war, in seiner Wohnung in Varanasi besucht. Im Juli 1900 hatte Kawaguchi Tibet betreten und war später in den Jahren 1903, 1905, 1912 und 1913 in Tibet gewesen. Unter der Führung von Kawaguchi kamen Takakusu, Masuda und Tani Dogen ohne Visum nach Nepal und erforschten  Orte mit  buddhistischen Ruinen. Danach sammelten Takakusu, Kawaguchi and Hasebe Ryutai im Januar und Februar 1913 Sanskrit-Sutren des Buddhismus. 1912 bis 1913 führte Kawaguchi  Junjiro Takakusu und eine andere Person – Takakosu war Professor an der Universität Tokio – nach Lumbini and Kathamandu. An der Tokio-Universität findet sich eine Liste von 566 von Kawaguchi und Takakosu gesammelten Sanskrit-Manuskripten.

Schon 1904 war ein Kontakt zwischen Max Walleser und Junjiro Takakosu entstanden. Takakosu war zusammen mit Kaigyoku Watanabe der Schöpfer des großartigen Unternehmens, das zum ersten mal der japanischen Buddhistischen Gelehrsamkeit  die ganze Aufmerksamkeit der Welt einbrachte: Das Taishō shinshū daizōkyō, oder einfach „Taishō tripiṭaka“, die vollständigste Sammlung chinesischer Buddhistischer Schriften, die je zusammengetragen worden ist.

Takakosu bot Walleser im Oktober 1904 an, ihm ein Exemplar seines „A study of Paramartha´s life of Vasu-Bandhu; and the date of Vasu-Bandhu“  zuzusenden. Walleser schickte ihm als Dank dafür seine gerade erschienene Doktorarbeit. Damit ergab sich ein erster Kontakt zu Takakosu. Möglicherweise kannte Max Walleser Jirjo Masuda also über Takakosu.

Jirjo Masuda war vom Wintersemester1922/23 bis zum  Wintersemester 1924/25 bei Max Walleser in Heidelberg als Hörer eingeschrieben. Er hörte „Einführung in die einheimische Grammatik und Lexikographie“, Übungen zur einheimischen indischen Grammatik“, Sanskrit, Pāḷi, „Weltanschauung des Buddhismus“, „Buddhistische Texte“, „Einführung in die indische Philosophie“, „Sanskrit-chinesische Paralleltexte“ und „Sanskrit-tibetische Paralleltexte“ statt. Manchmal war er der einzige Hörer bei der Veranstaltung, mit ihm zusammen waren aber auch Philipp Schaeffer, Nathy Reiling (Anna Seghers), Bogdan Kwiecinski, Alexander Koschenikoff (Alexandre Kojève), Erich Wolff, Hermann Kopp und Willi Zinkgräff als Studenten eingeschrieben. Masuda war damit einer der fleißigsten Hörer Wallesers.

Er beschäftigte sich besonders mit der Philosophie des Buddhismus, besonders mit der buddhistischen Yogacāra-Schule. 1925 veröffentlichte Masuda den Aufsatz „ Origin and Doctrine of Early Indian Buddhist Schools“(Asia Major, Vol. 2 (1925), Seiten 5 – 78). Max Walleser gab ab 1923 seine „Materialien zur Kunde des Buddhismus“ heraus. Hier wurden auch Dissertationen von Wallesers Schülern veröffentlicht. Als Heft 10  erschien hier 1926 „Der individualistische Idealismus der Yogācāra-Schule“ von Jiryo Masuda. Es handelt sich auch um eine Promotion.

Am 15. März 1928  gründete Max Walleser sein Institut  für Kunde des Buddhismus. Jiji Masuda war in Japan, hatte aber weiter zu Heidelberger Kommilitonen Kontakt und war so auch von ferne am Geheihen des Heidelberger Instituts interessiert und erstellte eine Liste der Mitglieder des Instituts. So schickte er im Mai 1930 an Unray Wogihara im Mai 1930 das „Jahrbuch des Instituts für Buddhismus-Kunde Vol. I“. Aber schon 1931, bei der Auslieferung des II. Bandes des Jahrbuchs, war Jirjo Masuda gestorben. Deshalb ist im II. Jahrbuch ein Nachruf auf Jirjo Masuda enthalten:

„Am 25. Juni 1930 ist Dr. Jiriyo Masuda, Professor für Indologie an der Taisho-Universität zu Tokio, einem Herzleiden, das ihn schon seit längerer Zeit beunruhigte, erlegen, völlig unerwartet für seine Freunde in Deutschland und vor allem in Heidelberg, wo er nach längerer Lehrtätigkeit an der Postgraduate-Abteilung der Universität Calcutta drei Jahre, von 1921- 1924, buddhologische Studien, die sich in gleicher Weise auf das Chinesische, Indische und Tibetische erstreckten, obgelegen hat. Wir bedauern in ihm nicht nur einen Mitarbeiter von glänzenden Fähigkeiten und Kenntnissen: er war uns in schwerer Zeit ein treuer Freund und Helfer. Mit solcher mehr menschlich liebenswürdigen Feinheit der Empfindung verband er Eigenschaften, die ihn zum Gelehrten prädestinierten. Von immensem Fleiß und zähester Ausdauer in der Bearbeitung der von ihm gewählten Themen, besaß er eine glänzende Belesenheit in der einschlägigen Literatur und war mit Erfolg bemüht, auch auf solchen Gebieten heimisch zu werden, welche, wie die Philosophie H. Rickerts, besonders hohe Anforderungen an fachliche Vorbildung und Vertrautheit mit der deutschen Sprache stellen und einem Ausländer im allgemeinen verschlossen bleiben.

Seine Leistungen auf dem von ihm bevorzugten Gebiete der Literatur und Geschichte des Mahāyāna sind zu bekannt und anerkannt, als dass sie noch einer besonderen Erwähnung bedürften. Von bleibendem Wert ist seine in Asia Maior 1925 erschienene Bearbeitung der chinesischen Quellen über die alt-buddhistischen Sekten, wie auch seine Dissertation über den individualistischen Idealismus der Yogacara-Schule, mit der er einen ersten und höchst erfolgreichen Schritt in das Gebiet der mahāyānistischen Metaphysik unternommen hat. Von nicht geringerer Bedeutung sind seine Text-Veröffentlichungen, vor allem seine Neuausgabe der Saptaçatika-Prajñāpāramitā  [in der Wogihara-Festschrift 1930] und seine Bearbeitung der Vasudharadharani [in dem Journal of the Taisho-University vol. II], die ihn schon während seinem Heidelberger Aufenthalt beschäftigte. Eine reichere Ernte stand bevor, so schrieb er mir noch wenige Tage vor seinem Tode, dass er für das Jahrbuch der Gesellschaft für Buddhismus-Kunde eine Übersetzung der Trimçika des Vasubandhu vorbereite. Im übrigen war er in vollem Maße durch die Vorarbeiten zu dem von Prof. Wogihara in Verbindung mit anderen Gelehrten unternommenen Sanskrit-Chinesischem Wörterbuch in Anspruch genommen.

Diese Pläne und Hoffnungen sind frühzeitig zu Grabe getragen worden. Es erfüllt uns alle, die ihm näher treten durften, die herbe Trauer um einen schweren Verlust, der nur dadurch gemildert wird, dass die Lebensarbeit des Dahingegangenen trotz ihrer starken Beschränkung auf einige Glanzleistungen genügt, um ihn unter die großen Vertreter der buddhistischen Wissenschaft zu stellen. Sein Name wird hier einen dauernden Ehrenplatz einnehmen.“

Während seiner Studentenzeit in Heidelberg hielt Jirjo Masuda einen Vortrag über den die Yogacāra-Philosophie, sein Doktorthema, der in PL, Quellen zur Biographie Max Wallesers fand und den ich hier abdrucken möchte. Die obigen biographischen Angaben finden sich in meinem Buch „Der Heidelberger Indologe und Buddhologe Max Walleser und das Problem seines Ich“, CrossAsiaRpository, Heidelberg, Berlin 2017 (DOI: 10.11588/xarep.00004032 .)

 

STUFENFOLGE der ENTWICKLUNG des Systems der YOGACĀRA—PHILOSOPHIE
oder Individualistischer Idealismus

Einleitung

Zweitausendfünfhundert Jahre sind vergangen, seit der Buddhismus in Indien, in einem Reiche der Śākya-Stämme, entstand. Gautama, der Buddha, war sein Begründer. Solange er lebte, blieb seine Lehre auf einige Feudalkönigreiche des östlichen Gangestales beschränkt: die Reiche von Magadha, Vaiśali, Kosala und der Śākya, welches Gebiet an Umfang etwa dem heutigen Preussen entspricht. Erst mit dem Erstarken des Reiches von Magadha, das unter der Regierung Aśokas, des „buddhistischen Königs“, (3. Jahrh.v. Chr. ) seine Herrschaft fast über ganz Indien ausdehnte„ verbreiterte sich der Buddhismus über das ganze neugegründete Reich. Seine Spuren finden sich noch heute in den Felsen- und Säulenedikten des Aśoka. Gleichzeitig hört der Buddhismus auf, sich allein auf das indische Reich zu beschränkten; er wird Weltreligion. Nach zuverlässigen Quellen wurden damals buddhistische Missionare nach allen Richtungen, weit über die Grenzen des Aśoka- Reiches ausgesandt. Der Buddhismus fand (etwa 242 v. Chr.) seinen Weg nach Lanka, dem heutigen Ceylon, und nach den Grenzländern – Gandhāra, Kaschmir usw. – im Nordwesten Indiens, und von hier wiederum in deren Nachbarländer. Wir haben Gründe, anzunehmen, dass das griechisch-baktrische und das tartarische Reich bereits im ersten Jahrhundert v. Chr. viele Anhänger des Buddhismus unter ihren Untertanen zählten. Von diesen Ländern aus breiteten sich die buddhistische Mission und die heiligen Schriften endlich nach China aus und begründeten die frühe Periode des chinesischen Buddhismus. Die Sicherung der zentralasiatischen Handelsstrassen in Turkestan im 2. Jhd. v. Chr.  erleichterte  den Verkehr zwischen den Völkern Chinas, der westlichen Länder und Indiens.

Auf diesen Strasssen zogen die Scharen der indischen Missionare nach China, um die Lehre des Buddhismus hinauszutragen und chinesische Pilger zogen, die sandige Wüste durchwandernd und steile Berge ersteigend, nach Indien, um die heiligen Schriften an den Orten ihres Ursprungs zu finden. Auch die Eröffnung des Seeweges im vierten Jahrhundert wurde von den Buddhisten Chinas sowohl wie Indiens diesem frommen Zwecke dienstbar gemacht. Durch sie wurde auch China ihre eigene grosse Literatur vermittelt und erstmalig in die chinesische Sprache übersetzt. So wurde durch die mühevolle, fromme Arbeit vieler Gläubiger eine Religion, die ein Śākya-Fürst in der Einsamkeit des Nairanjanstales empfangen hatte, zur Quelle des Trostes für alle Völker des Osten.

Hochstehende Kulturen oder Zivilisationen bleiben selten auf die Gebiete ihres Ursprunges beschränkt, der geringste Anstoss genügt, sie auf weniger kultivierte oder zivilisierte Gebiete übergreifen zu lassen: wieviel mehr aber erst trägt eine neubegründete oder erst kürzlich ausgebreitete Religion diesen Trieb zur Expansion in sich: denn ihr ist der Drang nach Werbung neuer Gläubiger schon in ihren Ursprung eingelegt. Nachdem der Buddhismus in China festen Fuss gefasst hatte, fand er allmählich auch seinen Weg nach Korea (a. d.  372), Japan (a. d. 552), und Tibet (a. d. 632) einerseits, nach Siam (a .d. 639), Burma, Java, Sumatra und, den Südseeinseln (im vierten Jahrhundert) andererseits, indem er entweder direkt von Indien oder von den dem Buddhismus neugewonnenen Ländern sich ausbreitete. So drang seine Lehre nach und nach über ganz Asien, von den sonnigen Bergen Ceylons bis hin zu dem dunkeln Himmel der Mongolei, vom mächtigen Hochland von Pamir bis zum Inselreich Japan.

Eine der charakteristischsten Eigenschaften des Buddhismus ist seine fast wunderbar zu nennende Anpassungsfähigkeit. Nachdem er von den verschiedenen Ländern recipiert worden war, hat er dort jene bedeutenden Wandlungen durchgemacht, wie sie die Kultur, der Grad der Zivilisation, und die Geistesrichtung der Einwohner eines jeden Landes, sowie die geographischen und klimatischen Verhältnisse bedingten, so, dass er sich schliesslich völlig anpasste und zur Nationalreligion eines jeden dieser Völker werden könnte. Besonders deutlich zeigten sich diese Wandlungen in China und Japan, deren geistig hochentwickelte Völker ausgeprägte Kulturen von beträchtlichem Alter besassen.

Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass auch der Buddhismus in seinem Ursprungslande selbst, in Indien, grossen Wandlungen unterworfen war. Die Gesetze der Geschichtsphilosophie finden sich bereits in der Entwicklung de Buddhismus in Indien selbst bestätigt. Die unverkennbaren Zeugnisse in der buddhistischen Literatur selbst sowie verschiedene chinesische Reiseberichte über Indien geben ein        deutliches Bild von dem Vorhandensein verschiedener buddhistischer Schulen, deren Ansichten in den verschiedenen Perioden weit auseinandergingen. So ist es natürlich, dass wir verschiedene Erscheinungsformen des Buddhismus überhaupt und ausserdem lokale Formen in jedem einzelnen Lande vorfinden, und wir brauchen nicht über den grossen Reichtum der buddhistischen Literatur zu erstaunen, die in verschiedenen Sprachen neben dem ursprünglichen Pāli und Sanskrit  abgefasst ist. Die Sprachen, welche die ausgedehnteste Literatur besitzen, sind gegenwärtig das Chinesische und das Tibetische. China besass bereits im Jahre 917, als die Tripitaka, eine Sammlung buddhistischer Werke, zum ersten Male von den Holzstöcken gedruckt wurde, mehr als 5000 Faszikeln der kanonisierten buddhistischen Schriften. Diese Schriften beziffern sich heute auf mehr als 1916 Werke in 8534 Faszikeln. Angesichts der Mannigfaltigkeit der Formen und dem Ausmass der Literatur sind Untersuchungen über den Buddhismus und systematische Erörteungen über ihn durchaus kein leichtes Unternehmen. Der Buddhismus, den Europa im allgemeinen kennt, ist hauptsächlich der in Ceylon durch die    Pali- Literatur überlieferte, d. h. die frühe Phase des Buddhismus. Wir dürfen nicht vergessen, dass der in Indien nach seinem Übergreifen auf Ceylon entwickelte Buddhismus sowie auch der in China und Japan entwickelte Buddhismus noch nicht eigentlich wissenschaftlich untersucht worden und dem Westen noch nicht in angemessener Form dargestellt worden sind. Die Abhandlung welche ich hier  verlesen werde, ist mein bescheidener Versuch, eine Phase des entwickelten Buddhismus vom philosophischen Standpunkte aus unter Benutzung der verschiedenen Quellen zur Darstellung zu bringen.

I.Kapitel

Die philosophischen Grundlagen des ursprünglichen Buddhismus:

Gleich einigen anderen philosophischen Systemen seiner Zeit geht der ursprüngliche Buddhismus von der Ansieht aus, dass das Leben von Leiden erfüllt ist. Nichts in dieser Welt ist beständig, weil alles der Veränderung und der Zerstörung[1] unterworfen ist. Es gibt keine ewige Seligkeit für lebende Wesen, weil sie nach dem Gesetz der Kausalität mit Notwendigkeit entstehen und wieder vergehen müssen. Das Leben befinde sich in beständigem Fliessen, von Scherz und Kummer erfüllt wendet es sich von einem Zustand zum anderen hin, Täuschung ist es von einem lebenden Wesen, an das Entstehen der Ewigkeit, an Glückseligkeit, die Unvergänglichkeit der Seele und an Reinheit in dieser Welt zu glauben.[2] – – Solcherart war das Werturteil beschaffen, das der Begründer des Buddhismus für diese Welt, wie sie wirklich bestand, hatte, und diese Einstellung legte den Grund zu seiner gesamten Lebensphilosophie.

Nun folgt aus ihr mit Notwendigkeit die Frage Wie kommt dieses Leben voller Leiden zur Entstehung? Wie kann es uns gelingen, uns von diesem Leiden frei zu machen? Gibt es einen Weg zu der ewigen Seligkeit oder zum Nirvāṇa? Diese schwere Frage war es, die Gautama, den Erbprinzen eines Feudalreiches, zwang, auf alle weltlichen Güter Verzicht zu leisten, und ein dürftiger Asket zu werden, der nach dem ewigen Heile suchte. Dieses Rätsel des Lebens brachte ihn dazu, sich die damals üblichen schweren  Bussübungen aufzuerlegen, unter Leitung einiger brahmanischer Lehrer, um Rettung aus dem Elend dieser Welt zu gewinnen. Vergebens aber war es,  dass er sechs Jahre als Büsser in der Einsamkeit des Urwald zubrachte, nur in einzige Mahlzeit am Tage geniessend, geplagt von den Unbilden der Natur, von der Hitze versengt, vom strömenden Regen gepeitscht. Dem Tod durch physische Erschöpfung nahe erkannte er, dass Selbstkasteiung nicht der Weg sei, sich vom Leiden zu befreien. Gautama, der dies erkannt hatte, badete im Nairanjana und nahm wieder gewöhnliche Nahrung zu sich. Dann begann er mit Leidenschaft ein Leben der Kontemplation unter einem Baume bei dem heutigen. Buddhagaya. Dort sass er sieben Wochen lang im Kampfe mit allen Arten geistiger Anfechtungen. Es war in der Morgendämmerung eines Vaiśākha (April-Mai)-Tages, als der Wind begann, die Blätter der Bäume leicht zu rühren, dass er endlich triumphierte, die Wahrheit fand und zum Buddha, dem Erleuchteten, wurde.

Die entscheidenden Wahrheiten, welche Buddha in Gaya fand, scheinen (1) die vier edlen Wahrheiten, (catvary ārya-satyāni),  2. die Theorie der abhängigen Entstehung, (wörtlich: das Gesetz der zwölf Glieder der abhängigen Entstehung – Dvādaśângaḥ pratītya sam utpādaḥ) und (3) der achtfache edle Pfad (Āryâṣṭângamārgḥa) zu sein. Die erste dieser Gruppen besteht aus vier Wahrheiten: (1) Leiden, (2) Ursache des Leidens,  (3) ihre Zerstörung, (4) die Wege der Befreiung. Natürlich sind die beiden letzten dieser wesentlichen Wahrheiten in der ersten mitenthalten. Diejenige dieser Wahrheiten, welche von philosophischer Bedeutung sind, ist die zweite, d.h. die Theorie der abhängigen Entstehung, welche den zentralen Gedanken der Lebensphilosophie Buddhas ausmacht. Im Folgenden befassen wir uns daher nur mit dieser Theorie.

Der Gang der Entdeckung alter Wahrheit ist nicht ohne Interesse. Buddha ging aus von der Frage nach der unmittelbaren Bedingung von Zerfall und Tod (1. jarāmarana) alles Seienden. Dies waren für ihn die nicht zu bezweifelnde Grundtatsachen, allerdings nicht in erkenntnistheoretischer Weise, wie Descartes das cogito ergo sum als unbezweifelbare Tatsache zum Ausgangspunkt seiner erkenntnistheoretischen Untersuchung machte. Von dieser Tatsache ausgehende fand Buddha, dass Zerfall und Tod durch die Geburt (2. jāti) bedingt sind. Wodurch wird aber aber die Geburt bedingt? Sie ist, so meinte Buddha, die Folge einer Anhäufung von Handlungen, (karma) deren Kraft ein Wesen in einen anderen Existenzzustand  (3. bhāva) zu versetzen vermag.[3] Was geht nun aber diesem voraus? So fragte er ein viertes Mal und fand die Antwort, dass es verursacht sei durch das Verfolgen oder (oder Nachlaufen) (4. upadāna) von Begehrungen (materiellen und sexuellen). Diesen Begehrungen (5. ṭṛṣnā), fand er, liegt „Fühlen“ (6. vedanā) zu Grunde, und dem Fühlen wiederum „Berührung“ (7. sparśa). Bei diesem Faktum der Berührung blieb Buddha jedoch in seiner Untersuchung nicht stehen, sondern fuhr fort, teils auf physio-psychologischem, teils auf metaphysischem Wege nach der letzten Ursache zu forschen. Was geht der Berührung voraus? Berührung entsteht aus dem Zusammentreffen von Sinnesorgan, Objekt und Bewusstsein. Daher muss die Ursache der Berührung in den sechs Sinnesorganen (8. ṣaḍāyatana ) erblickt werden. Nach dem  Kommentar des Abhidharmakośaśāstra wird dieser Zustand der letzte Embryonalzustand im Mutterschosse genannt. Welcher Zustand geht aber diesem voraus? Man nennt ihn mit technischer Bezeichnung „Name-Gestalt“, (9. nāmarūpa) und bezeichnet damit einen zusammengesetzten Organismus in den vier dem letzten. vorhergehenden Zuständen. Die Bedingung dieses zusammengesetzten Organismus wurde von Buddha „Bewusstsein“ (10. vijñāna) genannt. Es ist aber eine Frage, ob dieses Bewusstsein in der üblichen Bedeutung gemeint sei. Nach der oben genannten Autorität bedeutet es vielmehr die fünf Elemente (pañca skahdha) in dem Augenblick, wo sie sich im Mutterschoss vereinigen.

Gibt es nun noch eine vorhergehende Bedingung für dieses Bewusstsein? In dem frühesten Kanon der buddhistischen Literatur[4] endet die rückwärtige Untersuchung hier. Es heisst dort: „Weiter als bis hierhin geht es nicht“. Aber andere Autoritäten nennen als Bedingung des Bewusstseins die Taten (11. saṃskāra), d.h. die übertragende Kraft, und als Bedingung der Taten das Nicht-Wissen (12. svidyā). Dieses sind die Bezeichnungen für die 12 Kausalgrundlagen eines Lebewesens in der Reihenfolge ihrer Entdeckung.

Um die Theorie der abhängigen Entstehung, nochmals in der Reihenfolge der Verursachung zu rekapitulieren, so ist demnach das „Nicht-Wissen“ die 1etzte Ursache. Dieses Nichtwissen lässt die „Taten“ zur Entstehung kommen. Die Taten haben nach indoarischer Anschauung die Kraft, die Seele von einem Existenzzustand zu erlösen und in einen anderen überzuführen. Dieses Glaube entstand gleichzeitig mit dem Seelenwanderungsglauben, der etwa im 3. oder 9. Jahrhundert v. Chr. auftauchte. Buddha, der doch ein Inder war, hat die Wirksamkeit der Taten postuliert. Durch diese Taten entstehen die „Geburten“. Wie später deutlich hervorgehen wird, verneinte Buddha, im Gegensatz zu den Philosophen seiner Zeit, die Existenz der Seele. Daher bedeutet Geburt bei ihm die Vereinigung der physischen und psychischen Elemente im Mutterschoss. Den augenblicklichen Zustand der Vereinigung dieser grundlegenden Elemente nennt Buddha „Bewusstsein“. Dieses Bewusstsein entwickelt sich zu einem zusammengesetzten „Organismus“, aus welchem allmählich das Nervensystem hervorgeht. Dieses Nervensystem  entsteht nach Vollendung der vier Embryonalzustände  und wird „Sechssinnesorgan“  genannt. Durch das Zusammentreffen von Bewusstsein, Sinnesorgan und Sinnesobjekt entsteht die „Sinneswahrnehmung“. Wir wissen, dass die Sinneswahrnehmung begleitet ist von der Reflexion und der Unterscheidung. Diese Unterscheidung ruft das „Fühlen“ hervor. Aus dem Fühlen entsteht Abstosssung und Anziehung, die ihrerseits die „Begehrungen“ hervorrufen. Diese Wollungen sind Ursache          unseres Verhaltens oder unserer Handlungen. Wie oben bereits gesagt wurde, wird den Handlungen die Kraft zugesprochen, eine Seele oder Elemente in einen anderen Zustand überzuführen. So entsteht eine neue „Geburt“, der „Zerfall und Tod“ folgen. Dieses scheint, nach den späteren philosophischen Werken, der sogen. Abhidharma, der von Buddha eingeschlagene Weg des Denkens gewesen zu sein.

Man nimmt allgemein an, dass Schopenhauer stark durch            indische Gedanken beeinflusst worden sei.  Woher stammt sein Grundprinzip, der „Wille“? Diese Frage erscheint sehr ungeklärt. Es ist jedoch durchaus möglich, dass Schopenhauer in diesem Punkte überhaupt nicht von Indien beeinflusst ist. Wenn wir jedoch den analogen Begriff im Buddhismus aufsuchen wollen, so muss das „Nicht-Wissen“ der dem Willen entsprechende Begriff sein. Ich möchte damit selbstverständlich nicht behaupten, dass „Nicht-Wissen“ innerhalb der Kausaltheorie „Wille“  bedeute. Eher könnte man es als „blinde Vernunft“ bezeichnen. Aber diese beiden Begriffe haben eines gemeinsam, nämlich dass sie beide als Grundprinzipien für die Ableitung der Welt oder des  Lebens gesetzt werden können. Buddha erblickte den Ursprung der Wesen in einer blinden Vernunft, und Schopenhauer fand die letzte Realität in dem blinden Willen.

Was ist nun diese blinde Vernunft, oder, um den technischen Ausdruck zu gebrauchen, dieses Nicht-Wissen? Dieses Wort scheint durch Buddha nicht eindeutig definiert worden zu sein, und hat nach seinem Tode zu verschiedenen Meinungsstreitigkeiten unter den späteren buddhistischen Denkern geführt. Einige buddhistische Denker erblickten darin eine allgemeine Bezeichnung für alle menschlichen Leidenschaften (kleśa), während andere es für eine besondere Leidenschaft hielten. Selbst unter den letzteren waren die Meinungen noch geteilt: die Sautrânkikas interpretierten das Nicht-Wissen  als unreine (wörtlich: befleckte) Vernunft und behaupteten, dass es keine eigene Substanz besitze. Dagegen behauptet Yasubandhu, der Verfasser der Abhidharmakośaśāstra, dass es eine eigene Substanz hab, weil es in den Sūtras in verschiedenen Einteilungen de Leidenschaften als eine von diesen aufgeführt werde. Das Nicht-Wissen besteht, nach ihm, darin, „die (vierfache) Wahrheit (satyta), die (drei) Edelsteine triratna) sowie (die Theorien) des Karma und der Verursachung       nicht zu verstehen“.  Ausser diesen genannten gab es noch einen anderen Interpreten, Dharmatrāta, welcher das Nicht-Wissen als „eine Art Selbstsucht“ (ātmamāna) bezeichnete. Betrachtet man alle diese Auslegungen, so scheint es, dass Nicht-Wissen oder blinde Vernunft nichts anderes bedeute, als blinde menschliche Leidenschaft.

Unsere Untersuchung muss sich daher der Frage nach dem Ursprung der menschlichen Leidenschaften zuwenden. Die üblichen Lesarten der buddhistischen Literatur schreiben ihren Ursprung der „Zuneigung zum Selbst“ zu. „Durch die Kraft der Zuneigung zum Selbst entstehen alle Leidenschaften“,  heisst es im  Abhidharmakośaśāstra (Varga 2), „und durch sie wandert der Mensch in den drei Welten (wörtlich: Existenzzustände – bhāva)  und kann keine Befreiung erlangen“.

Nun erhebt sich die Frage, was denn dieses Selbst sei. Ist es das psychologische Subjekt? Oder bedeutet es das ontologische Ich oder die Seele? Wenn letzteres der Fall ist, kann eine solche Wesenheit überhaupt in dieser Welt existieren? Bevor wir die Seelentheorie Buddhas auseinandersetzen, erscheint es notwendig, den zu seiner Zeit herrschenden Seelenglauben kurz zu beleuchten.

Die Indo-Arier scheinen bereits zur Zeit ihres Einfalls in Indien eine Unterscheidung zwischen Leib und Seele gekannt zu haben, wofür Zeugnisse im Ahnenkult zu finden sind. Als die Karma-Theorie, die Theorie der moralischen Vergeltung, sich bildete (etwa im 8. od. 9. Jh. v. Chr.) entstand zugleich auch der Glaube von der Wanderung der Seele von einem       Zustand zum anderen. Jedoch rief diese endlose: Wanderung, im Laufe der Zeit, Unzufriedenheit hervor, und den heissen Wunsch, sich von ihr zu befreien. Gibt     einen Weg zur Befreiung? Während einige Denker über diese Frage grübelten, dachte eine Schar anderer in Nordindien über das Ātman-Brahman-Problem nach. Sie gelangten zu der Ueberzeugung, dass der Brahman oder Ātman, oder auch der Brahma-Ātman, eine geistige Wesenheit höchster Ordnung darstelle, frei, vernünftig und glückselig, welche immanent allen sichtbaren und unsichtbaren Dingen innewohne. – Diese Ātman-Brahman-Theorie, der früheste Kern der Vedânta-Philosophie, wurde im Laufe der Zeit mit der einem Individuum innewohnenden Seele identifiziert. Einige Lehrer vertraten sogar den Glauben, dass, wer die Identität seiner eigenen  Seele  mit dem Ātman erkenne, von den Ketten der Seelenwanderung befreit werd   en würde. Diese Theorie von der Identität der göttlichen und der menschlichen Seele ist die eigentliche Grundlage der Vedânta-Philosophie und kommt in den frühen Upanischaden zum Ausdruck, Die  Sānkhya- und Vaiśesâka- Systeme, die sich im übrigen weitgehend vom Vedânta-System unterscheiden, geben ebenfalls die Existenz der Seele zu. So war also der Glaube an die Existenz der Seele zu Buddhas Zeiten allgemein herrschend.

Wir kehren nun zu der buddhistischen Seelentheorie zurück. Die einstimmige Meinung der Autoritäten geht dahin, dass zum mindesten einer der Lehrer Buddhas ein Anhänger der Saṃkhya-Philosophie gewesen sei. Selbstverständlich lernte Buddha die Existenz des unmittelbaren, ewigen, glückseligen Ātma. Jedoch seine philosophische Einsicht führte ihn zu einer völlig entgegengesetzten Theorie, nach welcher alle Dinge vergänglich, Veränderung und dem Zerfall unterworfen sind. Daher muss auch der Ātma, wenn er überhaupt existiert, diesem Gesetz unterworfen sein. Ferner: alle Dinge entstehen durch die Vereinigung der fünf physischen und psychischen Elemente. Betrachten wir ein Wesen.  Besteht es aus irgend einem Element, das nicht eines oder das andere der fünf Elemente wäre? Wie ein Rad nicht anderes ist, als die Vereinigung von Speichen und Rahmen, so ist es auch mit einem Lebewesen. Es hat keinen Teil, der nach der Auflösung der fünf Elemente weiterbestehen könnte. Ein Leben ist nur ein Name oder ein Schild, der den aufeinanderfolgenden Vereinigungen der fünf Elemente gegeben wurde. Es ist Täuschung, wenn ein Lebewesen an die Existenz der unwandelbaren, ewigen und glückseligen Ich-Wesenheit glaubt. Und es ist der Gipfel der Torheit, sich einer Seele zuzuneigen, die doch überhaupt nicht existiert. Wenn die Menschen ihren Glauben auf die Existenz einer Seele setzen, so verlieren sie sich in Leidenschaften, die aus dem Selbtbewusstsein entstehen. Wenn ein Mensch die Nicht-Existenz (ātmanairātma) erkennt, so ist er frei von den Ketten und damit von der Seelenwanderung. Mit anderen Worten: Befreiung erwächst aus der richtigen Erkenntnis oder der Erleuchtung,die Seelenwanderung hingegen aus der blinden Vernunft. So ergibt sieh uns also ein interessanter Gegensatz: Während das Vedânta-System die Erlösung in dem Aufgehen des kleinen Ich (Mikrokosmos) im Grossen Ich (Makrokosmos) fand, negiert der frühe Buddhismus sowohl das eine wie das andere. Wir haben also gesehen, dass die Lebensphilosophie Buddhas auf zwei Prinzipien aufgebaut ist: (1) dem der Vergänglichkeit aller Dinge (sarvem anityam) und (2) dem der Nicht-Existenz der Seele (ātmanairātmya).

II.Kapitel

Die Weiterbildung, der buddhistischen Ideen durch die Philosophie Nāgârjunas.

Alle philosophischen und religiösen Gedankensysteme haben die Tendenz, nicht stationär zu bleiben, sondern sich weiter zu entwickeln.  Diese Neigung ist besonders stark, wenn, wie dies bei Buddha der Fall war, ihr Begründer eine überragende Persönlichkeit von starker Wirkung war.

Was die sogenannten ketzerischen Meinungen anbetrifft, so zeigen die vorhandenen Autoritäten, dass etwa 100 Jahre nach Buddhas Tode sich in dem vereinigten Saṃgha, der buddhistischen Gemeinde, ein Schisma herausbildete, und dass in den ersten drei Jahrhunderten nach seinem Tode nicht weniger als 18 verschiedene Schulen bestanden haben. Es ist natürlich, dass diese ketzerischen Meinungen den Gegenstand der Klagen und des Abscheus für die orthodoxen Gelehrten bildeten, welche ich gezwungen sahen, Abhandlungen zu ihrer  Widerlegung zu verfassen. Betrachten wir sie jedoch unter dem Gesichtspunkte der Geschichtsphilosophie, so erweisen sich die Ansichten der Ketzer häufig lediglich als Versuche, in freier Weise in den wahren Geist der ursprünglichen Lehre einzudringen, ganz gleich, welche die Schlüsse sein mögen, welche sich ergeben. Eine Betrachtung der in den Abhandlungen über die schismatischen System behandelten Gedankengänge zeigt bedeutsame Weiterentwicklungen der ursprünglichen buddhistischen Ideen nach verschiedenen Richtungen. Gleichzeitig darf jedoch nicht übersehen werden, dass allmählich die buddhistische Philosophie scholastisch erstarrte und die wahre Lehre Buddhas aus den Augen verlor. Piṃgala, der Kommentator von Nāgârjunas Kārikā, hat dieser Tatsache im 1. Kapitel seiner „Mittleren Lehre“ klaren Ausdruck gegeben:

„Nach Buddhas Nīrvāna, nach fünfhundert Jahren im nur nachgeahmten dharma, (nachdem) der Menschen Sinn stumpf geworden (ist), tief haftend an den dharmas, suchen siee der zwölf Bedingungen (nidāna), fünf Gruppen (skandha), zwölf Gebiete āyatana), achtzehn Elemente (dhātu), usw. bestimmte Merkmale, erkennen nicht Buddhas Sinn und. haften nur an Wort und Schriftzeichen.“[5]

Zu dieser scholastischen Tendenz trat noch eine realistische Betrachtungsweise der Dinge (dharma) hinzu.. Derartige, für Perioden der der Aufklärung typische Erscheinungen, scheinen geradezu nach einem       grossen Denker zu rufen. Dieser grosse Denker kam in der Person von Nāgârjuna, dessen Lebenszeit etwa in das 2. Jahrhundert n. Chr. fallen dürfte. Er war es, der den Grund legte, auf welchem sich später das erhabene Gebäude der sogenannten Mahāyāna-Philosophie erheben sollte. Seine Philosophie ist eine bedeutsame Weiterbildung der Philosophie Buddhas. Viele im ursprünglichen Buddhismus unklar gebliebene  Fragen hat er in helles Licht gerückt. Die folgenden Darlegungen beschränken sich lediglich auf einige Seiten dieser Weiterentwicklung, nämlich auf das System der Madhyamaka-Philosophie, den ideengeschichtlichen Vorläufer des buddhistischen Idealismus, welcher den eigentlichen Gegenstand dieser Abhandlung bildet.

Nāgârjuna geht aus von der Frage nach dem Wesen des Gegenstands (dharma), welcher den Gegenpol zu dem Selbst (ātma) bildet, mit welchem sich die Philosophie Buddhas hauptsächlich beschäftigte. Was ist der Gegenstand? Er ist dasjenige, was die Vorstellung vor sich stellen kann. Die buddhistische Literatur teilt den Gegenstand gewöhnlich in zwei Gruppen, nämlich Objekte des Bewusstseins (nāma) und Objekte der Sinne (rūpa). Doch in Nāgârjunas Philosophie scheinen drei Gruppen unterschieden zu werden: (1) Dinge der äusseren Welt, (2) körperliche Individuen (wörtlich: Lebewesen)[6],. (3) Gedanken. Da Nāgârjuna die Lebensphilosophie Buddhas in der Frage der Lebewesen anscheinend übernommen hat[7], so können wir seine Ansicht über diese zweite Gruppe von dharmas übergehen und kommen als Ausgangspunkt zu seiner Meinung in betreff der ersten Gruppe. d.h. der Dinge der äusseren Welt. Welches ist sein Grundprinzip in dieser Frage? In einem seiner Werke findet sich ein äusserst zutreffende Vers, welcher Nāgârjunas grundlegender Auffassung über das Wesen der dharmas im allgemeinen Ausdruck verleiht:

„Die Dinge, welche aus mehreren Ursachen hervorgingen.

Diese besitzen keine Realität.

Wenn (sie) keine Realität besitzen.

Wie können da dharmas sein?[8]

Zur Erläuterung dieses Verses sucht Nāgârjuna die Wesenlosigkeit der Dinge an der Hand verschiedener Gleichnisse zu beweisen. Eines dieser Gleichnisse ist das eines Topfes. Die Frage ist: Besitzt ein Topf Wesenssubstanz? Ein Topf kommt zur Existenz durch die Co-Existenz (sāmagrī) eines Stückes Topferde, der Töpferscheibe (eig. Dreh-Tau) und des Töpfers. Ausserhalb dieses Stücks Erde, der Töpferscheibe und des Töpfers gibt es keine Realität des Topfes. Dies ist der Fall mit allen Dingen der äusseren Welt. Sie sind nichts anderes als die Co-Existenz verschiedener Bedingungen. Mit anderen Worten: ihre Existenz ist nur relativ infolge der Co-Existenz verschiedener Ursachen, welche voneinander abhängig sind. Es muss hier bemerkt werden, dass in der Nāgârjuna-Philosophie die Co-Existenz mehrerer Ursachen als Synonym für die „abhängige Entstehung“ (pratītya samutpāda) des ursprünglichen Buddhismus. Dort waren die abhängigen Ursachen die zeitliche Beziehung zwischen dem Vorhergehenden und dem Nachfolgenden, dagegen drückt diese Theorie in der Nāgârjuna-Philosophie eine räumliche und nicht eine zeitliche Beziehung aus. Wir finden also bei Nāgârjuna eine doppelte Anwendung des Terminus der „abhängigen Entstehung“: erstens als zeitliche Beziehung und zweitens als räumliche Beziehung.

Buddha bewies die Wesenlosigkeit der Ich-Wesenheit (ātma-nairātmya). Nāgârjuna erweist deutlich die Wesenlosigkeit der objektiven Dinge (dharmanairātmya). Ohne Zweifel bestanden Ansätze zu dieser Auffassung schon bei Buddha selbst, welcher häufig aussprach, dass alle Dinge leer seien. Dieser Gedanke findet sich auch bei den Denkern vor Nāgârjuna; aber Nāgârjuna war der erste, welcher diese Seite der Ideen Buddhas mit Nachdruck hervorhob. Doch erschöpft sich seine Weiterbildung           der buddhistischen Philosophie nicht hiermit, sein wichtigster Beitrag zu ihr ist vielmehr seine Entdeckung des relativen Wertes unserer Gedanken, der dritten Gruppe der dharmas. Nāgârjuna wusste, dass die äusseren Dinge in relativer Abhängigkeit voneinander existieren und dass sie keine unabhängige und absolute Wesenheit besitzen. Unsere Erfahrungen stammen aus dieser Welt der äusseren Dinge, in welcher es keine absolute Wesenheit gibt. Daher haben auch unsere Erfahrungen keine absolute Geltung.            Sie entstehen aus der Beziehung von Subjekt und Objekt. Wie könnten sie daher abs1uten Wert besitzen? Von diesem Standpunkt ausgehend bezeichnete Nāgârjuna  alle philosophischen Systeme seiner Zeit als „Spitzfindigkeiten“ (prapañca) und begann seinen Feldzug der Widerlegung falscher Ansichten. Diese seine Stellungnahme kommt am besten zum Ausdruck in seinem bekannten Verse:

„Ohne Entstehung, auch ohne Vergehen, nicht ewig, auch nicht abgeschnitten,

Nicht eines, auch nicht verschieden, ohne Kommen, auch ohne Gehen; –

Wer so das abhängige Entstehen (pratītya samutpāda) lehren kann, das stille Erlöschen der Entfaltung (prapañca),

Vor ihm, dem Erleuchteten, beuge ich das Haupt, dem Besten der Lehrenden.[9]

In dieser Weise widerlegte er alle damals herrschenden Meinungen, nicht nur buddhistische, sondern sogar brahmanische, und bewies ihre Unhaltbarkeit. Dies war mit ein Grund, weshalb sein Systen als Negativismus oder Nihilismus (śūnyavāda) bezeichnet wurde. Buddha lehrte die Wesenlosigkeit der Ich-Wesenheit, und schärfte seinen Anhängern ein, sich frei von Neigung zu dem Pseudo-Ich zu halten.  Nāgârjuna seinerseits zeigte uns die Wesenlosigkeit des dharma und lehrte, sich von Neigung zum Pseudo-dharma frei zu halten. Solange wir durch Neigung zum Pseudo-Ich und zum Pseudo-dharma gebunden sind, können wir keine Befreiung erlangen. Das Nirvāṇa kann allein durch die Aufgabe dieser Neigungen erreicht werden.

III.Kapitel

Hauptprobleme der Yogacāra-Philosophie, oder individueller Idealismus.

Eines der philosophischen Systeme, welche die von  Nāgârjuna behandelten Probleme wieder aufnahm, war das System der  Yogacāra-Philosophie, welche von Asaṇga und Vasubandhu, die im 5. Jahrhundert n. Chr. auftraten, begründet wurde. Sie waren Brüder, beide geboren im heutigen Peschawar, an der Nordwestgrenze Indiens. Asaṇga wurde schon frühzeitig durch die Philosophie  Nāgârjunas beeinflusst, bis er in späteren Jahren sein eigenes philosophisches System, das des Idealismus, herausarbeitete. Vaubandhu war in seiner Jagend ein eifriger Anhänger einer realistischen Schule des Hīnayāna-Buddhismus, nämlich des Sarvâstivāda, bekehrte sich aber in späteren Jahren zu der von seinem älterem Bruder begründeten idealistischen Philosophie. Beide sind Verfasser mehrerer Werke. Dasjenige von Vasubandhus Werken, welches den weitreichendsten Einf1uss ausübte, waren die Kārikās oder Verse, die allein in Indien nicht weniger als 10 Kommentare fanden. Diese Sanskrit-Kommentare sind sämtlich spurlos verschwunden, aber glücklicherweise hat sich im Chinesischen ein synthetischer Kommentar aller Originale erhalten, während sich im Tibetischen einige von ihnen erhalten haben. Meine Untersuchungen in der  Yogacāra-Philosophie beruhen in der Hauptsache auf ersterem. welchen ich z. Zt. in eine europäische Sprache übersetze.

Ausgehend von der Frage nach dem Wesen des Gegenstands (dharma) gelangte  Nāgârjuna zu dem Resultat seiner Wesenlosigkeit (dharmanairātmya) und negierte alle Dinge. Diese Negierung legt die Vermutung nahe, dass ihre extrem-logische Weiterführung ihn zur Negierung des denkenden Bewusstseins selbst hätte bringen müssen. Tatsächlich finden wir in einem seiner Werke diese Negierung auch ausgesprochen. Es heisst dort:

„Weil es keine Objekte gibt, gibt es auch kein Bewusstsein“[10] Doch es scheint, als sei Nāgârjuna mit dieser Behauptung zu weit gegangen. Wer ist derjenige, welcher das Bewusstsein negieren könnte? Was ist das, was negiert wird? Descartes zweifelte an allem. Jedoch eine Tatsache konnte er nicht bezweifeln, nämlich die seines Denkens selbst. Dasselbe war der Fall bei Hume. Er zweifelte an der Beständigkeit aller Dinge, aber er konnte nicht umhin, wenigstens den Strom der Wahrnehmung anzuerkennen. Nāgârjuna hielt sich selbst für den wahren Vertreter von Buddhas Mittlerem Pfad, ohne zu bemerken, dass er mit seiner Lehre selbst wieder in ein Extrem verfiel. Die Philosophen, welche versuchten, dieses Extrem der Philosophie Nāgârjunas zu mässigen, waren  Asaṇga und Vasubandhu, die Begründer der Yogacāra-Philosophie.

Die  Yogacāra-Philosophie geht aus von der Frage der Ursache von Subjekt und Objekt. Die realistische Auffassung von Subjekt und Objekt war von Buddha und späterhin von  Nāgârjuna völlig ausgestossen worden. Aber deren Existenz ist eine unerschütterliche Tatsache, wenigstens für den gesunden Menschenverstand. Haben sie selbst reale Existenz oder sind sie Pseudo-Erscheinungen, welche aus einer dritten Ursache herrühren? Die Yogarārins waren der Ansicht, dass sie die Anschauungsformen des Bewusstseins seien, oder vielmehr der Strom des Bewusstseins. Ausserhalb dieses Stroms des Bewusstseins existiert nichts. Subjekt und Objekt entstehen aus dem Bewusstsein, oder um den technischen Ausdruck zu gebrauchen, sie sind die Dinge, welche von dem Bewusstsein umgestaltet werden. Nun erwächst die Frage; was ist dieses Bewusstsein? Bewusstsein ist eine Bezeichnung, welche im Gegensatz zu dem Unbewussten steht. Diese beiden aber bilden die zwei Welten unseres geistigen Lebens oder des konkreten Bewusstseins. Wir können beobachten, dass beim Erwachen unserer Geistestätigkeit Wahrnehmungen, Ideen und mentale Zustände wechselnd kommen und gehen, unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mit unfassbarer Geschwindigkeit wieder verschwinden. Woher kommen sie und wohin verschwinden sie? Wir wissen, dass die Vorstellungen in einem Theater von den Schauspielern und Schauspielerinnen ausgeführt werden, welche hinter den Kulissen hervortreten, und, wenn die Vorstellung beendet ist, wieder dahinter verschwinden. Die Schauspieler und Schauspielerinnen haben ihren Platz der Vorbereitung  hinter dem Vorhang. $o kann man sich auch vorstellen, dass in gleicher Weise auf dem Theater unseres Geistes Wahrnehmungen, Ideen, Zustände etc., welche auf der Bühne unseres Bewusstseins auftreten, ebenfalls eine Art Existenz sozusagen hinter den Kulissen, hinter dem Vorhang unseres Bewusstseins führen müssen. Mit anderen Worten: alle Dinge, welche auf der Schwelle unseres Bewusstseins erscheinen, müssen ihre Spuren (vāsāna) jenseits der Schwelle im Bewusstsein hinterlassen, wenn sie infolge von Umständen in Erscheinung treten. An diesem Punkte kann das Unterbewusstsein, oder das Bewusstsein unterhalb der Schwelle, als die Aufbewahrungsstätte der Spuren der Dinge, welche vor dem Vorhang des Bewusstseins auftreten, angesehen werden. Das ist der Grund, weshalb die Yogacārins diese Seite des Bewusstseins, d. h., das Unterbewusstsein, Ālaya- oder Bewahrungsbewusstsein nannten. Aber das Ālayabewusstsein begreift in Wirklichkeit nicht nur die Strömung des Unterbewusstseins, sondern auch den oberen Strom des Bewusstseins. Wenn ich das Gleichnis des Theaters aufnehmen darf, das im Westen so häufig von Philosophen und Psychologen angewandt zu werden pflegt, so ist das Ālayabewusstsein das ganze Theater des Bewusstseins. Es umfasst beide Seiten, sowohl vor als hinter dem Vorhang.

In der Yogacāra-Philosophie wird dieses Ālayabewusstsein das ursprüngliche Bewusstsein genannt. Weshalb? Einer der Gründe ist der, dass alle unser sogenannten überschwelligen Bewusstseinsarten aus dem  Ālayabewusstsein herrühren. Hier tritt uns wiederum die Frage entgegen: Was sind überschwellige Bewusstseinsarten? Bewusstsein kann, wie in der modernen Psychologie „Gewahrwerden“ (awareness) bedeuten. Aber die Yogacārins gebrauchten dieses Wort in einem anderen Sinne. Sie bezeichneten mit diesem Worte den Geist (citta). Bedeutet nun das  Ālayabewusstsein das Ganze des Geistes, so bedeuten die überschwelligen Bewusstseinsarten besondere Arten von Geist, d. h. diejenigen Arten, welche sich vor dem Vorhang auf dem Theater des Bewusstseins befinden, wo jeden von ihnen ihre besondere Funktion hat. Wieviele dieser Bewusstseinsarten gibt es nun? Die Yogacārins zählen 7 Arten auf, nämlich (1) Augenbewusstsein, (2) Ohrenbewusstsein, (3) Nasenbewusstsein, (4) Zungenbewusstsein, (5) Gefühlsbewusstsein, (6) Geistesbewusstsein und (7) manas. Nach diesen Bezeichnungen zu urteilen werden in der Yogacāraphilosophie darunter die Sinnesorgane, der Verstand, und eine besondere Verstandesart, manas genannt, begriffen. Jedem dieser verschiedenen Bewusstseinsarten soll nun eine bestimmte Art von Objekten entsprechen. Was sind diese Objekte? Sie sind: (1) Farbe, (2) Ton, (3) Geruch, (4) Geschmack, (5) physische Materie, (6) Gedanken oder Ideen und (7) das  Ālayabewusstsein.

Es erscheint hier notwendig, einige Worte über das Wesen und das Objekt derjenigen Bewusstseinsart auszusagen, welche mit manas bezeichnet wird. In der Yogacāraphilosophie ist diese Bewusstseinsart nichts anders, als das Selbstbewusstsein. Eine Untersuchung unseres Bewusstseins führte die Yogacārarins zu dem Ergebnis, dass das Selbstbewusstsein weder aus den Sinnesorganen, noch aus dem Verstande abgeleitet werden könne. Die buddhistische Philosophie gibt nun keine Existenz der Seele zu. Woher stammt daher dieses Selbstbewusstsein? Diese Frage scheint die  Yogacārarins in Verlegenheit gesetzt zu haben und zwang sie, die Existenz einer besonderen Bewusstseinsart zu postulieren, welche sie manas nannten. Was bildet nun das Objekt dieses manas? Es ist das Ālayabewusstsein. Das mana setzt das  Ālayabewusstsein als ontologische Substanz, d. h. Seele. Aus dieser falschen Annahme entsteht das Selbstbewusstsein, und die Neigung zum Selbst, welche von Buddha so streng verurteilt wurde.

Oben wurde bereits gesagt, dass das  Ālayabewusstsein sowohl das Unterbewusstsein als auch die überschwelligen Bewusstseinsarten bedeutet. Was sind die Objekte des Ālayabewusstseins, oberhalb der Schwelle? Nach Vasubandhu sind es innerlich die Bījas (Same) und äusserlich die Dinge der äusseren Welt und die Körper der Lebewesen. Das Ālayabewusstsein ist, vom modernen psychologischen Standpunkte aus gesehen, ein fiktives und hypothetisches Bewusstsein, welches von den idealistischen Yogacāra-Philosophen hauptsächlich zur Erklärung des Unterbewusstseins der modernen Psychologie sowie als die letzte Grundlage der Seelenwanderung hypostasiert wurde. Aus diesem hypothetischen Charakter folgt die Schwierigkeit der Darlegung sowohl der Funktion als auch der Objekte des Ālayabewusstseins, welche Vasubandhu in seinen Kārikās veranlasste, die Objekte des Ālayabewusstseins durch das besondere Attribut „unerkennbare“ zu kennzeichnen.

Subjekt und Objekt sind die beiden Phänomene, welche sich im Bewusstsein vorfinden. Nach der Yogacāraphilosophie entspringt dieser Dualismus aus dem Bewusstsein selbst. Ist dies der Fall, so müssen wir das Bewusstsein in drei Teile einteilen, nämlich Subjekt, Objekt und die Bewusstseinssubstanz. Des ist die Einteilung des Bewusstseins, wie sie von dem bekannten indischen Logiker Dignāga getroffen wird. Wenn man diese Theorie annimmt, so stehen die 8 Bewusstseinsarten auf dem Boden der Bewusstseinssubstanz. Kehren wir nun zu unserem Vergleich mit dem Theater zurück, so entspricht also dem Zuschauer das Subjekt, der Bühne das Objekt. Beide befinden sich im Bereiche des Theaters, d. h. des Ālayabewusstseins. Mit der Staffelung der Zuschauer in verschiedenen Reihen lässt sich die Anordnung der verschiedenen Bewusstseinsarten vergleichen.

Versuchen wir nun, die Theorie der Zweiteilung des Bewusstseins im Lichte von Dignāgas Einteilung zu verstehen. Entstehen die äussere und die innere Welt allmählich aus dem Bewusstsein? Nein. Nach der Yogacāraphilosophie darf der Begriff der Zeit in diese Zweitteilung nicht hineingetragen werden. Um ein Beispiel zu gebrauchen: In dem Augenblick, wo die Substanz des Augenbewusstseins die Schwelle unseres Bewusstseins überschreitet, sind die Welt der Farbe und das Subjekt, welches sie wahrnimmt, vorhanden. In dieser Weise suchen die Yogacārins sämtliche äusseren wie auch inneren Erscheinungen zu erklären.

Nun erhebt sich eine Frage. Welches ist die Ursache für die Diskrepanz zwischen dem Schicksal des einzelnen Lebewesens und dem der Welt, in welcher er lebt? Das Grundprinzip für die Erklärung hiervon ist die Theorie der Bījas. Im Sanskrit bedeutet Bīja Same. In der Yogacāraphilosophie ist er jedoch eine symbolische Bezeichnung für die geistigen Eindrücke oder Spuren (vāsanā), deren drei Arten unterschieden werden: (1) Handelnseindrücke, (2) Gedankeneindrücke, (3) Wahrnehmungseindrücke.Von diesen Eindrücken glaubte die Yogacāraphilosophie, dass sie die dynamische Kraft in sich trügen, sich in dem Substrat des Bewusstseins zu erneuern und in genau derselben Form, in welcher sie empfangen wurden, wenn das Bewusstsein erscheint, wieder zu erscheinen. Das ist der Grund, weshalb die Yogacārins das Bild des Samens auf diese Eindrücke übertrugen. Von diesen drei Arten von  Bījas sind es die sogenannten Handlungsbījas, welche die allgemeine Frucht, d. h., das Ālayabewusstsein, erzeugen, welches seinerseits der Ursprung der unorganischen und der organischen Welt ist.

In Verbindung mit dieser Theorie der Verursachung der Welt entseht unter anderem folgende interessante Frage: Es gibt in dieser Welt viele Lebewesen. Ist ihre Gesamtheit die Ursache der Welt, oder bringt jedes einzelne von ihnen durch seine Handlungen die Welt hervor? Nach der Yogacāraphilosophie besitzt jedes Lebewesen seine eigene, von der der anderen verschiedene Welt. Aber infolge der Aehnlichkeit in der Natur der Handlungen können die von verschiedenen Lebewesen geschaffenen Welten gleichzeitig nebeneinander bestehen, so wie die in einem Raume brennenden Lichter sich vermischen und ein einziges Licht zu sein scheinen. An diesem Punkte kann man die Yogacāraphilosophie als individualistischen Idealismus bezeichnen, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist.

Im Ganzen finden wir in der Yogacāraphilosophie eine starke Tendenz zur Wiederbelebung von Buddhas grundlegender Doktrin, der Theorie der abhängigen Entstehung. Zunächst stammt das Grundprinzip der Yogacāraphilosophie von dem Bewusstsein in Buddhas Theorie der abhängigen Entstehung. Wie ich im ersten Kapitel gezeigt habe, wird im ältesten Kanon das Bewusstsein als letzte Ursache eines Lebewesens in dem Kreislauf der Seelenwanderung aufgefasst. Buddhas Philosophie befasste sich hauptsächlich mit dem Problem des Lebens, aber die frühbuddhistischen Systeme gingen bereits an die kosmologischen Probleme heran. Wie wir gesehen haben, scheint in der Philosophie Nāgârjunas das analytische Eindringen in das Wesen der äusseren und inneren Welt den Höhepunkt erreicht zu haben. Die buddhistischen Philosophen trafen auf eine geistige Lage, die sie zwang, neue Wege der Untersuchung zu gehen. In einer solchen Lage war nichts natürlicher, als dass der Begründer der Yogacāraphilosophie seinen Blick wiederum auf Buddhas grundlegende Doktrin richtete, und als sein Grundprinzip das Bewusstsein entdeckte. Seine Aufgabe war es nun, aus diesem monistischen Prinzip die Existenz nicht nur der Lebewesen, sondern auch der gesamten äusseren Welt zu erklären. Um diese Doppelseitigkeit zu erklären, bedienten sich die Yogacārins der Karmartheorie. In der Philosophie Buddhas war karma das Vorübergehende,welches die Bedingung des Bewusstseins bildet. (Ich gebrauche saṃkāra im Sinne von karma). In der Yogacāraphilosophie wird diese Karmatgeorie mit der Theorie der Bījas verknüpft. Noch mehr: die  Yogacāra-Pphilosophen bezeichneten die von Zeit zu Zeit erfolgende Erneuerung der Bījas in dem Substrat des Bewusstseinsstromes und deren Spaltung in zwei Erscheinungsformen als abhängige Entstehung. Hier steht die  Yogacāraphilosophie sowohl mit der Philosophie Buddhas wie mit der Nāgârjunas in Verbindung.

Die im Zusammenhang mit der Yogacāraphilosophie erwachsenden Probleme sind in der Tat sehr mannigfaltig. Ohne eine bis in alle Einzelheiten dringende Analyse dieser Probleme ist es kaum möglich, die  Yogacāraphilosophie völlig verständlich zu machen. Doch konnte dies auch nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein. Ich muss mich vielmehr damit begnügen, wenn es mir gelungen wäre, wenigstens einige Züge der Entwicklung dieses frühen Systems des Idealismus aufzuzeigen.

[1] Maj. 20, P. 185.

[2] Die vier Täuschungen der Wesen. Sie dürfen nur im Nirvāṇa gesucht werden.

[3] Die folgende Auslegung beruht hauptsächlich auf dem Abhidharmakośaśāstra, Varga 3 (Nanjio …).

[4] Das Dīgha-Nikāya, II, 1. (Uebs. T.W. und C.A.F. Rhys Davids: the Dialogs of Buddha II,1)

[5] Madhyamakaśāstra, Varga 1. Uebs. v. M. Walleser: „Die mittlere Lehre des Nāgârjuna. Heidelberg 1912, S. 2

[6] cf. Dvadaśanikāya, (N. 1986) Nikāya 1. (X; 66b.)

[7] Die Mittlere Lehre, Varga 16

[8] Dvadaśanikāyaśāstra, Nikaya 1.) (N. 1986, X 66 b.) und Mahāyānavatārata-śāstra von Sthiramati. (é. 1243. II; 66a).

[9] Madhyamakaśāstra, Varga 1. Uebs. v. M. Walleser, S. 1

[10] Nanjic 1182., S. 52 b. Ashtadaśasūnyatāśāstra von Nāgârjuna